Kerstin Holm
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. November 2002

Apostel der Revolution.
Wölkchen in Hosen: Wladimir Majakowski in neuer Übersetzung




Ursprünglich habe er nichts als Ich sagen können, lautet die Charakterisierung des russischen Avantgarde-Dichters Majakowski durch seine Kollegin Marina Zwetajewa. Das schien zunächst nicht eben viel. Doch mit dem Anwachsen seiner lyrischen Gestalt schien es beinahe alles zu beinhalten. Majakowski fand und erfand sich als Gegenentwurf zu der schönheitstrunkenen Dekadenzkultur vor dem Ersten Weltkrieg, der Spätblüte des "Silbernen Zeitalters". Der Dichter fühlte sich von einer Kraft besessen, die den stummen, nichtigen, schmutzigen Dingen Stimme und Bedeutung verlieh. So wurde die bolschewistische Revolution geradezu zwangsläufig zur persönlichen Sache des Dichters, an deren Verbürgerlichung und Bürokratisierung auch er selbst zugrunde ging. Doch während Majakowskis klassische Propagandapoesie der Sowjetzeit zum Goldschatz des russischen Literaturkanons gehört, schätzt man im Westen vor allem das Frühwerk, wo der Kampf um neue Worte und Formen noch nicht entschieden, sondern als schöpferisches Drama mitzuverfolgen ist. Den bisherigen Übertragungen von Majakowskis erstem Poem, der "Wolke in Hosen", und der Tragödie "Wladimir Majakowski" hat nun Alexander Nitzberg eine neue hinzugefügt, in welcher er auf Bedeutungsgenauigkeit, vor allem aber auf eine deutsche Nachahmung von Majakowskis Reimtechnik, besonderen Wert legt.
Das Stück "Wladimir Majakowski", das ursprünglich den Titel "Aufstand der Dinge" tragen sollte, schildert in freien, durch unregelmäßige Reime gebündelten Versen, wie die Erzeugnisse der technisierten Welt sich aus ihrer Zweckordnung losreißen und die Menschen zu verstörten Strichmännchen machen. Pulsierende Satzfetzen künden von Hexentänzen technischer Geräte, Revolutionsängsten und Aufbruchspathos. Majakowskis Dichter-Ich, eine Mischung aus Narr, Sündenbock und Prophet, macht sich zu deren Sammelbecken. Zum Lohn sieht er sich beladen mit den grotesk verdinglichten Tränen und Küssen der vielen Erniedrigten und Beleidigten, die er einem gottfreien Glauben darbringen will.
Das im Kriegsjahr 1915 entstandene Poem "Wolke in Hosen", dessen eigentlicher Titel "Der dreizehnte Apostel" von der zaristischen Zensur verboten wurde, formuliert in seinen vier lyrischen Exkursen über Liebe, Revolution, Poesie und Religion ein neues Evangelium. Mit kräftiger Umgangssprache im hohen Odenton verwandelt der Dichter seine Liebesklage in die Klage aller Leidenden, preist das Leben über alle Buchweisheit, rebelliert gegen Gottes menschenfeindliche Ordnung und sagt nebenbei die russische Revolution voraus. Majakowskis Markenzeichen, die vielfältigen Stamm-, Binnen-, Stabreime, welche die vom rhetorischen Impuls getragenen Verse zusammenhalten, verleihen dem Werk eine zwingende Wucht, die in einer Übersetzung nachzuahmen ebenso wichtig wie problematisch ist. Dies hat mit seiner Neuübertragung nun Alexander Nitzberg unternommen, der beansprucht, Majakowski endlich als Sprachneuerer zur Geltung kommen zu lassen, im Gegensatz zu dem bieder-kommunistischen Hugo Huppert oder dem verhaltenen Karl Dedecius. Der sprachliche Einfallsreichtum Nitzbergs, der "Überschwang erschafft" auf "Schwangerschaft" reimt, vermittelt tatsächlich etwas von der expressiven Magie des Originals. Freilich, jede Sprache ist eine eigene Welt. Sprachschöpfungen, die im Russischen folkloristische Wärme haben, etwa die Wendung "Morsch werden im Mund der Worte krepierte Krüppel", klingen auf deutsch expliziter, beinahe überanstrengt. Und wenn Nitzberg den Titel des Poems, ein Bild für den vergeistigten Mann, mit "Wölkchen" statt "Wolke" übersetzt, weil das russische Wort "oblako" nur die Schäfchen-, niemals die Gewitterwolke meint, so hat er philologisch nicht unrecht, verleiht dem Werk aber einen Namen, der biedermeierlich und satirisch klingt, aber nicht wie Majakowski.


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