Birgit Kempker

Der unnennbare Kaminfeger






Eine Erschöpfungsgeschichte

Ich würde gerne deutlicher werden. Ich würde gerne Stadt und Strasse nennen und den Namen des Meisters. Ich darf nicht. Ich darf den Kaminfegermeister und auch sonst keinen Kaminfeger und auch keinen Kaminfegerlehrling nicht Einzelheiten fragen, nicht in dieser Stadt vielleicht auch nicht in diesem Kanton, vielleicht auch nicht in den Nachbarkantonen, vielleicht sogar nirgends in der Welt, auch nicht in der Schweiz, und nicht fotografieren, auch nicht Einzelheiten, keinen Schuh, keine Mütze, nicht mal das schwarze Knie.
Ich darf die Gesetze der Kaminfegerinnung nicht verletzen mit Sätzen. Ich darf überhaupt keine Sätze über Kaminfeger in die Welt setzen und keine Bilder, auch nicht in die Schweiz, auch keine Gesetze, auch keine, die ich nicht verletzen darf. Dieses Verbot ist hart.
Bevor ich wusste, was ich nicht sagen und was ich nicht abbilden darf, geriet ich in eine andere brenzlige Situation. Es war im Leben. Der ehemalige Kaminfegerlehrling des hier nicht genannten Kaminfegermeisters, selbst auch nicht genannt, ein gestandenes schweigsames Mannsbild, trat wie immer zweimal im Jahr mit seinen schwarzen Schuhen genau neben die Ränder der ausgelegten Zeitungen, fasste gerne Türen an und Tücher und Schränke und suchte wie jedesmal immer zweimal im Jahr Tisch zum Schreiben der Kaminfegerrechnung, ein Tisch, der nicht in einem der Ofenräume, sondern lieber in einem kaminfegerjungfräulichen ofenlosen Raum möglichst sauber und unverletzt stand und also noch mit schwarzen Schuhen anzugehen und freudvoll zu besetzen war.
Da sass er, mein gestandener Kaminfegerlehrling, schrieb die Rechnung und sagte nichts vom Alarm, den er beim Kaminfegermeister unverzüglich schlagen würde wegen Gefahr im Kamin.
Der Hausbesitzer rief mich in dieser Nacht sehr ausser sich an, das Haus sei in grosser Gefahr, ich sei ein Risikofaktor, verbrenne hemmungslos Haushaltsmüll und habe schleunigst zu verschwinden. wo komme ich überhaupt her? Ich habe die Konsequenzen zu tragen, die Rechnung zu zahlen, es ginge in die Tausender, was so eine Kaminreinigung betrifft, sei sie gar nicht mit Geld aufzuwiegen, eine schier unvorstellbare Ausbürstung und Abschabung, und wie ich mir eigentlich denke, wie sowas vor sich geht, und offiziell überhaupt nicht, die machten uns den Laden dicht, die würden Wasserleitungen, Stromkabel, Dach und Keller prüfen und ab sofort sperren, und wo würde ich dann wohnen? und aus Freundschaft sei der Kaminfegermeister bereit, für Ordnung im Kamin zu sorgen, und zwar mit Spezialverfahren, wovon ich keine Ahnung habe und kriege und wofür ich saftig zu bezahlen habe, basta, und dann raus mit mir und dem Herrn Sohn, der sein Spielzeug in den Ofen würfe, Zinnsoldaten, Zigarettenpapier und Plastiktüten, womöglich Hustensaftverpackung und Fischstäbchenreste, die Hausbesitzerfrau schrie auch und sehr laut, und die Aufregung war gross in der Nacht, der Schlaf kurz.

Am Morgen nach der Nacht mit dem Hausbesitzer wählte ich die Nummer des Kaminfegermeisters und erlebte zwei wundersame Stunden am Telefon, von denen ich nicht berichten darf. Dieser Kaminfegermeister wusste alles über die Häuser, über die Menschen in den Häusern in den Strassen von früher bis heute und über die Kamine und über den Himmel über den Kaminen und was durch die Kamine in den Himmel kam und immer leider noch kommt, wie in Berlin, und über das Verhältnis zwischen Körper und Haus und Kamin im Haus und Kamin im Körper und Geist und auch über Geister, die das sei ernst, nicht rufen darf.
Niemand ausser seinem Lieblingslehrling hätte die Gefahr in meinem Kamin überhaupt erkannt. Nicht Zinnsoldaten, nicht Hustensaftverpackung, nicht Zigarettenpapier, nicht Fischstäbchenreste, ich hätte nicht mit gepressten superteuren Holzmakrothermebriketts heizen dürfen, die stundenlang Hitze speichern und das Heizen überhaupt erst möglich machen mit einem Ofen wie diesem, er weiss, den ich so nicht weiter benutzen darf, und wie aber weiter im Winter, das ist das, wovon ich nicht erzählen darf.
Es hätten sich chemische Rückstände im Kamin abgelagert, an den Wänden. Russ vermischt mit Kondenswasser, womöglich Dachfeuchtigkeit, ist das Dach undicht? Oh, hier lieber keine Antwort, hier jetzt lange schöne Formeln, chemische, ich darf sie nicht sagen. Wenn ich ein Seidenpapier entzünden würde, fackelte der Kamin ratzeputz schön blank ab, bis auf die Steine. Und? Soll ich? Ich darf es nicht sagen.
Wenn Menschen abfackeln, sagt der Kaminfegermeister, dann nützt es indes nichts, siehe Hausbesitzer. wenn der Schornstein durchbrennt, auch seine Frau, es nützt nichts. Ich habe die Botschaft verstanden. Aber, sage ich, wie ist es mit Katharsis? Nein, sagt der Kaminfegermeister. alles nur Dampf und Rauch, der Unterschied zwischen einem Haus und einem Körper, ich darf es nicht sagen. Der Unterschied auch zwischen einem Kamin und dem, was, ich darf es hier nicht sagen. Das Wissen ist geheim. Sagen Sie nicht Verbot, sagt der Schornsteinfegermeister, sagen sie bitte Tabu. Das Tabu sei nicht wegen Magie. Es habe nichts mit Glück und Unglück zu tun, nichts mit Sentimentalität, genausowenig wie die armen Schweine und Katzen. Dieser Schornsteinfegermeister zog so prächtige Verbindungen und wusste so kurze Wege vom Praktischen zum Abstrakten, vom Symbolischen zum Realen, durch Schichten und Zeiten und Geschichten, er zog so feine Linien und wob solche Netze von einer Überlieferung zu anderen wie von Dach zu Dach und dachwandelte über der Stadt, aealen, durch darf es nicht sagen, von Stadtgeschichten und Formeln und Mondkenntnis und Dachtänzerei. Er wird aus dem Keller des Freundes eine Maschine besorgen, da läge vermutlich im Heu des Bauern im Nachbarkanton noch dieser und jener Zusatz, der mit etwas Verstand, Zusatz? Verstand? Ich darf es nicht sagen, und von einem anderen Freund chemische, ich darf es nicht sagen. Es wird nicht zuviel kosten. Er wird in einigen Häusern der Stadt vorsorglich, wir schmissen dann zusammen, ich darf es nicht sagen. Es sei nicht gut, im Brandfall die Polizei oder Feuerwehr zu holen, ich solle folgendes, ich darf es nicht sagen. Früher schon, zu Zeiten seines Vaters und dessen Vaters, seines Grossvaters, hätten sie in ähnlichen Fällen, ich darf es nicht sagen, aber der Lieblingslehrling sei immer dabei gewesen, er habe auch gesehen, durch was es dazu gekommen wäre, ach sein Urgrossvater hätte beim Heizen, ich darf es nicht sagen, der Kaminfegerlehrling hätte auf Grund dieser Lehrlingserfahrung in den Häusern des Vaters des Kaminfegermeisters, auch der diversen Heizmethoden, ich sei halt nicht allein, meine Kamingefahr überhaupt nur diagnostizieren können. Ein unerfahrenes Auge hätte nichts gesehen. Ein unerfahrener Arm hätte nichts gefühlt. Es sei nämlich der Arm, der am Widerstand der Kamininnenwand fühle, ja, wie der Doktor in der Kuh, um was für eine Ablagerung es sich handle, und aber das Köpfchen, Kombinieren, es gehöre schon Köpfchen dazu. Es sei auch die Nase, die den Kaminzustand rieche, wenn zum Beispiel, wie in meinem Fall, ich darf es nicht sagen. Er kenne da einige Damen, die er regelmässig im Heizen unterrichte, weil sie jedes Jahr, ich darf es nicht sagen.
Wenn eine Videokamera durch den Kamin fahren würde, wären die Ablagerungen genau zu bestimmen, auch welches Stockwerk wieviel zu welchem Zeitpunkt zur Kaminwandmisere beigetragen hat. Schuld sei immer der Hausbesitzer, das stünde so in einer Satzung, denn der Mieter sei streng und regelmassig im Heizen zu unterrichten, sagte er es so? Ich darf es nicht wirklich so sagen. Er würde eine solche Videofahrt durch den Kamin nicht empfehlen wegen, ich darf es nicht sagen. Denken Sie an Alice im Wunderland, er kannte alles über dunkle Wge, auch über heilige Nikoläuse, ich darf es nicht sagen. Er wusste auch über Kaninchen, Verwandlung und Zauberei viel viel zu viel dafür, dass ich darüber hier und nirgendwo, und sei es auch irgendwo in der Schweiz oder anderswo, nichts sagen darf.


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