Michael Braun Planet Beltà WDR 3, Gutenbergs Welt, 20. Januar 2002 Planet Beltà heißt die Edition der gesammelten Werke des 1921 geborenen italienischen Dichters Andrea Zanzotto, deren erster Band nun erschienen ist. Die dichterische Welt, die Zanzotto entwirft besteht aus Himmeln und Hügeln, Lautpoesie, Schrott des Alltags und der Psyche. Moderne und archaischer Epos sind hier gleichermaßen anwesend. In einem seiner rätselhaftesten Gedichte, einer poetischen Reminiszenz an den späten Hölderlin, hat einst Paul Celan die Vision eines sinnfreien Sprechens entworfen, das sich von Begriff und Bedeutung befreit hat. Es geht darin um die Regression in einen vorsprachlichen Bereich, in dem Lautgestalt und Bedeutung eines Worts noch ungeschieden sind. Am Ende des Gedichts wird die Entstehung des Menschen in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Lallen gebracht, dem frühesten Stadium des kindlichen Zur-Sprache-Kommens: «Käme, / käme ein Mensch/ käme ein Mensch zur Welt, heute, mit / dem Lichtbart der/ Patriarchen: er dürfte, / spräch er von dieser/ Zeit, er / dürfte / nur lallen und lallen, / immer-, immer- / zuzu.» Schließlich wird die Schlusszeile des Gedichts in Klammern gesetzt, und wie von fernher tönt eine fremdartige Stimme: «Pallaksch. Pallaksch.» Dieses sinnlose Wort «Pallaksch» hat im Deutschen keine Konnotation, es taucht nur im Wahnsystem des späten Hölderlin auf und kann dort entweder «Ja oder «Nein» bedeuten. Es gibt in der deutschsprachigen Lyrik der Moderne kein vergleichbares Konzept, das in ähnlicher Weise eine Poetik des ungestalteten Wortstoffs entwickelt und zu diesem Zweck mit Koselauten, Gestammel und Wortexaltationen arbeitet. Ihr weltliterarisches Pendant findet die poetische Kühnheit eines Celan einzig in der Dichtung des italienischen Lyrikers Andrea Zanzotto, eines Dichters von höchstem Rang, der hierzulande trotz einiger bedeutender Auszeichnungen immer noch ein Schattendasein führt. 1921 in dem kleinen Dorf Pieve de Soligo in Venetien geboren, hat Zanzotto seit seinem erstem Gedichtband 1951 ein Werk geschaffen, das, so sein berühmter Zeitgenosse Eugenio Montale, «einen wahren Kopfsprung (riskiert) in jenen Vor-Ausdrucksbereich, der dem artikulierten Wort vorausgeht». In Zanzottos Poetik der Sprachmagie bilden die Elemente kindlicher Kosesprache eine Hauptrolle. So trägt eins seiner Gedichte, das ausdrücklich den Bezug zu Textfragmenten des späten Hölderlin herstellt, den Titel «Die lallende Elegie». Die sehr spezielle Legierung von Zanzottos Poesie, die einerseits starke regionale Wurzeln hat und sich aus den dialektalen Eigenheiten seiner venetischen Heimatregion speist, sich andererseits aber in die komplexen Texturen der sprachreflexiven Moderne einschreibt, hat die Rezeption seines Werks in Deutschland lange Jahre behindert. Den Weg des Dichters Zanzotto in die deutschsprachige Lyrikwelt bahnte erst der Dichter Peter Waterhouse, der im Herbst 1984 bei einer zweisprachigen Lesung in Wien erstmals auf die Texte Zanzottos stieß – eine Begegnung, die er später, etwa in seinem Essaybuch «Die Geheimnislosigkeit», als lyrisches Erweckungserlebnis und als «Ankunft einer neuen Sprache» beschrieben hat. Waterhouse darf auch als Anreger der jetzt begonnenen zweisprachigen Werkausgabe Andrea Zanzottos gelten, die auf insgesamt neun Bände angelegt ist. Für dieses enorm riskante, weil extrem kostenintensive Unternehmen haben zwei kleine Verlage, der Schweizer Lyrik-Editor Urs Engeler und der Wiener Folio Verlag, alles in die Waagschale geworfen. Und man kann nur hoffen, dass diese Pioniertat der Zanzotto-Edition nicht auf jene ungute Melange aus öffentlich bekundetem Respekt und heimlichem Abwinken trifft, mit dem anspruchsvolle Weltpoesie im Literaturbetrieb gewöhnlich abgefertigt wird. Schon der erste Band der Zanzotto-Werkausgabe, eine Übertragung der in Italien 1968 erschienenen Gedichtsammlung «La Beltà», demonstriert auf höchst faszinierende Weise die fluiden Aggregatzustände der Wörter und sprachmagischen Energien, die in Zanzottos Dichtung wirksam sind. Die Sprachlandschaft von Zanzottos Gedichten hat fließende Konturen. Der Autor hält die Übergänge zwischen den Wörtern und Versen offen, und diese Unbegrenzbarkeit der einzelnen Fügungen gestattet immer neue sprachalchemistische Verbindungen. So kommt es, dass gleich das erste Gedicht in «La Beltà» in fünf höchst unterschiedlichen Versionen dargeboten wird, wobei allerdings ausgespart bleibt, wer von dem Übersetzer-Quartett Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl und Peter Waterhouse für welche Version verantwortlich ist. Was im Nachwort emphatisch als «Paradiessprache» Zanzottos beschrieben wird, meint den Versuch, alle vorgängigen Bedeutungen der Wörter aufzulösen zugunsten einer autonomen Assoziationsbewegung der sprachlichen Kräfte im Gedicht selbst Sprache soll keine Definitionsgewalt mehr ausüben über die im Gedicht aufgerufenen Gegenstände, sondern sich als «deutungslose» Sprache des «Machtverzichts» entfalten. Wenn der Dichter Andrea Zanzotto, wie es an einer Stelle heißt, «die Rätsel durchstöbert von Zeit und Natur», dann hält er inne bei der kleinen, unscheinbaren Einzelheit, beim winzigen Naturding oder beim Sprachpartikel, dessen Würde verteidigt wird gegen die Gewalt des großen Sinn-Zusammenhangs. Der beschworene «Winzling» kann ein «Grashalm» sein, ein «Schnee-Blitzchen», ein «Tauflieglein» oder das «zimbrische Windisch» der Himmel. Es können aber auch die Sprachereignisse selbst sein, die «Phonem- und Monemprozessionen, / in jederlei Sinn Richtung Spielart». Hier, in den ephemeren Dingen einer marginalisierten Schöpfung, in den Koseworten der Kindheit, in Naturbildsplittern und magischen Sprachformeln, findet Zanzotto «La Beltà», die «Pracht» und «Schönheit», die er zur schwierigen Textur seiner Dichtung verwebt. Inmitten all der «Kling-Dinge» und Kose-Laute tastet der Dichter nach einer «intimen Sprache» der Berührung: «Ich sehne. Und beginne den Himmel zu sehnen. Stehe/ im Himmel. In allem was mir gab einen Himmel zu sehen / allem was mich hier im Wohligen ließ. / Gestern: Rücken Geiziger-Geliebter-(ist weiblich), unleidliche Zuwendung heute, Leier- / Lyrik leier-leier. Aber wir werden uns finden / oder ich und meine entfernteste Fee. Fee-Ich.» (7.32) Moderation Wir treten ein in eine Sprach- und Innenwelt. Zanzottos Dichtungen entdecken eine Kindheit der Sprache, sie deuten nicht, sie wissen um die unmittelbaren Reflexe der Intimität, lassen die andere Welt in Ruhe und widmen sich dem Tod in seiner unendlichen, prachtvollen Vielfalt. |