Durs Grünbein

Das Ohr in der Uhr



Seltsam, wie Klänge sich ändern. Im Jahrhundert der Violinen
War das Zertrümmern der Schneckenhäuser Musik. Der Nachhall
Fallender Würfel hielt über Schlemmerbanketten knöchern den Takt.
Bald waren es Schritte, im Muschelkalk knirschend, ein Dauergeräusch
Und ein Appell an die Brandung, wie Geschützdonner, weiter entfernt.
Alles das Kettenrasseln, Rumpeln öliger Fässer, Dampfkesselzischen
Prägte den Raum, bis aus dem Kirchenschiff ein Maschinensaal wurde.
Glocken und Hämmer phrasierten den Tag und von Rädern und Walzen
Spritzte Schlamm auf Akkorde. In die geordneten Noten fuhr Wind.
Von nun an war jede Andacht Abkehr, die Suche nach Zwischentönen,
Ein feines Spiel mit den Echos der Echos... Vanitas für Gelähmte.
Wie du staunend am Ufer den flachen Kieseln zusahst, die lautlos
Erst leicht , dann schwererwerdend das Wasser streiften. Der Strand,
Zerwühlt von nervösen Familien, war unterm zurückgelassenen Müll
Bis auf das einzige Radio stumm. Dass Möwen wie Schulkinder schrien
War eine Täuschung geschärfter Ohren in der vorweltlichen Szenerie
Von Gräsern, unhörbar wachsend, und Kalkstein, zermahlen zu Staub.


Durs Grünbeins Bio- und Bibliographie