Birgit Kempker Zusammenfassung eines Gesprächs mit Birgit Kempker von Martina Leeker Ich möchte erläutern, was mich am Biofeedback ansprach. Meine ursprüngliche Affinität hat mit meiner Art des Schreibens zu tun. Beim Schreiben interessiert mich vor allem ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Zwang. Z.B. dass ich gezwungen bin, Grammatik und Sprachstrukturen, d.h. Regeln anzuwenden und dass ich Kategorien hinzufüge, die gegen diese Regeln verstossen. So komme ich in ziemlich auswegslose Situationen, nämlich fremde, d.h. ungewohnte Dinge denken und sagen zu müssen und dann wieder durch die Vorgaben der Sprachregeln konkret, praktikabel werden zu müssen, sagen wir ruhig: im Sinne der Verständigung. Teilweise stellt sich ein Denken ein wie: Da bin ich, da hab ich meinen Fuss richtig zu Hause drin, das kenne ich, ich kenne Butter, Fische, ich kenne doch Tango, ich kann ihn auch tanzen, ich kenne die Regeln - doch es passt nicht alles zusammen, wie ich die Dinge einerseits kenne und andererseits sprachlich zu verknüpfen gezwungen bin. Mich interessiert, dass auf beiden Seiten, auf Seiten des Schreibens und des Lesens, übrigens auch des Lebens, Sprünge gemacht werden müssen, und dass disperate Erfahrungen so schnell nebeneinander parallel sind, dass sie wie aufeinander wirken. Durch das Tempo meiner Texte und durch ihre ständige Überarbeitung entsteht eine Art, man könnte sagen: Plötzlichkeit, aus der im besten Fall ganz von selbst Überraschendes auftaucht, sich kurz zeigt und dann wieder abtaucht. Ausserdem: wenn du wirklich schnell arbeitest, kommt eine Vitalität ins Spiel, weil du in Situationen kommst, aus denen du dich retten musst. Ich mag es, hart mit den Regeln zu arbeiten und mit Instinkt. Ich mag nicht, Nonsens zu schreiben, mag aber das Gedicht von Lewis Carroll: "The Hunting of the Snark" ganz ausserdordentlich, eine "Agonie in acht Krämpfen", die sich immer innerhalb und mit den Sprachregeln vorwärts rudert und für mich höchstens in diesem Sinn ein Nonsens-Gedicht ist, dass es sehr streng mit Sinn spielt. Lautmalerisches ohne die Logik herauszufordern ist nicht meine Sache. Sprache ist etwas sehr Sperriges und Widerständiges. Ich möchte mich darin bewegen und Sprache mit sich selbst "austricksen". Mit dem Austricksen kommt es zu einer merkwürdigen Auflösung. Du sagst Sätze, auf die ihr euch geeinigt habt. Sprache ist Konvention, eine ist, dass die Sätze funktionieren zwischen, meist, Leuten. Plötzlich aber hörst du den Subtext der Sprache und dann noch einen, und dann den Nebentext. Zum Beispiel: In Engel steckt Enge. In Enge steckt Engel ohne Buchstaben l. Wenn der Engel nicht will, dass in Gestalt seines Namens die Enge steckt, flüchtet er sich in den Buchstaben l, was typisch ist für den Engel: innerhalb von sich selbst ausser sich sein. Wenn ich das mache, lachen die Leute eine Zeit lang. Du kannst kaum noch Sätze sagen, ohne dass er wie ein Echo andere Sätze hat. Kaum ist gelogen. Nie. Im Grunde aber beginnst du in solchen Momenten die Wirklichkeit der Sprache zu hören, die verschüttet ist. Sprache wird zur Kommunikation missbraucht. Sprache ist für mich aber ein Lebewesen oder wie etwas anderes, das real ist und gegossen, gefüttert und genossen sein will. Sie hat ihre ganz eigenen Gesetze und Schönheiten, wenn du hinhörst und sie nicht nur benutzt. Vor diesem Hintergrund meiner Art des Schreibens und meines Zugangs zur Sprache, interessierte ich mich für Biofeedback. Wie angeblich das Biofeedback erscheint mir das Schreiben als ein selbstentzündlicher Prozess. Da ist ein Satz, er wirkt auf mich, daraufhin verändere ich den Satz, er wirkt wieder auf mich zurück, und langsam verändern sich die Sätze und ich selbst. Wenn ich diesen Selbsterregungszustand sehr weit treibe, kann ich den Boden unter den Füssen verlieren, die dann z.B. im Himmel wurzeln wollen, was auch schön ist, aber nicht praktisch. Ich wollte erkunden, ob es möglich ist, diese Selbsterregungszustände zu messen und auch, was ein bestimmter Sprachgebrauch mit uns macht. Kannst du zu zweit oder zu dritt in einen Selbstentzündungskreis kommen? Kannst du mit mehreren den Boden verlieren und dadurch neuen gewinnen? Ein zweiter Auslöser für mein Interesse am Biofeedback war eine Arbeit von mir und meinem Bruder mit Stimmen. Wir haben versucht Stimmen dort einzufangen, wo sie knicken. Dabei handelt es sich um Momente, in denen auf verschiedenen Ebenen etwas passiert: mit der Sprache, mit den Gedanken, mit dem Körper, mit den Erinnerungen. Mich interessieren diese Kippmomente. Wir haben mit pubertierenden Jünglingen gearbeitet, bei denen die Stimmen tatsächlich brechen, aber auch mit Klaus Theweleit, dessen Kippen mitten im Satz und dessen Stimme, damit eben auch dessen Geist und Sprache uns faszinierte, auch wegen der Sanftheit, möglicherweise auch schweifenden Vagheit seiner Sätze, die auch eine Studie über die Möglichkeit des Sprechens ohne Hierarchisierung sein könnte. Das Projekt hiess: Übung im Ertrinken, war eine Klanginstallation für verschiedene Räume, unter anderem auch für ein Compact-Buch, Buch mit CD. "Übung im Ertrinken" ist eine Aufforderung, Einladung, vielleicht auch Verführung, das Denken und den Körper etwas loszulassen und verschiedene Phasen der Leichtstofflichkeiten auszuprobieren, zu floaten, um ein übliches Wort zu verwenden, das heisst ein Wort mit der dazugehörigen Erfahrung, was ja auch im Wasser, z.B. im Somali-Tank geschieht. Das besondere an dem Floaten in Räumen, auf Liegestühlen und unter Kopfhörern, war die Möglichkeit, dies gemeinsam zu tun, das Angebot grosse Intimität bei gleichzeitig grosser Distanz zu erfahren. Es wäre nicht nötig miteinander zu reden, sich auch nur anzusehen, wäre nicht nötig, um aber doch sehr zusammen zu sein. Das mag ich. Über diese Arbeit, übrigens auch über die Liegstühle, das gemeinsame Körper-neben-Körper-Liegen und -Hören, kam ich auf die Tomatis-Methode. Ich wollte wissen, was geschieht, wenn Stimmen in bestimmten Frequenzen auf den eigenen und anderen Körper treffen. Tomatis war Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Er ging, grob gesagt, davon aus, dass du durch die Knochen, das Skelett, hörst und durch das Ohr. Wenn diese beiden Hörkurven zu unterschiedlich sind, können sie den Körper aus dem Gleichgewicht bringen und/oder umgekehrt. An den Hörkurven könne ein geübter Tester ablesen, an welcher Stelle der Körper zuviel z.B. über die Knochen hört, also undicht ist, oder auch zuwenig. Ich habe eine solche Tomatis-Kur gemacht. Mein Hören hat sich zunächst verändert. Ich konnte dies an den Kuven ablesen, hatte auch das Gefühlt, dass sich noch etwas anderes verändert in mir. Ich hörte besser, nach einiger Zeit, Menschen mit sehr tiefen Stimmen wären vorher aus meinem Repertoire herausgefallen, plötzlich drängten sie sich herein und bekamen ein Gewicht, das ich nicht länger ignorieren konnte. Allerdings setzt diese Methode mit Menschen zu arbeiten ein Denken voraus, das glaubt, Menschen verändern zu können via technischem Eingriff, indem Frequenzen eingetrichtert und damit Frequenzänderungen, d.h. das Wahrnehmen von einem geänderten Frequenzspektrum, vorgenommen werden, also eine Art Umprogrammieren. Ich selbst fände dies nur innerhalb eines sehr komplexen Prozesses akzeptabel, der mir ermöglicht, selbst mit einem Handwerkzeug umzugehen. Wie geht das vor sich? Du hörst z. B. zwei Stunden speziell für dich auf Grund der Diagnose deiner Hörkurve "gefilterten Bach", und dieses Filtern kannst du nicht selbst bestimmen und vornehmen, sondern nur die Tomatis-Experten mit ihren eigenen Tomatis-Maschinen, und dann hat sich in deinem Hirn etwas verändert. Du selbst bist ziemlich passiv dabei, auch wenn es eine Entscheidungsmöglichkeit gibt beim Hören, ein psychisches Weghören, hoffe ich. Diese Befürchtungen bezüglich des unerlaubten und unkontrollierbaren Eingriffs hatte ich auch beim Biofeedback. Dazu kamen zunehmend beim Kennenlernen die Enttäuschungen in Bezug auf die Qualität der eingespeisten Töne und Bilder, die meist als eine Art Metapher oder schlimmer noch Illustration für körperinnere Reaktionen galten, also diese repräsentieren sollten und von mir, als Experimentalkörper, akzeptiert sein wollten. Dies konnte nicht gut gehen, weil mir die Idee der Metapher, also einer Sache, die für etwas anderes steht, immer schon körperlich zuwider war. Aber was war mit mir los? Ausgerechnet beim Umgang mit den Maschinen hatte ich mir vermutlich einen noch unmittelbareren Kontakt zwischen Magen und Magen oder Herz und Herz, etc. vorgestellt, also sogar ohne "Schnittstelle Sprache", quasi Haut zu Haut, was ein Unsinn war und noch mehr Unsinn, sich dies via Maschine vorzustellen, was in Science-Fiction-Welten üblich ist, und dann wieder via Sprache, oder eben in Gebieten, wo der Körper in seiner feststofflichen Art keine Rolle mehr spielt, in sogenannt esoterischen Techniken des Aussersichseins, in schamanistischen Settings, mit denen sich Maschinenmeister wie Horst Prehn in Verbindung gesetzt sehen möchten, nur seh ich das nicht. Die Frage, wie hört mein Darm, bleibt unbeantwortet. Vor lauter Metaphernabwehr bin ich selbst auf eine Metapher hereingefallen, auf die der Maschine und auf das Wort Interface- Schnittstelle, als ob sich da etwas zwischen den Gesichten abspiele und mit Schnitten zu tun habe. Wobei ich sowohl Gesichte und Schnitte aufgeladen hatte mit schönen Ängsten und Bedeutungen. Kurz: ich hätte mir gern vorzaubern lassen und hätte gern mitgezaubert, Menschen via Maschine hautnah, transkutan und über Ozeane hinweg zu berühren, auszulösen und die Wirkung der Berührung, das Ausgelöste wieder ohne Zeitverlust, ohne die Behäbigkeit von Raum und Zeit in einer Gleichzeitigkeit pfeilschnell zurückwirken zu lassen, Lust auf einen süsse Loop, also bin ich wieder auf eine Metapher hereingefallen: homo lupus, der spielende Mensch hiess für mich, der Mensch als Wolf und Schlaufe (und ihm inhärent das Schaf, nicht das Sein). Zurück zum Experiment: ich war furchtbar enttäuscht. Erstens weil es nie schnell genug überhaupt stattfand, - Technik ist schwerfällig, voller Widerstände, und bis sie überhaupt mal in Gang kommt, müssen Autos, Laster, Birnen, Pakete, elektrische Widerstände geholt, ausgetauscht, repariert, abgeschraubt und das schlimmste: budgetiert und genehmigt werden, - sondern statt dessen tagelange Vorträge darüber, wie etwas wäre, wenn ich es erfahren könnte. Hier habe ich die Macht derer, die über Maschinen verfügen und diese beherrschen oder zu beherrschen behaupten, kennen und fürchten gelernt: Ich kam mir wie vor einer riesigen russischen Mutter vor, einer Maschinenmutter mit Maschinenmutterhelfern, die ununterbrochen auf mich einredeteten, mich umzingelten, wie ein Einwegsystem, aus dem es kein Entrinnen gibt, quallenartig, und die mir sagen, wenn du das alles hübsch mitmachst, mein kleiner dummer Schatz, dann zeig ich dir, wenn du brav warst und wenn du mich verstehst, wenn du so eine Art Filiale von mir bist, eine Unterabteilung meines russischen Müttersystems, wenn du in meinem Kopf und in meinem Bauch sitzt, dann zeig ich dir ein paar hübsche Maschinen, die funkeln, werfen Licht, doch hüte dich. Es hat schon etwas Anziehendes, in einen Sog hineingestrudelt zu werden und dort ohne Konturen, Verantwortung, ohne lästiges Ich also, unterzugehen. Doch leider waren hier keine wundersamen Delphine, sondern z.B. Töne, die durch die Messungen meiner Körperreaktionen ausgelöst wurden, Synthezisertöne in die Maschine hineingefüttert mit willkürlich zugeordneten Frequenzen. Z.B. mehr Hautwiderstand, schrillere Töne oder bei den Farben weniger Atmen: blau, viel Atmen: rot. Dass wir im Experiment etwas mit diesen Tönen zu tun hätten, war mir nicht erkennbar. Es war Unsinn, weil kein Zusammenhang ausser Willkür sich zeigte und was ich schmerzhaft empfand, autoritäre Selbsterfahrungsästhetik. Höchstens bei Experimenten mit dem Atem konnte ich nach einem Reiz-Reaktionsschema rückschliessen: Atem, An/Aus, Flackern der Dias. Mehr Atmen, mehr Flackern. Weniger Atmen, weniger Flackern. Selbst aber warum ich mehr oder weniger atmete, blieb unerforscht, vielleicht doch eine gelungene Rückkopplung, weil ich mich über die Dias ärgerte? Natürlich sind diese Erfahrungen persönlich und nicht gerecht. Was ich dennoch faszinierend fand, war, dass wir in allen, auch in den allersinnlosten Situationen, zumindest ich bin so und das ist ein wirklicher Fund für mich sehr persönlich und auch erst im Nachhinein gewesen, Sinn suchen und erkennen. Ich durfte einer Überlebensstrategie ins Auge blicken. In einem dunklen Raum hätte ich vermutlich mehr Informationen über meinen Körper und sein Reagieren auf Töne, Dunkelheit bekommen als durch das Material der Maschine, die durch Menschen manipuliert wurden, das heisst mit Bild und Ton gefüttert, die ich als meine eigene Körperwahrheit adoptieren sollte, nie aber soviel über mein perfektes Sinnsetzungssystem. Mit meinem Vorstellungsvermögen, mit meinem Rhythmusgefühl, mit meinen Erkenntnismöglichkeiten und erst recht mit meinen körperlichen Reaktionen, geschweige denn mit meinem Körpergefühl und Intelligenz hatten die Bilder und Töne, die ich auslösen durfte in den Prehnschen Apparaturen nichts zu tun, ich empfand sie zunächst unmittelbar als Beleidigung. Liebe Martina, ich habe das von Dir zusammengefasste Interview noch einmal abgeschrieben, damit ich es Dir als e-mail zurückschicken kann. Dabei sind ausser den anfänglich vorgesehenen kleineren Korrekturen einige Einschübe passiert, die ich gerne eingeschoben lassen möchte; gleichzeitig bitte ich Dich, diesen Brief an Dich anzuhängen. Als ich von der Hellerauer Erstbegegnung im Zug nach Hause fuhr, sah ich im länglichen Spiegel der Zugtoilette ein bräunliches Pflaster knapp über dem Steissbein, ich vermute genau an dem Ort, wo punktiert wird, um Hirnflüssigkeit abzulassen und Kontrastmittel einzuspritzen. Ich riss das Pflaster ab, spülte es weg, setzte mich auf meinen Platz und erst später, wieviel später? springe ich auf in die Zugtoilette und betaste die Stelle. Dann fass ich mich ans Herz und sehe die Klebespuren vom Pflaster im Spiegel, dazwischen einen roten kleinen Punkt. Natürlich halte ich alles für einen Spuk. Ich schliesse Realitätsverlust aus und mache mir Gedanken über Bettzeug, das in der Wäscherei mit Pflastern gekennzeichnet wird, auf meine Haut im Schlaf geriet und nicht abgeduscht wurde. Ich hatte geduscht und das Pflaster wurde nicht abgeduscht, wenn es in der Nacht an mich kam. Kam es aber in der ersten Tageshäfte vor Betreten des Zugs an mich, müsste ich mich mit dem Rücken, und zwar unbekleidet, an einer Wand geschabt haben, die das Pflaster an mich abgab. Zuvor müsste sich jemand an der Wand geschabt haben, auch unbekleidet, der oder die das Pflaster an die Wand abgab. Wenn es nicht im Zug war, dann war es in Hellerau. Meine Zimmertür stand offen und das einfachste wäre zu denken, einige von diesen gut ausgebildeten und auch ausgerüsteten Leuten haben mir ein kleines Chip inplantiert oder von meinem Hirnwasser getrunken. Mach nicht schlapp, denk weiter, dachte ich. Ich hatte nach dem Duschen morgens ein hauseigenes Handtuch verwendet, rosa, und wenn sich die Dame, die mir das Handtuch reichte, zum Beispiel eine Nagelbettverletzung zugezogen hatte und während sie mein Handtuch aus dem Schrank nahm, sich gleichzeitig verarztete, weil das Erste-Hilfe-Köfferchen neben den Handtüchern stand, und statt das Pflaster auf die Haut zu kleben, aufs Handtuch, also unverarztet blieb und ihrer Pflicht gegen mich aber nachkam und mir das Handtuch reichte, wie das ja manchmal bei Zerstreutheit passiert, auch gar nicht auffällig gewesen wäre, das Rosa und die Hautfarbe, wäre das auch wahrscheinlich. Liebe Martina, da siehst du, wie ich, kurz war ich in Hellerau, eine leibhaftige Schnittstelle war und bin und bleibe und über Metaphern nur lachen kann. Basel, 21. Juni 2000 |