Samuel Moser Wortverdreher und Wortverehrer Anfeindungen und Missverständnisse kennt der Basler Urs Allemann, seit er 1991 mit dem Prosatext «Babyficker» erfolgreich am Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb aufgetreten ist. «Die grösste preisgekrönte Schweinerei» hiess es damals von Österreichs Rechtspopulisten. Wenig später gabs blutrote Sprayfarbe an den Kopf von Zürcher Feministinnen. Dabei macht Allemann doch immer nur Worte aus Worten. Er nimmt sie andern aus dem Mund, dreht sie in seinem eigenen um und legt sie wieder da hinein, wo sie herkamen. Vielleicht ist es das, was man ihm übelnimmt. Wortverdreher hat man nie gemocht, am allerwenigsten, wenn sie zugleich Wortverehrer sind: «hae haesch müese dae saeich haesch dudae huaeraebrunz / waeisch naei haesch dedudae hae müese-n-uselah / mach doch aeifach aemol aes / du-n-aes aechtaes aes schoens gaedicht» heisst es im Neunundreissigsten seiner ordentlich durchnummerierten und alphabetisch aufgereihten 52 Gedichte im neuen Band «im kinde schwirren die ahnen». Allemanns vor Hass stammelnde Beschimpfer müssen da wie in einem Spiegel genau das wiedererkennen, was sie einfordern: «aes schoens gaedicht». Dieses ist eben immer schon da, man muss es nur sehen und hören. Urs Allemann ist zweifellos der poetischste aller Dialektiker und der dialektischste aller Poeten. «schwyzaer oedaeli» heisst dieses neunundreissigste Gedicht. Es verführt den Leser wie alle des neuen Bandes in das gefährlich schöne, bodenlos vieldeutige Niemandsland zwischen Schrift und Laut. Alles erscheint hier dereguliert. Aber nur auf den ersten Blick: es ist gerade die formale Strenge gepaart mit der inhaltlichen Anarchie, die die explosive Mischung dieser Lyrik ergibt. Herakleische Arbeit und epikureische Lust, Küsse und Bisse reimen sich auch in Allemanns Gedichten. Die Sprache wird nach allen Regeln der Kunst ausgeweidet und genau dabei zur Augen- und Ohrenweide, auf der geerntet werden kann, was zerhackt und zerfleddert wird. Systematisch und radikal geht Allemann dabei vor. Solange, bis seinem Gedichtband im zweiundfünfzigsten Gedicht selbst nichts mehr bleibt als der Buchstabe Z, bei dem ein Buch, das (wie jedes) mit dem Anfang, also mit dem A anfängt, logischerweise einmal enden muss. Nur dass bei Allemann im Anfangsgedicht schon das Ende hörbar wird: «ann gefangen auff zu hören / ann zu fangen auff gehört». Folgerichtig läuft dann das Endgedicht palindromisch zu seinem Anfang zurückläuft: «/z z // z, ts. / ts-ts!» // «st! st! / st?». Wobei es hiermit noch nicht ganz zuende ist, der Konsequenz ist noch nicht genug: es folgen die drei «z» vom Anfang spiegelverkehrt notiert, was über die Möglichkeiten einer normalen Tastatur hinausgeht_und über die der menschlichen Stimme. Am Schluss also Chiffren des Schweigens. Das Gedicht steht auch nicht im Buch, sondern auf seinem Rücken, halb schon ausserhalb (und doch nicht so ganz). Auf dem Bauch trägt es eine CD. Allemanns Gedichte sind Ereignisse und in seiner eigenen Rezitation (nicht nur, aber auch) von umwerfendem Unterhaltungswert. Er hat wie kaum ein Lyriker sonst begriffen, dass das Gedicht Mundwerk ist im buchstäblichen Sinn: es entsteht im Rachenraum. Da zischt und schnattert, da hämmerts und gurgelt es. Da «lautet» es! Manchmal versteht man dann kein Wort – aber die Geschichten sind durch den Sprachgestus und -duktus immer evident: «hades im orkus gräkröm styx staubfrei euphrat versieg o». So musikalisch aber diese Poesie ist, so falsch wäre es, sie als Musik oder reine Onomatopoie zu verstehen. Allemann arbeitet mit Wörtern und Wörter haben Bedeutung. Selbst und gerade da, wo er ihnen die herkömmliche unter den Füssen wegzieht, zitiert er sie durch das Sprachspiel, in dem er sie verwendet. Doch oberflächliche Spielerei sind Allemanns Gedichte gerade nicht. Seine kunstvolle Arbeit am Missverständnis ist Ausdruck eines tieferen, nämlich subkutanen Verstehensprozesses. Gezielt agiert er mit den elementaren sprachlichen Wirkstoffen, die analog gewissen filmischen Bildern an unserer intellektuellen Wahrnehmung vorbei direkt ins Unterbewusstein gehen. So setzt er die manipulativen Elemente der Sprache ebenso ein, wie er sie aufdeckt_kein diabolisches Spiel, sondern eine schwindelerregende Gratwanderung. Wenn schon Teufel, dann ist Allemann eher ein armer, zumal wenn man in seinen «Lalien» das Schicksal Echos vernimmt. Die Nymphe war verdammt dazu, nur zu lallen und zu hallen, was Narziss, den sie doch liebte, ihr zurief. Auch Allemanns Gedichte sind ein verzweifeltes, aber gerade dadurch unüberhörbar liebendes Echo der deutschen Poesie, mag dieses nun baseldiitsch, englisch, griechisch oder türkisch daherkommen: «müs auk gleich leut aretir. mos uk / gläch. lötür au t’eir, meu sakgl. ech» Oder in einer Fremdsprache (verfremdeten Sprache), wie Kinder oder Erwachsene zu später, müdmunterer Stunde gerne kalauern: «fast seff ferg essen / fnefo, sühne fusenfutter! / ofa: du feist fass ich fill.» «im kinde schwirren die ahnen»: das ist mehr als Verballhornung von Hölderlins «Hälfte des Lebens». Es sind die Ahnen selber (Sappho, Alkaios, Petrarca, Goethe, C.F. Meyer, Pastior sind weitere), die im Kinde Allemann keine Ruhe geben. «Überschreibung» nennt er sein poetisches Gegen-Verfahren, in dem der Unruhe-Text «aufgehoben» wird, dialektisch wiederum und im Dialekt. Die Ahnen bleiben so das Mass aller allemannschen Verse. Aber nicht indem sie sie einregeln. Im Gegenteil: indem sie sie anfeuern. (Neue Zürcher Zeitung, Juni 2008) Zur Hauptseite |