Kenneth Koch aus: The Art of Poetry Some poets like «saving up» for poems, others like to spend incessantly what they have. In spending, of course, you get more, there is a «bottomless pocket» Principle involved, since your feelings are changing every instant And the language has millions of words, and the number of combinations is infinite. True, one may feel, perhaps Puritanically, that One person can only have so much to say, and, besides, ten thousand poems per annum Per person would flood the earth and perhaps eventually the universe, And one would not want so many poems - so there is a «quota system» Secretly, or not so secretly, at work. «If I can write one good poem a year, I am grateful,» the noted Poet says, or «six» or «three.» Well, maybe for that Poet, But for you, fellow paddler, and for me, perhaps not. Besides, I think poems Are esthetecologically harmless and psychodegradable And never would they choke the spirits of the world. For a poem only affects us And «exists,» really, if it is worth it, and there can't be too many of those. Writing constantly, in any case, is the poetic dream Diametrically opposed to the «ultimate distillation» Dream, which is that of the exigent poet. Just how good a poem should be Before one releases it, either from one's own work or then into the purview of others, May be decided by applying the following rules: ask 1) Is it astonishing? Am I pleased each time I read it? Does it say something I was unaware of Before I sat down to write it? and 2) Do I stand up from it a better man Or a wiser, or both? or can the two not be separated? 3) Is it really by me Or have I stolen it from somewhere else? (This sometimes happens, Though it is comparatively rare.) 4) Does it reveal something about me I never want anyone to know? 5) Is it sufficiently «modern»? (More about this a little later) 6) Is it in my own «voice»? Along with, of course, the more obvious questions, such as 7) Is there any unwanted awkwardness, cheap effects, asking illegitimately for attention, Show-offiness, cuteness, pseudo-profundity, old hat checks, Unassimilated dream fragments, or other «literary,» «kiss-me-I'm-poetical» junk? Is my poem free of this? 8) Does it move smoothly and swiftly From excitement to dream and then come flooding reason With purity and soundness and joy? 9) Is this the kind of poem I would envy in another if he could write? 10) Would I be happy to go to Heaven with this pinned on to my Angelic jacket as an entrance show? Oh, would I? And if you can answer to all these Yes Except for the 4th one, to which the answer should be No, Then you can release it, at least for the time being. I would look at it again, though, perhaps in two hours, then after one or two weeks, And then a month later, at which time you can probably be sure. To look at a poem again of course causes anxiety In many cases, but that pain a writer must learn to endure, For without it he will be like a chicken which never knows Manche Dichter «sparen» gern auf Gedichte, andere geben lieber pausenlos aus, was sie haben. Natürlich kriegst du im Ausgeben gleich wieder was rein, das hat zu tun mit dem Prinzip «Faß ohne Boden», da unsere Empfindungen sich in jedem Augenblick verändern Und die Sprache Millionen von Wörtern kennt, deren Kombinationsmöglichkeiten unbegrenzt sind. Wohl wahr, man könnte auf die Idee kommen, etwas puritanisch vielleicht, Daß jeder Mensch nur soundsoviel zu sagen haben kann und daß außerdem zehntausend Gedichte pro Nase Pro Jahr die Erde überschwemmen würden und letzten Endes das gesamte Universum, Und soviele Gedichte will ja niemand, weshalb da eine «Quotenregelung» - Heimlich oder gar nicht so heimlich - am Werke ist. «Wenn ich im Jahr ein gutes Gedicht schreibe, Bin ich dankbar», spricht der berühmte Großdichter, oder «sechs», oder «drei». Mag hinkommen, für jenen Kollegen, Aber für Fußsoldaten wie dich und mich vielleicht auch nicht. Nebenbei halte ich Gedichte Für ästhetökologisch unbedenklich und psychisch abbaubar, Nie würden sie die Lebensgeister unter sich begraben. Denn ein Gedicht erreicht uns nur, «Existiert» nur wirklich, wenn es etwas taugt, und von solchen kann es gar nicht genug geben. Schreiben ohne Unterlaß ist auf alle Fälle der Dichtertraum, Der jenem vom «letztendlichen Destillat» diametral Entgegengesetzt ist, dem des anspruchsvollen Dichters. Wie gut genau ein Gedicht sein sollte, Bevor man es entläßt, aus der eigenen Werkstatt und den anderen unter die Augen, Ist anhand folgender Leitlinien zu entscheiden: Frage 1) Setzt es in Erstaunen? Bin ich selber zufrieden damit bei jedem neuen Lesen? Spricht es etwas aus, das mir nicht bewußt war, Bevor ich mich hingesetzt und es geschrieben habe? 2) Stehe ich auf vom Tisch und bin ein besserer Mensch, Ein weiserer, oder beides? Oder sind die zwei gar nicht zu trennen? 3) Ist es wirklich von mir Oder habe ich es irgendwo geklaut? (Dies passiert gelegentlich, Wenn auch vergleichsweise selten.) 4) Offenbart es etwas über mich, Das kein Mensch je erfahren sollte? 5) Ist es hinlänglich «modern»? (Mehr hierzu weiter unten) 6) Trägt es meinen eigenen «Ton»? Und daneben natürlich die auf der Hand liegenden Fragen, wie etwa 7) Gibt es unangenehm linkische Stellen, billige Effekte, ein Buhlen um Aufmerksamkeit, Protzereien, Niedlichkeiten, Pseudotiefsinn, alte Hüte um drei Ecken, Unverdaute Traumfragmente oder sonstwie «literarischen», «Küß-mich-ich-bin-so-poetisch»-Tinnef? Ist mein Gedicht frei von all dem? 8) Bewegt es sich reibungslos und rasant Von der Erregung zum Traum und kommt dann über den Verstand und durchflutet ihn Mit Reinheit, Makellosigkeit und Wonne? 9) Ist es ein Gedicht, wie ich es Einem anderen, der's so hinbekäme, neiden würde? 10) Würde ich gern in den Himmel kommen mit diesem Ding an die Brust Meines Engelhemdchens geheftet, als Visitenkarte? Na, würde ich das? Und wenn du zu all diesen Punkten Ja sagen kannst, Mit Ausnahme des vierten, bei dem die Antwort Nein lauten sollte, Dann kannst du es loslassen, zumindest für den Augenblick. Allerdings würde ich es nach circa zwei Stunden noch mal ansehen, dann ein, zwei Wochen später Und schließlich nach einem Monat, ein Zeitpunkt, zu dem du dir deiner Sache wohl ziemlich sicher sein kannst. (Übersetzung: Uli Becker, aus: Kenneth Koch, The Art of Poetry. Ballade: Zwei Gedichte, in: ZdZ Heft 16.) |