Mirko Bonné

Ode an Null




Es gab zu keiner Zeit Muskeln
zwischen uns, das heißt dort, wo
mit den leichten starren Flügeln
die Insekten sind. Tragisch? Andere
Wesen betasten dich über vertrautere
Sprachen, Zahlen bedeuten, man hat
Begriffe sogar für die stilleren Stellen.

Wo aber Wärme und Nähe eins sind,
spricht niemand. Nur die Zeit strömt
ins Zimmer. Wir rauchen. Ein junger
Mann an eine Mauer gelehnt, das ist
ein wohlbekanntes Bild, die Neon-
röhre lässt nicht an Lichtjahre denken.
Wo sind wir zu dieser Zeit? Wo?

In einem Raum, diesem oder, wenn du
nicht hier bist, einem dort. In Zahlen
ausgedrückt kannst du ein Vogel sein,
überseeisch, aus meiner Kindheit irgend-
jemand oder noch früher, eine Königin.
Ein Grüppchen singt dich an, umwirbt dich
in älterem Sizilianisch, mit Honig, Drohnen.

Mögliche Böotierin, die blaue Tunika
bis zu den Knien dunkel von Meerwasser,
stehst du da in der Dünung und weißt nichts
von uns hier, dein Pferd trinkt, du lächelst,
die Zukunft kann warten. Oder welche Stadt,
so verlassen ist das? In Richtung Film,
und keinen der Darsteller erkennt man.

In jeder Zeile des Abspanns aber steht nur
dein Name. Tragisch? Welche Illusion, immer
zu durchkreuzen. Mir nichts, dir nichts, immer
schon verpatzt. Immerhin, unbezahlbar fällt
Schnee in den Hof. Nur war längst Winter,
ungültig, was da rieselt. Nur wird dir
weihnachtlich plötzlich. Rieselt.

Oder du schlägst mir auf den Arm und sagst
«Träum nicht». Als lande zum zweiten Mal
ein Bussard auf einem Balkon. Der Zirkus
brennt, die Zeltplane bläht sich und platzt
über dem Zentrum. Der Troglodyt erwacht.
Es ist ein Uhr vorbei und fünfzehntausend
Jahre, bis endlich einer unsere Zeit zählt.

Treue Tiere an der Höhlenwand, Hände mit
Armbanduhren wie Nullen, oder Graffiti?
Känozoikum-Mädchen, du lächelst lange.
Also ist dieser Bildschirm ohne Gültigkeit.
In Richtung «Träum nicht». Die nächste
Zeit strömt ins Zimmer, die Geschichte
der Häuser, die so alt ist wie unsere.

Tragisch? Narzissen, eine Muschel und
Blätter aus dem Archiv. Schlägt leicht
auf meinen Arm. Rausch die Rampe
hinab und hinein in die Grabkammer
der Königin. Wo sind wir? Ohne Schuhe
ist alles anders. Diesmal bringe ich dir
Ramsch an, Plastik, plumpe Vögel.


Mirko Bonné in ZdZ 19


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