Tobias Döring Der weisse Frühling mit der Leier Leierkästen haben eine schlechte Presse. Zumal wenn es um Lyrik geht wird kaum jemand den Kunstcharakter dichterischer Sprache am Klang mechanischer Musikmachinen messen wollen. Aus Zeiten, in denen Gedichte noch tatsˆ§chlich aufgesagt wurden, mag mancher sich vielleicht mit Schaudern an den leiernden Effekt erinnern, der entsteht, wenn beim Vortragen der Klapperatismus von Metrum und Reimschema allzu deutlich wird. Leiern gilt es daher unter allen Umstˆ§nden zu meiden, weil es der Mechanik von poetischer Formalisierung offenkundig zu viel Prominenz gibt. Aus ebendiesem Grund jedoch fordert das Interesse an den formalen Mitteln, die Gedichte überhaupt ausmachen, besondere Aufmerksamkeit für Effekte solcher Art. Immerhin kommt schon das Wort «Lyrik» von «Leier» und hat der Sache nach genau damit zu tun: die Klang- wie Sinnstruktur von Sprache neu zu ordnen und das heisst oftmals auch zu musikalisieren. Wenn daher E.E. Cummings ein Sonett mit der emphatischen Anrede «O Thou to whom the musical white spring» eröffnet, tut Günter Plessow gut daran, den Vers mit dem konkreten Hinweis auf das Instrument zu übersetzen: «O Du- der weisse Frühling mit der Leier»- und da es sich gleich noch auf «Schleier» reimt, passt das gewˆ§hlte Wort umso besser. Solche Passgenauigkeiten sind die Crux aller Sonettübertragungen, denn immerhin geht es um eine Form, deren Lust sich ganz aus Strenge und Systemzwang speist. Es ist daher ein glücklicher Griff, die frühen Experimente des amerikanischen Avantgardisten mit dieser Form unter einem deutlichen Titel zu veröffentlichen, der einer Schlusszeile entnommen ist: «was spielt der leierkasten eigentlich». Das passt auch deshalb gut als Motto für die Folge aus nicht weniger als dreiundsechzig Exemplaren, weil der spielerische, teils treuherzig folgsame, teils anarchisch aufbrechende, immer aber zeilengenau abrechnende Zugang zur Sonettform, den Cummings mit den frühen Texten sucht, genau so wirkt, als wolle dieser junge Lyriker endlich selbst ermitteln, was hier eigentlich gespielt wird. Manches davon klingt entrückt und kunstvoll, fast als sei es der George-Dichtung abgeschaut: «dies ist der garten: farben kommen und gehn, / die nacht sprüht blaus vom saume ihrer schwingen, / grüns,starke stille heitere,gelingen, / licht absolut gleich goldnem schnee so schön.» Anderes kommt sehr viel robuster und draufgˆ§ngerischer daher: «ich / will die lotrechten lippen,die schlechten gebisse / vertikales grinsen / her mit dem Square im frühling.» So wechseln die Register und Tonlagen vielfach ab. Alle Texte aber zeigen schon, was bald zu Cummings Markenzeichen werden sollte: den eigenwilligen Umgang mit den Konventionen schriftlicher Ordnungsmuster wie vor allem Rechtschreibung, Zeichensetzung, fehlenden Leerschlag nach den Kommata oder Wort- und Zeilenabstand, die sˆ§mtlich diesem Autor, der zugleich auch Maler war, zu eigenen Gestaltungsmitteln werden. Dadurch will seine Dichtkunst zugleich Sichtkunst sein, dass sie immer auch das Visuelle der Lektüre gezielt inszeniert. Die Sonette dieses Bandes stammen aus seiner ersten Sammlung «Tulips and Chimneys», erschienen 1922. Da war Cummings achtundzwanzig Jahre alt. Wenig spˆ§ter ˆ§ndert sich sein Ton, wohl unter dem Eindruck der Erschütterung über den Tod seines Vaters, der bei einem Autounfall umkam. Dagegen liegt der Reiz der frühen Texte gerade in der Unbefangenheit, auch Dreistigkeit, mit der sie alles, was gefˆ§llt, zur Sprache bringen- darunter vielfach auch Erotisches, wie es seinerzeit im puritanischen Milieu Neu-Englands wohl schockieren mochte. Günter Plessow, der als Sonett-Übersetzer bereits die hohe Kunst englischer Renaissancedichter wie Samuel Daniel gemeistert hat, geht seine Aufgabe erneut mit klugem Kalkül an. Buchstˆ§blichkeit ist just bei E.E. Cummings, der stets auf eigene Art zu buchstabieren pflegte, nicht die einzige Option. Ohnehin heisst «spell» auf Englisch zugleich auch «Zauber» oder «Bann». In diese Sinn lˆ§dt der schöne, kleine zweisprachige Band uns Leser dazu ein, sich dem Buchstabenzauber seiner Leier auszusetzen. (Frankfurt Allgemeine Zeitung, 20. Juli 2009) |