Ales Rasanau

Ilma Rakusa über Ales Rasanau




Ales Rasanau gehört zur stillen Sorte von Dichtern. Er macht kein Aufhebens um seine Person, lehnt «Ichhaftigkeit» und Originalitätssucht im Schreiben ab und kümmert sich weder um Zeitgeist-Themen noch um literarische Trends. Poetische Arbeit bedeutet für ihn das Angerührtwerden von einem Stoff, einem Ding – und das Echo darauf. Das klingt ebenso einfach wie bescheiden, setzt aber vieles voraus. Zum stillen Beobachter wurde Rasanau schon in der Kindheit: 1947 im weißrussischen Sjalez bei Brest geboren, wuchs er auf dem Lande auf, umgeben von der Natur und den Klängen der Dorfsprache. Russisch lernte er in der Schule und vom Vater, der die Konzentrationslager von Sachsenhausen und Mauthausen wundersam überlebt hatte. Doch schon bei seinen ersten Schreibversuchen, 1961, stand für ihn fest, dass er das volkstümliche Weißrussisch wählen würde. Dieser poetische Entschluss sollte bald zum Politikum werden: 1968, kurz nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag, protestiert der Philologiestudent Rasanau gegen die offizielle Russifizierung und wird von der Universität Minsk relegiert. Sein Studium schließt er in Brest ab, wird dann Dorflehrer, um in den siebziger und achtziger Jahren als Zeitschriftenredakteur, Verlagslektor und Übersetzer zu arbeiten. Daneben entstehen eigene Gedichtbände («Wiedergeburt», «Auf immer», «Koordinaten des Seins», «Weg 360», «Die Pfeilspitze»), die ihm 1990 den Staatlichen Janka-Kupala-Preis eintragen. Rasanau gilt als Wortführer eines weißrussischen kulturellen Revivals, das an die Aufbruchsstimmung des Jahrhundertanfangs anknüpft, lange bevor die Sowjets jeden Nationalismus unterbanden und Stalin in den dreißiger Jahren die weißrussische Intelligenzia dezimierte. Aber auch die neue «Wiedergeburt» ist von kurzer Dauer: Mit Lukaschenkos Machtübernahme, 1994, kommt sie jäh zum Stillstand. Rasanau, dessen Poesie nie explizit politisch war, verfasst einige allegorisierende Texte mit regime- kritischem Unterton und wird mit jahrelangem Publikationsverbot bestraft. Ab 1999 folgt er Einladungen ins Ausland; seine Bücher erscheinen in Polen und zweisprachig in Deutschland, seit 2005 im Selbstverlag in Minsk. Es sind insgesamt mehr als ein Dutzend. In seiner Heimat gilt Rasanau als poetische Eminenz, unbestechlich in Wort und Tat. Für junge weißrussische Dichter ist er bewundertes Vorbild, auch wenn sich die Nachwuchsgeneration stilistisch anders orientiert. Im Westen aber haben wir es immer noch mit einem «Geheimtipp» zu tun; Rasanau harrt, trotz etlicher Übersetzungen ins Deutsche und zweier Bücher, die er dem Deutschen abgelauscht hat, trotz zahlreicher Stipendien und Preise weiterhin der Entdeckung. Zu entdecken ist ein Dichter von großer Vielfalt und Konsequenz. Allein schon die Genres machen hellhörig: gleichnishafte Prosaminiaturen, genannt Versetten; narrative, zu meditativen Gedichtzyklen zusammengefasste Poeme (z.B. «Lehm. Stein. Eisen»); sprachspielerische «Quanteme» und haikuhafte «Punktierungen»; und nicht zu vergessen die «gnomischen Zeichen», die man als Reflexionen oder Aphorismen bezeichnen könnte. Rasanau schöpft seine Inspiration in erster Linie aus volkstümlichen Legenden und Epen – sowie aus der Natur, doch holt er sich Anregung auch von der indischen Philosophie, von Heraklit, der Bibel und apokryphen (okkulten) Texten. Seine Suche gilt stets «Universalien», die er aus Natur, Geschichte und Traum herauszufiltern versucht, um zu einer «Es- senz» vorzustoßen, die auf elementare Weise einleuchtet. Reduktion, nicht Opulenz ist Rasanaus Motto, wobei der Schreibprozess einem geduldigen Geschehenlassen gleicht («der Funke springt von alleine»), das sich nicht viel aus sogenannter handwerklicher Professionalität macht.

Bücher von Ales Rasanau in deutscher Übersetzung bzw. Sprache:

- Zeichen vertikaler Zeit. Poeme. Versetten. Punktierungen. Betrachtungen. Aus dem Weißrussischen übertragen von Elke Erb. Agora Verlag, Berlin 1995

- Tanz mit den Schlangen. Gedichtauswahl. Aus dem Weißrussischen übersetzt von Elke Erb und Uladsimir Tschapeha. Agora Verlag, Berlin 2002

- Hannoversche Punktierungen. Zweisprachige Ausgabe. Nachdichtung von Oskar Ansull. Revonnah Verlag, Hannover 2002

- Wortdichte. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz 2003

- Der Zweig zeigt dem Baum wohin er wachsen soll. Gedichte. Mit einem Nachwort von Ilma Rakusa. Agora Verlag, Berlin 2006

- Das dritte Auge. Punktierungen. Weißrussisch und Deutsch, übersetzt von Elke Erb, mit einem Nachwort von Ilma Rakusa. Urs Engeler Editor, Basel/Weil am Rhein 2008


aus dem Nachwort von Ilma Rakusa in: Das dritte Auge. Punktierungen


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