Birgit Kempker Vom angenehmen Leben Wie geht denn das Leben? Angenommen, jede/jeder nimmt was an. Sehen Sie: Sie nehmen Geschlecht an. Sie nehmen Namen an. Sie nehmen Bonbons an. Sie gehen mit anderen ebenfalls Angenommenen in den Wald und werden genommen. So weit so gut. So weit so verschlugen, inanspruchgenommen, ausgeweidet, ausgenommen, entkernt, geschält, gehäutet, einverleibt und in- und auswendig gelernt; ettiketiert, annektiert, kolonialisiert / Urbarmachung, Aneignung, Taufe, Verwandschaft, Familie, Inzucht, Zusammenhalt im Wald. Wald sei hier bitte Metapher. Metaphern sind von Haus aus angenehm. Sie sagen es und sagen es nicht. Sie stehen für etwas, was sonst da stünde. Es ist angenehm, wenn der Stellvertreter die Kartoffeln aus der Hitze holt. Noch angenehmer ist gar keine Hitze. Das Laue ist das Angenehme schlechthin. Gott hasst die Lauen, wenn Lars von Trier in «Europa» Gott richtig zitiert. Nehmen Sie an, Sie nähmen diesen Auftrag an, dann nimmt sich Ihrer nach einigen Sätzen zuerst beim ersten Wort ja schon Gertrude, Gertrude Stein, dann Bartleby, der Schreiber per Melville und damit, mit Moby Dick und dem Meer Welle um Welle, der Komplex der Wiederholung an, Wiederholung, Sie werden sehen, jetzt Kirkegaard, und ob es Ihnen gefällt oder nicht, und in diesem Fall ist es auch einer, immer ist es die Matrix, sie fallen tief in den Wald, Sie wissen schon: die Metapher, macht nichts, ich duze Sie jetzt: Du zählst jetzt eins, zwei, drei. Du warst kurz in Europa. Du zählst jetzt vier, fünf, sechs. Du fällst, du bist ins Gras gefallen, durch einen Tunnel, auf eine Matratze, überzogen mit Muster, mit Blümchen, ein Ornament, ein Sperling, das Bonbon im Mund, in der Tasche, in der klebrigen Hand, die Bezüge verschmiert, das Auto hupt, ein Regen, ein Sperma, Schenkel, das Wort: Schenkel blitzt und ohne Laterne, nimm schnell das Leben von hinten, Mädchen, wirf Nebel auf den Wald, mit der Streichholzschachtel, Mädchen, das im Hemd steht, weiss, es regnet und die Autos hupen, Ampel, sagt jemand, aber es waren die Sterne, es war ein Desaster, es floss Blut aus dem Kinn. Ampel sagt später jemand aus Wien. Peter, Peter Waterhouse, Ampel als rückwirkender Trost, als Wiederholung der Strasse, ohne Blut, ohne Kinn, Kind aber war angenehm, war möglich auf der Strasse, Kind wie Regentropfen, auch Rot war angenehm, war möglich, wegen Ampel, Anselm heisst ein Kind. Amsel heisst ein Vogel. Einer heisst mit Nachnamen Glück. Ich werde Mama fragen, wie der See hiess, in dem ich ertrank. Es war in Österreich. Er hiess Plansee. Wie hat denn alles angefangen? Nimmst du an, fragte mich das Leben, Wie würden Sie das übersetzen? ich würde lieber nicht, sag ich, I would prefer not to. Sehen Sie: Sie stehen auf der Lichtung und würden lieber nicht. Du nimmst jetzt ein Blatt. Du schreibst jetzt: Lichtung. Du schreibst jetzt: nicht. Du streichst jetzt zweimal das «ich» durch, Du schüttelst und rüttelst das Blatt, und in den Schoss schwarz wie die Raben fällt, tandaradei: tunngl in den Wald, es sei wie es sei. Wir wollen, dass es so wird, wie es war. Wir wollen, dass es gut war, wie es war, wo wir in Ruhe nicht getrennt furchtlos ununterschieden waren. Fangen wir an. Jede/jeder hat einmal fremde Hände gesehen. Sie kennen das. Dann haut die Hand auf den Po und Sie schreien. Sie erinnern sich. Wenn Sie nicht schreien, schaffen Sie es nicht. Wegen Schleim im Tunngl. G steht für Schleim. Tunngl steht für Hals und für Tunnel. Hals steht für Angst. Starten wir Exempel. Nehmen wir die Wanne. Es ist angenehm, wenn ich in der Wanne liege und nicht weiss, dass es angenehm ist. Ich weiss nicht, dass ich in der Wanne zum Thema angenehm liege, die Wanne weiss nichts, nicht, dass sie weiss ist, Email, angeschlagen, nichts. Wenn ich es wüsste, wäre es sehr unangenehm, dies alles zu wissen, was in der Wanne liegt, die Organe, das Blut, die Geschlechtsteile, und ich selbst das viele Wasser und das Salz, und dass ich nicht mehr lange so liege, bald gar nicht mehr, mal lag ich krumm mit Nabelschnur; keine Angst zu ersticken, nicht geboren zu sein nicht, geboren zu sein nicht, von Tutt und Blasen keine Ahnung in meiner Blase ich. Starten wir Exempel. Nehmen wir die Schuhe. Bequem ist angenehm, wenn es Schuhe sind. Für die Füsse angenehm. Im Kopf diese Stelle, die dem Ich sagt: angenehm, Schuhe, die angenehm sind, sind Schuhe, die wie keine Schuhe sind. Da ist es. Was angenehm ist, ist, was nicht ist, obwohl es ist. Wenn die Schuhe angenehm sind, sind nicht nur die Schuhe nicht, auch die Füsse sind nicht. Die Waden sind nicht. Die Knie sind nicht. Der Rumpf ist nicht. Der Kopf ist nicht, aber die Stelle im Kopf, die sagt, dass es angenehm ist, dass es nicht ist, ist. Etwas ist. Ohne Schmerz geht nichts. Ohne Körper kein Schmerz. Ohne Schmerz geht kein Körper. Zurück zum Kopf. Eine Stelle, die sagt, dass es angenehm ist, muss nicht selbst angenehm sein. Sie kann gar nicht angenehm sein. Zurück zum Schuh. Wenn die Schuhe angenehm sind, ist die Strasse nicht. Aber die Strasse ist und ich bin auch auf der Strasse. Ich lande bald. Ich bin auf dem Weg zur Universität. Die Universität ist in Zürich, die Schweiz gibts. Die Strasse in der Schweiz gibts. Die Universität in der Schweiz gibts, daran rüttel ich nicht, denn ich will nicht wiederholt auf der Strasse im Hemdchen mit nacktem Po und im Regen stehen, denn ich habe angenommen, vom angenehmen Leben/Ein Auftrag zu berichten und davon im Zug Oskar, Oskar Pastior, berichtet, der das für eine Sache ohne Punkt und Komma hielt und aus dem Raucher zurück sagte er, vergiss das Müssen nicht, Birgit, das Müssen und nicht können, vergiss, so Oskar, die stillen Örtchen nicht, die Annehmlichkeiten, die Erleichterung bieten, die Gelegenheit zur Erleichterung, und ich wusste blitzplötzlich, dass es mehr Angenehmes als Erleichterung in einem Menschenleben nicht gibt. Am radikalsten erleichtert ist das Menschenleben, wenn es sich um sich selbst erleichtert. Doch radikal erleichert sein ist nicht angenehm. Es war angenehm mit Oskar im Zug. Überhaupt sind Züge angenehm. Und doch war es im angenehmen Sinn angenehm mit Oskar im Zug, weil es war und es war nicht, es war nicht bequem, aber es war ja auch Oskar und kein Schuh. Es war auch nicht als wenn Oskar ein Schuh wär, wegen dem die Strasse nicht ist. Es war überhaupt nicht wie nicht. Während es war, war es weniger als später, als es nicht mehr war, was ein Indiz für angenehm war, dass es wie im Flug geschah. Später hatte ich dieses «gl» im Hals stecken, wovon Oskar sprach und sein Gesicht dazu mir gegenüber und vieles, was nicht hier hin gehört und was hier auch nicht ist, wir hatten uns angenommen. Wir hatten uns adoptiert für ein Reiseweilchen. Ich trank seine Brause und ass seine Waffeln, er nahm von meinem Kaffee. Wir waren mit Aufträgen unterwegs, von denen wir wussten und andere wussten wir nicht, das waren die angenehmen. Obwohl seine in Berlin und meine in Braunschweig endet, enden solche Reisen nicht. Wir waren wie schon immer unterwegs, wir sagten: parallele Agenten, wir waren einverstanden, obwohl wir genau von Raben wussten, von rabenschwarzen Raben und Waggons, von Transport in Europa, und dass dieser Auftrag läppisch war im Vergleich dazu und uns ablenkte, angenehm ablenkte, auch vom Ertrinken oder Erhängtsein, Erwürgtsein, wir münden in Thema Erleichterung, die uns in den Schoss fiel, lap, Schoss, läppisch, wir kannten die Reihe, die Regel, taten sie in den Laptop und vergassen es. Ich stehe mit Oskar, Inger, Gertrude, Louise, Peter und Herman im Gepäck. Wie ist das alles gekommen, dass ich auf der Strasse in Schuhen mit so vielen Leuten steh. Gegen Panik hilft nur Ordnung, sagt Louise, Louise Bourgeois, die sechste im Bunde, bleib noch etwas im Rucksack, Louise. Im Busche? Da rauschte es auf der Strasse. Rausch ist das angenehmste, weil ich bin und nicht bin zugleich, ich verliere mich nicht, ich finde mich nicht. Totsein gehört nicht dazu. Ich weiss nicht, wie es ist, wenn ich tot bin. Vielleicht stecke ich tot und allein in einem schwarzen Tunngl und suche das «e» und verfluche das «e». Wieso hab ich in diesem sprachschänderischen Leben vor Tunngl nicht halt gemacht. Was hab ich mit dem «e» gemacht? Was macht im Tunngl das «g»? Das «g» ist der Fehler im Tunngl. Fehler sind Pferde. Ich habe nie Pferd sagen können. Ich hab Pferd immer wie Vater gesagt. Ich habe Vater immer mit Fischef geschrieben. Zu deutsch: des Ich steckt hier knietief im Tunngl, wie die Zunge hinten im Hals, und zählt Süssigkeit. Die Süssigkeit. Ich weiss nicht, ob Sie das kennen, Sie sitzen und fragen sich, wer Sie sind, Sie fragen z.B.: Birgit, qui est tu? Und Sie sagen: tué. Was für eine Antwort. Obwohl sie sonst nie französisch sprechen. Es ist wie nach einem Unfall. Eine andere Sprachregion übernimmt die Funktion. Maleur? Fürchterlicher Karfreitag, sei bei mir, bitte mein Schmerz, liebe mich. Fütter mich, wixe mich, gib mir Milch, brauche mich, töte mich, steche mich. Wer sind Sie, wenn die Antwort auf die Frage, wer Sie sind, tu/eacute; ist, wenn es nicht in ihrer Sprache ist. Ihre Sprache. Ihr Leib. Ihre Liebe. Ihr Spatz. Ihr Herz. Ihr Bett. Ihr Hintern. Ihr Schatz. Besitzen, Begreifen, Gehören. Brennen. Stammhirn, Vorderhirn, Hinterhirn. Stammeln. Du bist ein Desaster. Eine Sternenkonfusion. Du bist diffus. Du bist ganz durcheinander geraten. Du bist ja noch gar nicht angekommen. Fasse dich. Binde mich. Schlage mich. Halte mich. Halt mich fest. Fessel mich. Wer Sie sind? Tué. Tu est, du bist, was getötet ist. Was sage ich? Ich sage, dass Sie ausgestorben sind. Dass Sie Hülle sind. Wüste. Buschbrand. Amputation, Ausschabung: schröpfen, bluten, schaben: nisten. Sie sind jemand, der Göttern schmeckt, nicht Menschen. Sie werden sehr genossen. Sie werden zerstückelt, zubereitet, verteilt, gefressen und gegossen. Sie machen die Toten glücklich. Sie füllen sie mit sich. Was ist Tué. Thanatos und Tantalus, Amalgam, Gift im Zahn, vier fünf sieben, steht geschrieben: Töte nicht. Die Handvene platzt. Das Schlüsselbein renkt sich aus. Der Halsmuskel hält den Kopf nicht. Der Kopf will nach links. Du siehst dir über die Schulter. Du hast dich verguckt. Du hast doch das Schreiben, schreibt er, hast du dann die Liebe nicht? Sind Sie das in der Hecke? Seit Tausend Jahren? Tu est. Töte dich. Ich duze Sie. Du bist es. Du bist noch nicht ganz tot. Ich warne Sie. War das verständlich? Es geht um den Rest. Die Lücke. Das Glück. Sie bitten, viens, das ist ja französisch, komm, komm zurück, da leckt sich der Geist die Schnauze, sein Appetit wächst, wächst riesengross auf Sie zu wie die Hecke, Sie wissen schon, da ruft eine Stimme: halt dicht. Sie sind eine Süssigkeit Gottes. Sie schmecken dem Gott noch nicht. Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor |