Michael Donhauser im Gespräch

Brüche schaffen und wieder heilen

Gespräch mit Hans Haider zur Verleihung der Ernst-Jandl-Preises 2005, erschienen im Begleitheft zum Ernst-Jandl-Preis


Als Leser Ihrer Gedichte fühle ich mich entführt in eine Welt ohne Menschen, ohne Geschichte und Geschichten.
Donhauser: Naja, da würde ich widersprechen. Für meine Anfänge stimmt das bedingt, das heißt nur für die Prosagedichte, doch sehr wahrscheinlich prägt der Anfang das Bild, das dann bestehen bleibt, denn ich bekomme diesen Eindruck der Menschenleere öfter mitgeteilt. Aber es gibt einen Liebesroman, «Livia oder Die Reise», dann die «Dyptichen», wo Menschen in einer Vielzahl den Text gleichsam bevölkern, Mädchen, Matrosen, ein Käseverkäufer usf.

Man meint beim Lesen, die Zeit stehe still.
Donhauser: Die Zeit steht still? Sie wird sicher nicht explizit im Sinne einer Bezugnahme auf das Zeitgeschehen, sondern vergeht eher mit den Jahreszeiten. Die Ambivalenz von Bleiben und Vergehen ist wohl immer wieder spürbar, und vielleicht vermittelt diese Ambivalenz den Eindruck des Stillstands.

Eine beinahe paradiesische Ruhe strömt aus den Texten heraus, in denen sich ja sehr viel lebende Natur abbildet.
Donhauser: Das ist ein Ansatz meiner Arbeit gewesen, die Sprachlosigkeit durch die Bewegung aufzubrechen, welche von der lebenden Natur ausgeht, das hat mit Abbildung nur begrenzt zu tun: Damit habe ich versucht, etwas zu machen, was kaum gemacht wurde, nämlich die Natur nicht nur als Metapher zu lesen, sondern sich von ihr bewegen zu lassen, zum Schreiben, gleichsam wie von einem Generator. Dass dies auch paradiesisch wirken mag, kann sein. Spätestens mit dem Untertitel «Liebes- und Lobgedichte», den ich für das 1991 erschienene Buch «Dich noch und» gewählt habe, ist dann auch deutlich geworden, dass da eine ganz andere Richtung eingeschlagen wird, nämlich eine, welche im Vornherein dem Kitsch anvertraut wird. Wenn einer ein Lobgedicht schreibt, wird er nicht ernstgenommen oder ist suspekt. Bezieht sich das Lobgedicht auf die Natur, wie jene Sache nun einmal genannt wird, welche der Erholung dient, so wird das Gedicht als harmlos oder apolitisch abgelegt, was so viel heißt wie irrelevant. Doch es ist gerade jener irrelevante Bereich, den ich zu gewinnen versuchte und welcher meist zu leichthin abgegeben wird, an die Frömmler und Schwärmer. Und es ist dann sicher so, dass meine Sprachwelt eine Welt ist, die auf ihre Weise eine sehr künstliche ist.

Es gibt eine Zeile von Ihnen, die ich als ein Bekenntnis zur Aktivität lese: «Die Kirschbäume werde ich … in die Sprache tragen», doch an anderen Stellen ist es eher die Sprache, der Sie die Allmacht zubilligen. Darf man aus Widersprüchen ein poetisches Programm ablesen?
Donhauser: Sicher daraus ableitbar ist, dass es einerseits den Moment des Willens gibt. Und andererseits das kontrapunktische Element: die Absichtslosigkeit, dass das Gewollte nicht sein kann. In diesem Dilemma lebt und arbeitet Kunst.

Mitte der achtziger Jahre, als sie in den Grazer «manuskripten» zu veröffentlichen anfingen, waren noch Dichternamen wie Ernst Meister und Nicolas Born in aller Munde. Alle tot. Welchen der damaligen Meister haben Sie verehrt?
Donhauser: Ja, den gibt es, der kommt allerdings aus einer anderen Sprache: Das ist Francis Ponge. Das zu bekennen, ist immer schwierig, weil das offensichtlich zu Missverständnissen einlädt. Das heißt: Ich bin kein deutscher Ponge, ich will es nicht sein, ich kann es auch nicht sein. Ponge realisiert auf eine ganz andere Art seine Texte. Aber der Anstoß, der von dieser Art der Beschäftigung mit der Dingwelt ausgeht, der hat mich stark geprägt. Es ist wohl wirklich nur der Anstoß gewesen, aber der war sehr wichtig. Und von Ponge kam er auch, weil es keinen Dichter gibt, der sich jene Dingwelt in einer vergleichbaren Weise zur Aufgabe gemacht hat.

Auch Peter Handke hat oft für Ponge geworben.
Donhauser: Ja, er hat ihn auch übersetzt. Ponge-Spuren findet man auch bei Handke – obwohl er impressionistischer vorgeht. Er lässt es dann auch immer wieder – während Ponge die Substanz will, da ist etwas episch Drängenderes drin, also auch Scheiternderes. Doch wie gesagt, die Sache mit dem Vorbild ist immer eine schiefe, und das hat vor allem mit der Unfähigkeit zu lesen zu tun, mit Erwartungen, die ich gar nie erfüllen wollte, die aber von meist schlechten Ponge-Lesern an mich herangetragen wurden. Aber ich sage trotzdem Francis Ponge. Aber ich könnte auch einen Namen aus der Architektur nennen, etwa Borromini.

In Ihren Texten finden sich ja wirklich Erwähnungen barocker, auch sakraler Musik. In Ihrer neuen großen Texte-Sammlung «Ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht» finde ich lakonisch-kurze Gedichte, in denen das Metrum wie von manchen Barockdichtern durchpermutiert wird. Ihr Verhältnis zum Barock in der Musik und in der Literatur?
Donhauser: Das ist zuerst sicher ein intuitives. Ich habe erst spät versucht, diesen Bezug auch bewusster zu gestalten, indem ich auch Fachliteratur gelesen habe. Was mich beschäftigt, ist das Ineinanderwirken von Statischem und Dynamischem, dass es also eine Doppelung der Lesbarkeit gibt. Dass man diese Gebäude als sehr statische lesen kann und gleichzeitig völlig in sich bewegt. Wie ein Vexierbild: Man sieht beides und kommt zu keinem Ende damit. Das ist ähnlich wie das Problem von Teilchen und Welle: Beides stimmt. Von da kann man auch zu Stifter kommen, der in dem Ineins von Ruhe und Bewegung das Ideal der Schönheit erkannt hat.

Sie haben 1985 im Sonderheft der «manuskripte» zu Ernst Jandls 60. Geburtstag zwei Prosa texte beigetragen. Ihr Verhältnis zu diesem Dichter?
Donhauser: Als Student in Wien habe ich ihn sowohl gehört wie gelesen. Was gefährlich, aber auch wunderbar war: der Vortrag! Seine Lyrik hat zum Teil sehr vom Vortrag gelebt, das war eine Initiation, diese Überraschung! Die habe ich nicht vergessen. Es hat sich inzwischen alles ein wenig verschoben, in meiner Wahrnehmungsweise, aber Jandls Art war für mich phänomenal. Da haben sich Sprachmöglichkeiten eröffnet, die man zwar analysieren und thematisieren kann, die aber selten in solcher Wucht erlebbar sind wie bei Jandl. Die Sprechoper «Aus der Fremde» und die Sammlung «Der gelbe Hund» habe ich besonders geliebt. Aber als Vorlesenden habe ich Jandl dann länger nicht mehr gehört.

Haben Sie den innerlichen Mut, als ein Dichter laut aufzutreten?
Donhauser: Ja, das ist vernehmbar, was ich lese. Aber ich handhabe oder mundhabe das Problem anders. Wenn man sich Finger in den Mund steckt und ein Gedicht sagt, hat das einen besonderen Charakter. Meine Texte haben vielleicht eher durch ihre Rhythmik etwas in sich Performatives, außerdem ziele ich mehr und mehr auf eine Künstlichkeit, suche also eine Art künstlicher Stimme in meiner Stimme.

Den Lesenden der Texte tut sich immer wieder eine Fußangel auf, und die heißt «und». Können Sie zur Verwendung dieses Wörtchens «und» etwas sagen? Eines Ihrer Bücher, 1991 erschienen und in den neuen Sammelband aufgenommen, heißt «Dich noch und». Ich meine, es hat etwas mit einem Tonsatz zu tun.
Donhauser: Vielleicht bin ich in keinem Band dem so nahe gewesen, was für Jandl, so wie ich ihn verstanden habe, wichtig ist: dem Stottern – dass die Sprache unfähig ist und dadurch erst wieder fähig wird, etwas zu sagen. Bei diesen «Dich noch und»-Gedichten ist das «und» ein rhythmisches Element, wie ein Klopfen. Und es wird dort gesetzt, wo der Sprachfluss stockt, also wo ein sprachlicher Bruch die Syntax zerstört. Das ist etwas Doppelsinniges, dass gerade eine Konjunktion, also ein Wort, das verbindet, einen Bruch schafft und diesen gleichzeitig immer wieder heilt. Das ist auch wieder schon meine Sache: Dass ich die harten Brüche vermeide, dass ich die Sprache nicht zerschlage, das hat auch mit meiner Herkunft zu tun, denn die Schriftsprache war für mich eine auch mühsam erlernte Sprache und also primär nicht die Sprache der Züchtigung und Gewalt, also fast eine Fremdsprache. Und Fremdsprachen liebt man ja auch, weil man sie erlernen musste und weil in ihnen Erinnertes und Erinnerungsfreies ineinanderwirken. Und ich heile ja immer wieder, ich kann nicht anders. Dieses «und» ist genauso ein Moment, es erzeugt das Stottern und hilft über das Stottern hinweg.

Wie stellen Sie sich Ihren idealen Leser vor?
Donhauser: Sicher ist er einer, der auch Musik hört.



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