Thomas Fechner-Smarsly Andrea Zanzotto: Signale Senhal WDR III/Gutenbergs Welt, Redaktion: Guido Graf Zanzotto (CD): «NO BASTA, non farlo non scriverlo te ne prego» Autor: «HÖR AUF, tu´s nicht schreib´s nicht ich bitte dich» Mit diesem Ausruf, und mit dieser Aufforderung, beginnt Andrea Zanzottos Poem «Signale Senhal». Doch wer ist es, der hier bittet? Wer spricht? Wessen Stimme fordert auf, es nicht zu tun, es nicht zu schreiben. Vor allem: Was – nicht zu schreiben? Etwa – dieses Gedicht? Von Anfang an setzt Andrea Zanzotto Signale, und er setzt sie vor die Worte und zwischen sie: Spiegelstriche, Anführungszeichen, senkrechte Zäsuren – wie Schnitte im Text. Und es kann kein Zufall sein, daß Messer und Klinge zu den wiederkehrenden Bildern gehören. «Zeichen und Messerstecherei orgiastisch» heißt es an einer Stelle: eine Gleichsetzung von Poesie und Gewalt? Schon dem Schriftbild dieses langen Gedichts, das auf eine 'normale' Interpunktion weitgehend verzichtet, sieht man buchstäblich sein 'Sendungsbewusstsein' an. Der sparsam eingesetzte 'Strichcode' erinnert an Morsezeichen, die räumlichen Trennungen, die Pausen zwischen den Wörtern erwecken den Eindruck, als empfange man eine telegraphische Botschaft. Eine Botschaft allerdings, deren Übermittlung zuweilen empfindlich gestört scheint. Sätze reißen einfach ab, das ein oder andere Wort ist verstümmelt, Passagen wiederholen sich, ja wirken manchmal wie hingestottert, englische Sprachsplitter aus dem Kino und dem Comic schnellen dazwischen: «Bingo-Bingo» – «Flash Splash Crash». Zwei gegensätzliche Modi komponieren diesen Text zu einer Fuge: die mündliche Rede und das Schriftbild. Nur ein Sinn will sich nicht recht einstellen. Wovon redet dieser Text überhaupt? Was bildet dieser Signalcode ab? Und was meint sein rätselhafter Zusatz «Senhal»? Andrea Zanzotto geht an die Grenze dessen, was man als Leser toleriert. Genauer gesagt: sein Werk – und das gilt für dieses Gedicht in besonders hohem Maße – handelt die ganze Zeit von dieser Toleranz-Grenze der Sprache. Es tänzelt auf der Schwelle zwischen dem Sinn und dem Nicht-Sinn, der etwas voreilig Unsinn genannt wird. Mit Nonsens-Versen hat «Signale Senhal» wenig zu tun. Eher schon mit sehr ernsthaften Sprachspielen: es vermischen sich darin Diskurse und Dialekte, die Echolalie mit dem schieren Lallen, die Lautmalerei einer Onomatopoetik mit einer Poetik des Sublimen und des Mythos – eines bestimmten Mythos und seiner Entzauberung. Welcher Mythos? Zanzotto nennt ihn uns in seinem Nachwort, das so lang ist wie der Text selbst und zusammen mit den ausführlichen Anmerkungen eine Art Kometenschweif des Gedichts darstellt. In diesen nachträglich aus dem Gedächtnis zusammengestellten Notizen schreibt Zanzotto: «Die Gelegenheit zum Diskurs kann auch aus einem eher banalen Ereignis wie der Eroberung des Mondes entstehen. Warum banal? Aus zweierlei Gründen: zunächst, weil es dafür keine Motivation gibt, die nicht banal wäre, und diese liegt vor allem im Wettlauf um Prestige zwischen den beiden Supermächten, die, am Rande eines Raketen-Programms zur gegenseitigen Zerstörung, auch eine Rakete auf die Beine stellen, die zum Mond fliegt. [S] Aber es ist noch mehr dran: mit der Eroberung des Mondes hat man sich, ob eher einfältig oder schlau, wissen wir nicht, vor dem uralten Mythos verneigt, vor dem Mond als Sinnbild des Unerreichbaren, dem Lichtpunkt des Absoluten [S] gleichsam dem Bild der Transzendenz schlechthin. [S] man weiß, dass in der kollektiven Phantasie fast aller Völker das Phantasma der Transzendenz, der Unerreichbarkeit sehr oft gerade durch den Mond, durch die Sinnbildlichkeit des Mondes dargestellt wird.» Genau hierin besteht für Zanzotto der Schnitt, genau hier setzt er seinen eigenen Schnitt mit dem Messer der Worte an: bei dieser Beschädigung oder Verwundung eines mythischen Fixpunktes am Firmament unseres Weltbildes – durch ein raketengetriebenes ballistisches Messer. Für Zanzotto ein Akt der Zerstörung, ein Schnitt, der die Nabelschnur zwischen der Natur des Menschen und seiner Vorstellung von Transzendenz durchtrennt. Ist es also der Mond, besser gesagt: la luna, das weibliche Gestirn, das es nicht nur im Italienischen ist, die Mondin also, die spricht? Diana ist der einzige Hinweis, der sich im Gedicht findet, der Umweg über den Mythos: über die Göttin des Mondes, und die Zeile, in der sie aufscheint, klingt wie ein akustisches Echo: «Diana || ach Senhal» In den Anmerkungen löst Zanzotto das Rätsel auf: Senhal galt in der Zeit der Troubadure als Ausdruck für einen öffentlichen Namen, der den wirklichen Namen verbarg. Deckname Diana. Ein Symbol. Und ein Signal.1969, das Jahr in dem wir Kontakt aufnahmen. Indem wir ein jahrtausendealtes Symbol betraten und – dadurch entzauberten. Seitdem ist der Mond anders aufgegangen und es prangen die Sterne in einem anderen Licht. Ein Projektionslicht der Tests und der Raketen-Starts, der Funkempfänger und des Radars, der Sonden und der Satelliten, der verstümmelten Botschaften und ihrer Echos in den Medien und deren körperlose Stimmen. Das ist die andere Seite des Gedichts: die Abschaffung des Mythischen durch das Mediale. Von Zanzottos lyrischem Echolot eingefangen als Gewirr aus insgesamt 59 Einzelstimmen und Kommentaren zum Ereignis, dialogisch dargestellt und fragmentarisch feilgeboten, wie ein frühes Zappen durch sämtliche Interviews und Statements, durch alle Windungen und Sendungen der sogenannten Massenmedien. Das waren damals vor allem Fernsehen und Kino. Und damals, das war 1968/69. In diese Zeit fällt die Entstehung von Zanzottos lang-kurz-langem Ungetüm «Signale Senhal». «Es war fällig: Sie haben dich, die letzten Kitschfilme schreien es die heftigen Heftchen die Acryltricks.» Die Acryltricks, das sind stellvertretend die visuellen Strategien, die das erste Interregnum einer knallbunten Plastikwelt ankündigen – die Seventies. Bis zum Computerzeitalter ist es noch ein paar Jahre hin. «Durch TVKino schwingt sich unsere Seele auf» heißt es in Verballhornung des Pseudo Longinus Traktats «Über das Erhabene». Durch seine Natur strebt empor unser Geist, lautete die Stelle ursprünglich. Der kulturpessimistische Unterton ist schwerlich zu überlesen. Ein Verlust wird beklagt, und es ist nicht nur an Verlust an Jenseitigem. Sondern auch ein Verlust von Wildheit, von Unbezähmbarkeit, von Unzivilisierbarkeit. Für diese stehen im Gedicht die wilden Kinder, die pueri feri, der Wolfsjunge von Wetterau, der Bärenbub von Litauen. Diejenigen, welche von der Wölfin genährt wurden. Deren Kommunikation für uns unverständlich ist: ein einziges Lallen. Auch sie verschwunden, wie Diana, wie die Wölfin, wie die Mondin. So wie einst Pier Paolo Pasolini in seinen Freibeuterschriften das Verschwinden der Glühwürmchen beklagte – und die vielfältige Volkskultur meinte – so beklagt Zanzotto nicht nur den Verlust des Lichtpunktes am Himmel als Symbol der unüberwindbaren Ferne. Sondern auch – in einem Nachwort zum Nachwort zwanzig Jahre später geschrieben – den Verlust der Kinos in der Provinz. Der Mond, die Glühwürmchen, der klassische Filmprojektor – lauter Lichtpunkte, die irgendwann von derselben Einheitskultur einfach abgeschaltet werden. Die letzten Worte beenden das Gedicht im Stile eines Funkspruchs (Zanzotto-CD): «Passo e chiudo» In der deutschen Übersetzung heißt es lakonisch: «Over» |