Paul Jandl Was zu beweisen war Ist das Verhältnis zwischen Dichtung und Wissenschaft wirklich so anekdotisch wie bei Schopenhauer? «Qu'est-ce-que cela prouve?», soll ein französischer Mathematiker nach der Lektüre von Racines «Iphigenia» gesagt haben. Die Welt der Logik und der Wille des Dichters, hier klaffen sie so weit auseinander, dass es einem wie Franz Josef Czernin ans Herz gehen muss. Seit langem arbeitet der österreichische Schriftsteller an seiner grossen Theorie der Dichtung. Um zu zeigen, dass die Kunst Erkenntnis auch jenseits der reinen Empirie und Logik liefert, ist Czernin Dichter, Philosoph und bisweilen auch Initiator feinster interdisziplinärer Dispute. Wenn man sich dem Thema der Metapher schon bei einem Symposium vor drei Jahren gewidmet hat, dann ist es diesmal «Dichtung und Erkenntnis. Das Propositionale und das Nicht-Propositionale in der Literatur». Um das Gedanklich-Begriffliche mit den Vorstellungen, den Erfahrungen und den Gefühlen zu vergleichen, die in ein Gedicht eingeschrieben sind, hat man sich im steirischen Luftkurort Altaussee getroffen. Wo einst Gustav Mahler, Sigmund Freud und Hermann Broch die sinnliche Gewissheit der Sommerfrische suchten, wollte man sich den sinnlichen Wahrnehmungen der Literatur widmen. Auf der vom wilden Wein umrankten Holzveranda des ehemaligen Gasthauses «Zur Schiessstätte» liess sich denn auch trefflich streiten. An einem grossen Tisch sassen sie beisammen, Philosophen aus Oxford und Mannheim, Graz und Greifswald und namhafte Dichter wie Ulf Stolterfoht, Urs Allemann, Peter Waterhouse, Brigitta Falkner, Ann Cotten, Ferdinand Schmatz, Hendrik Jackson, Benedikt Ledebur – doch hatten sie sich viel zu sagen? Der Wittgenstein-Fachmann Severin Schroeder machte aus seiner Meinung zum Verhältnis zwischen Literatur und Philosophie kein Hehl. In Sachen Erkenntnis gebe es zwischen beiden keine Konkurrenz. Wo sich der Philosoph um höhere Wahrheiten bemühe, blieben dem Schriftsteller am Ende doch nur Psychologie und Moral. Von Platons Zweifel an den kognitiven Möglichkeiten der Kunst ausgehend, lieferte Schroeder subtile Unterscheidungen zwischen der Erkenntnis, der Wahrheit und dem Vermögen, einfach nur die richtigen Fragen zu stellen. Mit solch einem «ästhetischen Noetismus» wäre eine elementare Funktion der Literatur immerhin beschrieben, ohne dass diese sich selbst überfordere. An Tschechow, Joyce und Tolstoi sollte klargemacht werden, was auch der Greifswalder Philosoph Reinold Schmücker unterstrich: dass es so etwas wie «sinnliche Erkenntnis» wohl eher doch nicht gibt. Der Dichter benenne nicht, er evoziere, und das Ergebnis bleibe dabei kontingent. Wenn mit der Deutungshoheit der analytischen Philosophie auch die Überzeugung geschwunden ist, Kunst könne in einem elementaren Sinn erkennen, dann ist das Symposium in Altaussee ein beherzter Einspruch der Dichtung. Für die produktiven, mitunter auch ins Kraut des Paralogischen schiessenden Mutmassungen der Literatur spricht sich Urs Allemann aus; Ferdinand Schmatz plädiert dafür, die Begriffe «wahr» und «falsch» durch eine Klammer des «Möglichen» zu ersetzen. Eröffnet Czernins poetologisches Gedicht «sonett, palast» Erkenntnisse über den Palast, die ohne es nicht möglich wären? Oder ist es, in einem ontologischen Sinn, selbst Palast? Mit der stumpfen Waffe der analytischen Philosophie war den Spitzfindigkeiten der Literatur kaum beizukommen. Es sei nicht die Frage, ob die Begriffe stimmten, sondern ob sie stimmig seien, sagte zu guter Letzt die junge Schriftstellerin Ann Cotten. Es war ein zarter Angriff auf professionelle akademische Verblendungen und ein Lob der Dichtung: Am besten habe ihr in Altaussee nicht der Aufmarsch der Philosophen gefallen, sondern Franz Josef Czernins elegante Poesie der Formeln. Ab sofort bleiben die Dichter wohl wieder unter sich. (Neue Zürcher Zeitung, 1. Oktober 2008) Zur Hauptseite
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