Anna Achmatowa







Und keine rosige und heile Kindheit,
kein böser Onkel, keine liebe Tante,
kein Kieselstein hat je mit mir gespielt.
Soweit ich denken kann, war ich mir immer
ein riesiges, gewaltiges Ereignis
oder ein nächtlich dumpfes Höhlenecho.
......................................
Ich suchte schon im fünften Lebensjahr
nach meinen Doppelgängern, und ich fand
an jeder Ecke Hunderte von ihnen.
Dann wieder glaubte ich, man hätte mich
bei Fremden ausgesetzt, ich kenne keinen
und trage in mir eine Missetat
und werde jeden Augenblick beschuldigt.
Im Spiegel aber sah ich jedesmal
aus meinen Schultern etwas wachsen ...

***

So hat dich damals heimgesucht das Unheil,
und du erkanntest, was dich heimgesucht.
Und darum weißt du jetzt: Auf dieser Erde
ist solch ein Durst durch nichts zu stillen (er
kommt einmal nur, mein trauriger Gefährte,
in hundert Jahren oder seltner noch):
Nicht durch den Wind der freien Ozeane,
nicht durch die Düfte eines Tropenwalds,
nicht durch das Gold, nicht durch den Schnaps der Kneipen,
nicht durch den stärksten Cognac auf der Welt,
nicht durch die Töne der Musik, wenn diese
zum Himmel steigen und uns ziehn hinan,
nicht einmal durch das selige Erinnern
der ersten Liebe, die noch unbewußt,
und nicht durch das, was man als Ruhm bezeichnet,
wofür so mancher gern sein Leben läßt.

Und nur wir zwei besitzen das Geheimnis,
wie er zu stillen: Auch in tiefsten Leiden
verraten wir es nicht, sogar uns beiden,
uns beiden insbesondere –
– Sei still!

Aus: Enuma Elisch. Traum im Traum



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