Hugo Dittberner

Andrea Zanzotto: La Beltà / Pracht



Literaturtipps der Göttinger Sieben (KLG-Redaktion)

Ein großes, auf neun Bände angelegtes Unternehmen unter dem Gesamttitel Planet Beltà – Friedrich Schlegels Diktum von der Romantischen Poesie als Progressiver Universalpoesie scheint hier eingelöst zu werden, unter Wörtern und Versen, zwischen den Sprachen, gerade dort, wo sich die Übersetzung nicht «richtig» oder «gekonnt» zuwendet. «Die kleinen Kräfte der Sprache werden bekräftigt», heißt es im Nachwort. Zwischen den tönenden Groß-Wörtern, den Angebern und sich fortzeugenden Vielsilbern, und dem Partikel-Stottern, der (Sprach-)Winzigkeit sucht die Stimme Brüche und Brücken, wird Verstehen listig zum anderen, das auch betörtes, weises Spiel ist, gelockt. Albernheit, die um das Bewusstsein des Gegenteils, der Negation, ja der Negativen Dialektik Reifere (weshalb Adorno sie liebte – oder umgekehrt: weil er die Albernheit liebte, zur Negativen Dialektik stieß): Albernheit führt Regie in dieser fröhlichen Poesie-Wissenschaft des Andrea Zanzotto-Scardanelli: «Holla die Explosion des Bedeutens des Bildens / für die Kinder von Mittenwald, / holla Pädagogien!» «Ich soll nunmehr den Fehlern im System Eros-Anmut, / im Mehrungsmurmeln und im Pracht-Gepränge / wie es viele tun / mit – angeblich sinnvollem – Spott begegnen? / Nein, ich lehne nichts ab, ich billige nichts. / Ich unterstütze, wie es viele tun, mit einem – angeblich sinnvollen – Stoff, einem Klebstoff.» Bis zum letzten Wort «madre-norma / Mutter-Muster» sind die Salti dieses Gedichtbandes von 1968 so inspirierend in sein deutsch-italienisches Wechselspiel gebracht, in Vokabelwitz, Meta-Verstand und das beschwingte Dazukommen der Einzelheit, dass die Begeisterung sich anpasst und statt von der Insel Utopia vom Planet Beltà zu schwärmen bereit ist… – Aber ist nicht die Turbulenz, die den gewohnten Zusammenhängen, den ermüdeten, und gerade den politischen, quasi mit Fellini-Intelligenz und Pasolini-Pathos anarchisch und bis in jede Groß-Einzelheit mitspielt (vielmehr: die Spielregeln nimmt), gegenüber der, so scheint es, aufgerufenen Instanz: Hölderlin und seiner bescheiden in Satzform hingespannten und tief denkenden Poesie – ein Sakrileg? Merkwürdigerweise nicht; und schon gar nicht gegenüber dem Hölderlin, den uns inzwischen Dieter Sattler zugänglich gemacht hat. Irgendwann während der lauten und leisen Lektüre hast du die Reflexion dieser Dichtung, ihre Ruf- und Springlust, bestiegen; vielleicht mit dem wiederholten und deutsch-italienisch gegenübergestellten «Auf die Welt / Al Mundo», mit dem Anfang: «Welt, sei, und jetzt brav; / schön brav bestehen, / hopp hopp, versuch’s nur, auf geht’s, alles mir sagen, / und schau wie ich umwarf unfolgsam war / und jedes Verpuppte ganz / genauso rumorte wie jedes Entpuppte;» oder erst mit dem Schluss: «Auf, Bella, auf. // münchhausen, steig.» Dann stellt sich doch Andacht, eine andere zwar, und sogar eine gewisse Reinheit der Empfindung, das poetische Gefühl also, ein. «Die lallende Elegie» beginnt: «Süßes elegisches Wandeln wie in Elegien wandelt der Herbst, / ein gründliches Sammeln ein goldenes Lichten, / den Ernteberg und den Untergang gewichten / auch wenn ich längst mein Fasten und die Leere lehre. / Und hier steh ich aufseiten des Zusammenhangs auch wenn / ich System und festen Grund nicht mag: / das Nichtausdemleimgegangene, die Beinahen, dahinter: / ich werde ausgesetzt inmitten eines Götter- / Gesocks, heilloser Heiligkeit. / Ursprünge da – Nie hat es Ursprung gegeben.» Nun gibt es auch für uns diesen angesprungenen Planeten voller Pracht – und Noten; denn selbst Erläuterungen und Hinweise, das Wissen vom halben Sinn und vom halben Unsinn hat der Autor mit den Übersetzern zu teilen.


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