Birgit Kempker

Das Fräulein vom Museum am Montag




hat heute seinen freien Tag. Das Fräulein vom Museum wiegt zu schwer, schon seit einigen Tagen, das passt nicht. Ein Fräulein in einem Museum muss etwas dünner als schlank sein, beinahe todsüchtig aussehen, und doch muss es etwas haben, das einen Kenner eine geheime, um so wildere Leidenschaft erahnen lässt. Am Montag ist das Fräulein kein Fräulein, da ist sie eine Frau und trägt höhere Schuhe als sonst. Von Dienstag bis Sonntag hat das Fräulein schwarze, auch manchmal graue Kleider an, niemals Hosen und auch niemals enge Röcke. Das Fräulein schminkt sich nicht, nur wenn es im Archiv Brillengläser tragen muss, malt es mit schwarzer Kohle auf die unteren Innenseiten seiner Augenlider. Das sieht nur der Kenner und auf den pfeift das Fräulein montags.
Die Kleider der Frau, auch die bunten für den Montag, müffeln nach Archiv und das ist wiederum etwas für Kenner, selbst an einem Montag.
Am Montagmorgen läuten die Glocken der kleinen Kirche vor dem Museum schon um sieben. «Aufstehen», sagen die Glocken dem Fräulein.
Sie würde das rosa Bettdeck auf dem Balkon im Wind auslüften, den Träumen eine Chance lassen dem Bettzeug zu entfliehen.
Das ist verboten, das sähe nach Schlaflagern, nach Ratten und Läusen, in einem Raum Kinder kriegen und machen, das sähe nach Sibirien, nach Flüchtlingslagern aus, man sei nicht in der Pollackei, schlimm genug sei das, ihr schweinchenfarbenes Bettzeug, bedauerlich auch, dass es kein extra Fräuleinzimmer gäbe im Museum, aber sie habe nun mal nichts Ordentliches gelernt, er halte sie hier nur aus väterlicher Pflicht und Sorge, sie solle sich entsprechend dezent verhalten, das Fräuleinjakob, sagt Doktor Stux. Jeden Abend holt das Fräulein die rosa Decke und breitet sie vor dem Balkon auf dem Parkett aus, stellt die Stehlampe aus dem Nachlass des Advokaten ans Lager, so müsste das heissen, die Sache mit mir und dem rosa Bettdeck, denkt das Fräulein, mit goldenen Tressen und Bommeln, die Nacht kann kommen, denkt das Fräulein und kichert, beinahe hätte sich so spät am Abend noch etwas gereimt. Sie solle doch in der Bibliothek zum Hof hin schlafen, sagt der Stux oft freundlich und besorgt, da käme sie sich nicht so verloren und winzig vor, so als gäbe es sie gar nicht auf dem Parkett unter der rosa Decke in der Nacht. «Der Tag kommt nicht, Dr. Stux, an dem ich mein rosa Steppdeck auf dem schäbigen Bibliotheks-Linoleum ausbreite, niemals», dabei ist es geblieben. Überhaupt sei ihr ein gewisser Hang zum Luxus eigen.
«Stell dir diese liederliche Person mal vor», sagt Stux zu seiner Frau am Abend. «Kein Geld für ein anständiges weisses Bettzeug, aber Croissants fressen, morgens zum Frühstück schon Delikatessen.»
Am Montag gegen neun geht die Frau ins öffentliche Schwimmbad. Sie streift sich einen bunten Rock über die Hüften und klemmt an ihr rechtes Ohr eine kleine rote Perle auf einer goldenen Scheibe.
Das ist das Schlimmste am Leben im Museum, die fehlende Duschgelegenheit morgens. Die Träume abwischen. Traumbeschmiert in den Tag ausgleiten, das hasst das Fräulein. In der Herrentoilette im mittleren Stock des Museums gibt es einen Boiler über einem grossen Spülbecken mit Abtropfgitter, da versucht das Fräulein morgens die Nacht von ihrem Körper zu wischen, auch abends den Tag, das ist weniger schwierig. Der Tag lässt sich gut beseitigen, der hinterlässt eindeutigen Achselgeruch, schwarze Füsse vom Barfusslaufen, graue staubige Hände vom Bücheranfassen, tränende Augen von der Archivluft, einen gewissen geschlechtlichen Geruch vom Fräulein und der Frau, dreckige Fingernägel und Fussnägel auch.
Manchmal, wenn eine Wassersehnsucht das Fräulein überfällt, stellt sie sich mit beiden Beinen breit auf den Holzstuhl, das Waschbecken unter sich, zwischen ihren Beinen, und beplätschert aus dem laufenden Hahn den Ort zwischen den Schenkeln, breitet ihn weit aus mit der linken Hand und lässt sich innwärts umspülen. Taumelnd steigt sie vom Stuhl, die Wassersehnsucht ist für eine Weile gestillt.
Eigentlich geht das Fräulein ins Schwimmbad, um da ihre Fräuleinträume der letzten sechs Tage herunterzuduschen.
An diesem Montag steht einer unter der Dusche, steht da, schaut sie an, schaut sie ungeniert und ohne damit aufzuhören an.
Neben dem kann ich nicht duschen, denkt das Fräulein, warum ist er nicht da, wo er hingehört, bei den Herren. Ich werde mich von dir nicht hindern lassen, Lümmel, denkt das Fräulein.
Badesachen unterbringen wie immer, sagt sie sich, das hat sie sich noch nie sagen müssen, das Handtuch riecht nach Archiv, wie immer, die gelbe Babybürste, Seife, die Badekappe, die Badekappe nicht, die nimmt sie wieder raus aus dem Fach, das hat sie schon öfters getan, nicht oft, aber schon manchmal, das Handtuch auch wieder raus, legt es oben auf den Rand des Regals, nimmt die Seife in die Hand, legt die Badekappe zurück und der Mann steht immer noch da unter der Frauendusche und duscht.
Eine dicke Frau schaut dem Fräulein misstrauisch zu.
Was ist los, ich bin doch kein Spion, ich heisse Hannelore Jakob und will schwimmen. Bisher hat sie gemütlich in ihrem Fett am Rand gesessen, die dicke Frau, jetzt ist es aus damit, sie fühlt jede einzelne Fettschicht ausspioniert und taucht langsam ins Wasser unter, langsam genug, damit es keiner merkt, damit niemand denkt, sie habe Angst oder schäme sich.
Nicht tauchen, dicke Frau, denkt das Fräulein, nicht ertrinken, nicht jetzt, Hannelore Jakob schaut in die Luft und denkt an wichtige Dinge. Sie ist Nina Buck, klug, modern und unabhängig, sie will hier nicht schwimmen, sie will hier bald einen Film drehen und prüft den Drehort, getarnt als eine, die schwimmen will, fühlt sie sich unbeobachtet und einmal nicht im Scheinwerferlicht. Da hinten tritt der Liebhaber auf. Von unten kommt Luise.
Diese Details aus dem Leben einer anderen Frau lassen sie Fuss fassen, darin steht sie dann und schaut weiter wichtig und ungesehen in die Luft.
Der Mann steht immer noch da. Bisher ist ihr noch nie so was mit einem Mann passiert, bisher hat ihr überhaupt noch kein Mann den Platz unter der Dusche versperrt.
Ich werde mich nicht vertreiben lassen, und sie fasst ihre Arme und Beine etwas beherzter an, sobald sie sich aber ihrem Körpermittelpunkt nähert, je mehr sie sich von den Aussenpolen ihres Körpers auf den Kern zu bewegt, je verschämter werden die Berührungen ihrer kaum noch zu fassenden Hände. Die Augen geschlossen, strömt das heisse Wasser über ihr Gesicht, die Tage von Dienstag bis Montag und auch den Anfang dieses Montags weg.
Als sich ihre Augen öffnen, ist er nicht mehr da, der Mann.
Die Bademütze umkrempeln und von innen nass machen, so wie die Männer, geschäftig und breitbeinig. Die Frau duscht einige Farbreste von der Kappe, die blättert ab und zu Farbteile ab, das ist jetzt schon wieder so wie immer montags im Schwimmbad, daran kann man selbstvergessen und beinahe anmutig zupfen, als blättre man an der Schulter eines geliebten, sonnenverbrannten Menschen.
Hannelore Jakob lässt sich genau von diesem Platz am Rand, der dampft, noch warmgesessen vom Fleisch der dicken Frau, ins kalte Wasser gleiten.
Mit einer ähnlich langsamen Bewegung versucht sie sich in die andere Frau zu begeben, eine Art Versöhnungsversuch.
Mit langen ruhigen Zügen schwimmt sie auf den Mann zu, immer wieder lässt sie sich am Rand mit den Beinen strampeln, wie das hier alle Damen im Bad gerne tun und sich dabei Dinge erzählen, die sich über Wasser, also ausserhalb des Wassers, nicht erzählen lassen.
Heute erzählt die Frau nichts beim Strampeln, sie schaut auf den Mann, Unterwasserfetischist, denkt sie plötzlich und ist froh, endlich das richtige Wort gefunden zu haben.
Wenn Hannelore Jakob das rastige Wort für einen Mann gefunden hat, dann kann sie ohne Angst weiterschwimmen.
Als habe er ihre Erleichterung gespürt, sie als leichtes Einverständnis missdeutet, taucht der Mann sehr nahe unter ihrem Körper weg, als berühre ein Wasserstrom sie, auch und gerade an ihren empfindlichsten und reizendsten Körperstellen, als könne sie ihren Körper nicht geschlossen halten, als ströme es in sie ein.
Die Frau steigt aus dem Wasser, langsam, damit man ihr die Eile nicht ansieht, und stellt sich auf die Personenwaage und wiegt einige Pfunde entschieden zuviel. Noch lange hält sie ihren Körper unter heisses Wasser und tankt auf für die wasserlosen Zeiten zwischen Montag und Montag. Sie rubbelt sich am Spiegel die aufgeweichten Mitesser aus dem Gesicht.
Der Mann könnte fragen: «Für wen sehen denn Sie heute so appetitlich aus?» Die Frau würde sagen: «Ich werde mich von niemandem, auch von Ihnen nicht, erst recht von Ihnen nicht, auch innwärts nicht, erst recht von innen nicht besudeln lassen, am sauberen Anfang meiner Woche. »
Die Frau zieht sich an, geht prüfend mit der rechten Hand zwischen die Beine, etwas hinein in den Spalt und wundert sich, warum es da so klebrig und feuchtwarm, gar nicht so chlorkalt ist wie immer.
Das Fräulein streikt am Mittwoch.
Das Fräulein streikt an einem Mittwoch, es streikt mitten in der Woche und das gefällt ihm.
Das Fräulein im Museum ist allein, die Sekretärin im untersten Stock ist auf Mallorca, das Hausmeisterpaar unter dem Dach ist auch irgendwo, die Putzfrau kommt manchmal, das ist eher angenehm, denkt das Fräulein.
'Bald komm ich wieder' schreibt Dr. Stux, 'Die Sonne brennt heiss in Albanien und Kunst gibt es hier, mein liebes Fräulein, Sie werden staunen'.
Bald kommt er also, denkt das Fräulein, und Kunst bringt er mit und Albanen. Arbeit, denkt das Fräulein, einsortieren, aussortieren, umsortieren.
Ich mag sie nicht, die albanische Kultur, dann bringt er die Albanen mit, die wollen in Hotels schlafen und das Fräulein muss die Rechnung bezahlen, die teuersten Hotels in der Stadt sollen es sein und bezahlen Sie gleich die Rechnung, Jakob, sagt Stux. Zimmer mit Dusche und Blick auf etwas, die müssen sauber sein, die Künstler, die können sonst nicht denken, das ist auch bei den Albanen so, denkt das Fräulein.
Einmal wird auch das Fräulein jemand sein. Dann bekommt es ein Zimmer mit Dusche und Ausblick und ein anderes Fräulein bezahlt die Rechnung.
Noch ist er nicht da, der Doktor und seine Albanen, denkt das Fräulein und denkt an all die Albanen, die auf es zukommen, Kaffee kochen, die Stadt zeigen, zuhören, «Trösten Sie mir meine Mannschaft», sagt der Doktor munter, «Spielen Sie auf dem Klavier, albanische Volksweisen und so».
Ein Albane spielt auf dem Klavier Lieder aus der Heimat und das Fräulein hört zu. Oder zwei Albanen spielen ein Duett und das Fräulein hört zu. Oder zwei Albanen spielen zwei Duette, dem Fräulein schwinden die Sinne und es denkt nur noch eins. Generalstreik.
'Geschlossen wegen Krankheitsfall auf unbestimmte Zeit', schreibt das Fräulein auf die Tür des Museums und schliesst sie.
Sie knutscht den Kopierer, Stop, wer so was schreibt, der geht zu weit, dem wird nie ein Fräulein ein Zimmer mit Dusche und Ausblick bezahlen.
Ein Anruf aus Albanien.
Wie es ihr ginge, hat der Doktor gefragt, ob Besucher kämen, sind die Vitrinen gestaubt? Die Holzschnitte poliert? Die Balkontür, vor allem die Balkontür sei unter allen Umständen geschlossen zu halten.
« Sie wissen doch, wer da drauf tritt, der ist tot»
Sie habe Angst, manchmal habe sie nachts allein im Haus Angst, will sie sagen.
«Ja, ja, wirklich, ach», sagt der Stux. «Schliessen Sie das Archiv immer ab, auch wenn Sie mal auf den Pott gehen»
Pott sagt der, das würde er zu den Albanen nie sagen, nie.
Jetzt erst recht du Holzbock, das Fräulein heult auf, soviel verschleuderte Zeit für den Holzbohrer, so wenig Platz für das Fräulein im Museum, soviel Platz für den Stux und seine Kunst.
Hau ab, Doktor Stux mit deinen Albanen und Exponaten. Wasser, Wasser ist das schlimmste. Wasser ist das, was nicht sein darf auf einem Parkettfussboden im Museum. Wasser, Wasser, sagt das Fräulein und schüttet ein Glas, noch eins und immer wieder Wasser aufs Parkett.
Verdopplungen, die dürfen auch nicht sein, kein Wasser und keine Verdopplungen.
«Schauen Sie hier, im Landesmuseum, im Tierpark, wo auch immer, miese Verdopplungen. Exponate verdoppeln, einfach hirnlos verdoppeln», stöhnt er.
Das Fräulein liebt nicht viel, aber eines liebt es, Verdopplungen.
Einmal nur eine Doppelausstellung, einmal, Herr Direktor, doppelte Vitrinen, doppelte Exponate. Nur kein doppelter Stux.
Zwillinge, Stux, stellen Sie sich vor, wir geraten an Zwillinge.
Zwillinge seien doch niemals besonders begabt und niemals zwei auf einmal.
Es lebe hoch die Verdopplung, schreibt das Fräulein auf die Vitrinen, es lebe hoch eine jede doppelte Verdopplung und immer höher bis in den Himmel zu den Doppelsternen.
Im Himmel gehört Doppelsein zur Ordnung. Weibisches Gebrabbell sagt das Fräulein zu sich, du Kindchen, aber das mit den Sternen ist wahr.
Das Fräulein rückt die Vitrinen mit den Holzschnitten weg. Es tanzt, dann schwitzt es und es gibt keine Dusche im Museum.
Morgen, denkt sie, morgen werde ich in eigener Sache unterwegs sein, ohne den Kontrollbohrer im Rücken, der liegt noch in der Sonne und brät.
Auf den grünen Leihschein 308 wird sie sich endlich einmal richtige Bücher holen, welche fürs Herz.
«Herz?», fragt die Bibliothekarin und das istia selbst schon ein komisches Wort, «Herz für 308, Dr. Stux?»
«Ja, mit Liebe und so», sagt das Fräulein und wird rot. Das Fräulein geht mit einem Stapel anderer nackten Fräuleins zurück ins Museum und das ist ja nichts für ein ausgehungertes Fräuleinherz.
Sie hätte gern einen Mann, der sagt «je vous aime plus fort que ma vie», so sähe der Mann aus den Fräuleinträumen aus, nicht zu lang, aber sehr gut und zärtlich, ein bisschen wie Winnetou, kein Lederstrumpf.
'Je vous aime plus fort que ma vie', so was müsste schon drin stehen in den Büchern, aber auf 308, Dr. Stux, hat das Fräulein kein Glück.
Schwarze schmale Kleider zieht das Fräulein an, auch wenn es allein ist im Museum. Die Sonne scheint draussen und der Himmel ist blau. Das Fräulein öffnet alle Fenster und die Türen zum Balkon. Jetzt pfeifen auch die Vögel. «Sonne komm rein», sagt das Fräulein und hat gute Laune. Sie holt den Besucherspiegel und lehnt ihn gegen die Balustrade. «Balustrade», sagt das Fräulein langsam und macht sich einen Cappucino.
«Wunderbare, weiche, weibliche Akte», so oder so ähnlich hat er neulich ins Telefon gesagt, der Dr. Stux.
«Einen unbedingt weichen Stift brauche ich und Papier mit einem rosa Schimmer», sagt das Fräulein zum Verkäufer.
Jetzt kniet sie vor dem Besucherspiegel, prüft ihr Gesicht, in der rechten Hand den Stift, links das Papier. Ein Modell ist nackt, das weiss das Fräulein und zieht den roten Vorhang vor, dann seine schwarzen Kleider aus und da ein Sommerwind weht, hält sie mit dem linken Fuss den Vorhang fest, die rechte Hand zeichnet schöne Damen.
Das geht ja schnell, denkt das Fräulein und klappt den Block zufrieden zu. Jetzt fängt die Sache mit den Titeln an.
«Titel sind das A und 0 bei einem Bild», so was oder so ähnliches hörte sie mal den Stux sagen.
«Der Titel ist die warme Hand des Freundes, der dich zu einem Bild geleitet, er ist auch die Zunge des Verräters, der dich mit schmeichelnden Worten in die Irre führt. Ein Titel und sein Bild, das Bild und sein Titel, das ist eine Komödie, eine Tragödie, eine Liebesgeschichte, ein Kriminalfall»
«Oh, wie blumig kann er reden, mein Stux», seufzt das Fräulein, blumig, ob das das richtige Wort ist?
«Kriminalfall», wiederholt Stux leidenschaftlich und laut. «Wer ist das Opfer und wer ist der Täter? Hat Alfred Berta getötet? Tut Alfred so als liebe er Berta? Lieben sie sich wirklich? Recherchieren, immerzu unermüdlich recherchieren, los Jakob», sagt der Stux, «Frisch ans Werk».
Hannelore Jakob, der Detektiv, das klingt nicht gut, denkt das Fräulein, Hannelore Jakob, die Agentin, auch nicht und deshalb gibt es keine Recherche, nicht mit mir.
Viele sanfte Titel fallen dem Fräulein ein: «Zwei Tage nach der Nacht mit dem Pfarrer» oder: «Zwei Tage vor der Nacht mit dem Pfarrer», aber es gibt nur den einen einzigen Titel für diesen Zyklus hinter der Balustrade und hinter dem roten Vorhang und hätte sie ein bisschen mehr Erfahrung, würde sie ihn schon an dieser Stelle so nennen, so aber denkt sie, es gibt nur den einen einzigen Titel: «Wie kommt die Seejungfrau zu den schwarzen Kleidern?» Da ist er, der eine einzige Titel. Vielleicht doch ein Kriminalfall, einer für die Unterwasserpolizei, kichert das Fräulein, mein langer Stux mit Schnorcheln und Flossen.
Ein Bild braucht einen Titel und einen Rahmen erinnert sich das Fräulein.
«Ein gutes Bild mit schlechtem Rahmen ist wie ein Gentleman mit ungeputzten Hacken», sagt Stux.
Es gibt im ganzen Museum keinen einzigen Rahmen der passt.
«Lauter dreckige ungeputzte Schlammstiefel», denkt das Fräulein. Das kann doch jetzt nicht alles an der Sache mit den Rahmen scheitern, beinahe weint das Fräulein und Tränen wären auf die Vitrinen getropft, wenn ihr nicht die rettende Idee gekommen wäre. Rettende Ideen haben ist eine Unterform von Künstlersein.
Hannelore Jakob räumt die Vitrinen aus, flüllt sie mit Wasser an. Jetzt könnt ihr schwimmen, Bilder, denkt das Fräulein, Seejungfraubilder gehören ins Wasser und dankbar erinnert sie sich an Stux' Worte: «Es ist doch meist nur eine einzige Sache, die zu tun ist, Jakobchen.»
Das Fräulein tut seine Arbeit jetzt gerne und verschickt Rundbriefe an die Freunde des Vereins. Sie lässt einen Katalog anfertigen mit dem Titel: «Vergänglichkeit und Kunst», der Doktor habe das da unten unter der Sonne in Eile angeordnet, da unten ginge das Leben schneller.
Hannelore Jakob gibt sich den Künstlernamen 'Anna Fanina', eine
in Japan geborene Russin, die sich nach einer langen Zeit des Schweigens von ihrem Krankenbett erhob und in traumwandlerischer Sicherheit die Träume ihres langen verschlafenen Lebens mit japanischen Farben auf dem Papier wiedersuchte. Anna Fanina schreibt auch Texte von tiefster Melancholie und rührendster Sanftmut, gepaart mit verzweifeltem Kampf gegen die Schlafsucht.
Das Fräulein scheute sich nicht, anlässlich einer Pressekonferenz Anna Fanina die Jeanne Paulette des Ostens zu bezeichnen.
Jetzt kann er kommen mit seinen Albanen, denkt das Fräulein stolz, die werden mir die Füsse küssen, der Doktor Stux muss ein neues Fräulein suchen und das muss mir ein Zimmer mit Ausblick und Dusche bestellen.
Von den Bildern der ausländischen Künstlerin ist bald nicht mehr viel zu sehen. Der Titel des Zyklus gibt Rätsel auf und man ist allgemein fasziniert von dieser ungemein weiblichen und leider vergänglichen Erscheinung in der Welt der Kunst.
Eine Kritik des gefürchteten Otto Runge erregt Aufsehen im ganzen Land.
Sie ist überschrieben mit den lateinischen Worten: «Chemica non agunt nisi soluta» (Nur die Flüssigkeit gibt die Freiheit zur neuen Gestaltung oder nur entbundene Körper schaffen neue). Hier verstumme der männliche Geist.
Übermütig und im Freudentaumel meldet sich das Fräulein am Telefon mit: «Museum für Wasser und Weib».
«Museum für Wasser und Weib» sagt sie und der Dr. Stux brüllt von Albanien her durch die Leitung so laut, dass das Fräulein kein Wort versteht.
Ein Telegramm aus Albanien meldet die Ankunft des Doktors in fünf Tagen. Doktor Stux fordert die sofortige Räumung und Wiederherstellung der Ordnung im Museum. Das Fräulein selber solle sich nie wieder sehen lassen, sonst geriete er ausser sich, der Doktor Stux. Mit diesen, für ein Telegramm von Stux sehr verschwenderischen Worten, bäumt der Stux sich noch ein letztes Mal auf und es fragen sich die Gelehrten und Ästheten noch heute, warum die Seejungfrau nun schwarze Kleider trage und warum davon nichts zu sehen sei.


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