Birgit Kempker

Fred geht es gut








Fred geht es gut. Nicht sehr gut, aber gut. Doch, Fred geht es gut, wirklich gut, was wäre gut sonst wert, wenn es nicht eine Art sehr gut wäre? Fred geht es so gut wie sehr gut.
Fred sieht von seiner Küche aus gerne in den Hof. Im Hof spielen Kinder, auch bei Regen, auch den Kindern geht es im Hof gut, auch bei Regen.
Manchmal klingeln die Kinder oder klopfen ans Fenster oder an die Haustür von Fred. Fred lacht zuerst, dann lässt er sie rein. Fred gibt den Kindern Sirup, die Kinder klettern nach dem Sirup auf Fred rum, manchmal schmeissen sie ihn aufs Bett und setzen sich drauf, sie lieben es, frech zu Fred zu sein, weil er schön wütend wird und schnaubt wie ein Ross mit echtem Schaum vor dem Mund oder wenigstens Bubblegumblasen.
Mit original Cowboyhüftschwung schleudert Fred die Kinder von sich runter, dabei wiehert er wie Fury. Oder Fred schwingt die Kinder wie ein Lasso um den Kopf, das aber im Park oder vor dem Haus oder im Hof, nicht in der Wohnung, wegen dem Radius.
Fred geht es gut, wenn die Kinder auf ihm toben, er fühlt sich dann bespielt, wie ein Klavier oder eine Pauke. Fred fühlt sich fast so gut wie sehr gut unter den Kindern. Wenn die Kinder wieder im Hof sind und spielen, schreibt Fred an die Eltern einen Brief.

Liebe Eltern, bitte sagt Euren Kindern, sie sollen mich nicht immer an den Haaren ziehen und plagen, wenn sie in meiner Wohnung sind, und auch draussen nicht, im Park und vor dem Haus, auch im Hof bitte nicht, wie sieht das aus vor den Leuten? Ausserdem sollen sie mich nicht an der Nase packen und gewaltsam auf den Rücken legen, wenn ich drunter liege und schlecht Luft bekomme deshalb, auch meinem Rücken tut das nicht gut, auch meinem Asthma nicht, und meine Haare fallen auch ohne die Kinder schon viel zu viele aus und werden grau, die noch dran sind. Ich brauche meine Haare noch, noch hab ich keine Frau.
Wenn Ihr Eure Kinder nicht in die von mir erwünschte eigentlich allgemein recht anständige Richtung hin erziehen könnt, dann sollten wir mal zusammen klärende Gespräche haben.
Huldvoll, Euer Fred.

Natürlich liebt es Fred, wenn ihn jemand anfasst, auch die Kinder, es sind nur die Kinder, die Fred anfassen, wenigstens in den letzten 3 Jahren, davor war es Inge gewesen, 4 mal, auf dem Segelboot, aber jetzt sind es nur die Kinder. Nur heisst hier nur: nur, nicht mehr, nichts anderes, das heisst nur, dass es nur die Kinder sind und nicht noch andere, keine Inge mehr, keine Barbara, aber natürlich sind die Kinder nicht: nur. Die Kinder sind sehr deutlich die Kinder.
Fred wusste nicht, ob das in Ordnung war mit den Kindern, ob er sich nicht lieber etwas aufregen oder beschweren soll, ob er nicht wenigstens etwas barsch und ruppig und ziemlich belästigt wirken soll oder etwa nur einfach gelöst und friedlich, wie nach 2 Gyros, fast weise und auf keinen Fall gierig auf die Hände der Kinder, auf keinen Fall, darum schrieb Fred den Brief an die Eltern, zur Vorsicht, mit dem Versuch, etwas böse, wirklich und wichtig zu wirken, mit Bart und auch überlegen, als ein Fred der Tat, der pädagogischen Weitsicht und nicht nur für sich allein verantwortlich, wie so mancher Mann, den man leider kennt.
Sie sollen ruhig wissen, die Eltern, dass er die Welt aus seinem Brustraum raus so richtig gemütvoll umspannt und zusätzlich, zu seiner sozialen und praktischen Veranlagung dazu, zu seiner Herzensbildung noch drauf, ein homme de lettre ist, einer, der, wenn es Zeit dafür ist, auch Briefe zu schreiben weiss, einer mit Kultur, mit Format.
Den Kindern ist Fred recht so, genau so mögen sie Fred, ein bisschen lieb, ein bisschen böse, ein bisschen wie aus einem Film, wie aus einem Buch und ein bisschen wie aus dem Leben, eben Fred, und viel Körperoberfläche und wenig Dinge in Freds Wohnung, die beim Schleudern und Schmeissen und Schwingen kaputtgehen können, niemand schreit: Oh, meine Vase.
Oh, meine Nase, schreit Fred, die Kinder im Haus sind: Pia, Paula, Nele, Karl, und wenn sie grösser ist, kommt von Döti oben mit Günthi Karla dazu.
Fred geht es gut, auch nachts, wenn er vom Taxifahren nach Hause kommt und die Bierchen kippt und dann gut schlafen kann, wirklich gut. Fred geht es auch gut, wenn er am Nachmittag vor seinem Computer sitzt und für den Snookerladen von Günthi am Alexanderplatz die Programme austüftelt, die Tischausnutzung, die Beleuchtungsnutzung, wenn er die Abrechnung der Tische mit den Abrechnungen der Getränke koordiniert, so, dass auch Döti mit Klein Karla den Laden schmeissen kann, wenn Günthi dann viel zu kaputt ist dazu.
Fred ist froh. Doch: froh. Auch froh muss hier mal gesagt sein, was soll man sonst dazu sagen, wenn nicht froh, wenn einer wie Fred so fröhlich pfeifend mit Kaffee vor dem Computer sitzt und die Leute draussen grüsst und sich kein Rauchen abgewöhnen muss, weil er kein Rauchen angefangen hat, auch der Computer steigt fast gar nicht aus, fast wie ein Wunder, Fred hat halt glückliche Händchen.
Fred hat 3 Zimmer. Er ist darin nicht unglücklich. Eines hat er getäfelt, wegen der Kälte, Freds Zimmer liegen über dem Keller, die Wände sind feucht, ebenerdig eben, so, dass auch von der Strasse aus in Freds Zimmer geguckt werden kann und umgekehrt, was Fred freut. Er ist ganz unter Menschen und doch bei sich zu Hause. Er liegt im Bett und guckt raus. Dass die Leute reingucken, stört Fred nicht, denn Fred ist Fred, was gibt es da zu gucken?
3 Zimmer sind viel für einen allein. Das getäfelte Zimmer wartet auf jemand, der hier einzieht, dann ist es die Wohnung von Fred und noch jemand, wobei hier im Haus eine 3-Zimmer-Wohnung für nur 1 Person nicht ungewöhnlich ist, obwohl Fred in Berlin wohnt, in der Togostrasse, und sich in Berlin alles langsam ändert, aber langsam.
Dass in einer 3-Zimmer-Wohnung noch jemand wohnt, ausser Fred, ist auch nicht ungewöhnlich in Berlin, auch nicht in anderen Städten, im Gegenteil, beileibe nicht, in Freds Vorstellung, in seinem Kopf also, ist es sogar das gewöhnlichste, das normalste, nämlich das erwünschte: Noch jemand ist in Freds Kopf in Freds Wohnung, schon allein, damit Fred morgens nicht immer: guten Morgen Fred ganz allein zu sich sagen muss, denn jeder Morgen ist nun einmal nicht jeden Morgen ein guter Morgen.
An der frisch getäfelten Wand steht ein grosses Aquarium, darin leben Freds Molche. Freds Molchen geht es gut. Sie werden jeden Tag mit Fliegen und Würmern gefüttert von Fred, oder jeden zweiten, wenn Fred Wochenende hat, was bei Fred oft mitten in der Woche liegt, wegen dem Taxifahrerjob.
Noch etwas haben Fred und die Molche gemeinsam: Sie sind am Wochenende einsam. Sie haben keine Frau. Ich erlebe das als Mangel, denkt Fred, so heisst das wohl, so steht das in Büchern, in Zeitungen, die Molche wohl auch, denkt Fred, Fred erlebt das am meisten bei den Molchen als Mangel.
Es sind reichlich nervöse Molche, für Molche, denkt Fred, doch es geht ihnen gut, sie haben einen, der sie liebt, besieht, füttert und vor grossen Tieren schützt, das Wasser wechselt und richtige Beleuchtung in die Fassung schraubt, über das Aquarium.
Für den Molch ist das Fehlen der Molchin besonders schlimm, sagt Fred, weil, der Molch ist ein Tier, ein männliches Tier kann sich weibliche Tiere nicht vorstellen im Tierkopf, nicht erfinden, also kann ein Molch eine Molchin nicht im Kopf empfinden, ein Molch kann keine Molchvideos ins Video schmeissen oder in Bildern blättern, weil der Molch keine Hände hat, auch für sonst nichts, der Molch ist halt ein Molch, da ist Fred lieber Fred.
Fred liebt Fred, weil es niemand anders tut und auch sonst. Die Hände der Kinder gehören in eine andere Kategorie als Liebe und sie gehören den Kindern und die Kinder gehören zu den Eltern, und wer keine Frau hat, wie Fred, der hat auch kein Kind, und ob die eigenen Kinder so zu Fred wären, so zutraulich, zärtlich und grob, wie die Kinder im Hof, ist nicht auszudenken, weil man die Mutter der Kinder mitbedenken müsste, vielleicht wohnt sie gar nicht hier.
Einmal hat Fred eine Molchin gekauft und zu den Molchen gekippt, ganz schnell war keine Molchin mehr zu sehen, weil Fred nicht glaubt, dass sich weibliche Molche in männliche Molche verwandeln, ist etwas anderes passiert als bloss Verwandlung, was lieber nicht passieren sollte, denkt Fred, auch nicht bei Tieren. Fred hat dann lange über Kannibalismus nachgedacht, danach hat sich Fred mitten in der Nacht unter die heisse Dusche gestellt und gejault, wie Kojoten immer in Filmen über Kojoten, verschleppte Frauen und grosse, am Himmel dröhnende Monde jaulen, die Kehle weit nach vorn gestreckt hat sich Fred höchst verletzlich mit dem Kehlkopfknorpel voran zärtlich männlich auf ins Firmament, just in die Sterne mit viel Gefühl emporgereckt.
Unter der Dusche hat Fred sorgfältig, ein für allemal sehr nass über das Leben nachgedacht, wie alles wirklich ist, wie alles so weit kommen konnte. Das ist den Togoleuten aufgefallen, das hat sie aufgeweckt, das laute Heulen und Duschen in der Nacht, zum Steinerweichen, sagt Kerstin, und das aufgeweichte Gesicht von Fred am Morgen erst, sagt Döti, der Mann braucht eine Frau, sagt Günthi, nicht ganz sicher, dass er das wirklich denkt, aber sicher, dass das Döti gerne hört, was ihm das Leben mit Döti erleichtert, das gerade gar nicht leicht ist, wegen dem neuen Kind.
Die Leute in Freds Haus, in der Togostrasse 72 und 73, entschliessen sich, nicht wegen der Misshandlung des Freds durch die Kinder, sondern wegen des in dieser Nacht nun wirklich sichtlich hör- und auch tagsüber wirklich sichtbaren Frauenmangels in Freds Haushalt, genau dort ein Treffen abzuhalten, die Sache eingehend betrachten, einen Krisenstab bilden, einen Gipfel, wie Kerstin sagt, ein Gipfelgespräch, eine Togostrassenkonferenz, Dialogbereitschaft zeigen, sagt Günthi und Ersatz für den Snookerladen finden, wie wär's mit Dienstag abend, Klein Karla mit dem Körbchen in die Dusche stellen und das Mitleid auch nutzbringend verwenden und Trostworte für Fred erfinden, Strategien ausdenken, wie kriegt Fred eine Frau, das ist hier die Frage.
Die Togoleute wussten nicht, dass Fred nicht wegen Fred, sondern wegen der Molche so lange heulte und duschte in der fraglichen Nacht, sie hätten es auch nicht verstanden.
An einem ausgemachten Wochenenddienstag sitzen sie in Freds getäfeltem Zimmer, Klein Karla im Körbchen in der Dusche, und Fred geht's doch gut, denkt Fred, warum gucken die so, ich bin doch nur Fred, vielleicht geht es den Togoleuten nicht so gut, vielleicht tun den Togoleuten meine Molche gut, Gesellschaft kann nicht schaden, zu Gesellschaft gehört Gesellschaft quasi dazu, und es tut den Molchen gut, betrachtet zu werden, denkt Fred.
Vielleicht tun, man weiss ja nie, weiblichen Menschen männliche Molche gut, denkt Fred, sogar, wenn sie hinter Glas sind, oder erst recht, auf jeden Fall in einem jeweils anderen Element, was wissen wir schon von den Menschen, vielleicht tun männlichen Menschen weibliche, von männlichen Molchen verschlungene Molchinnen gut, wenn man alles so richtig von vorne bis hinten bedenkt, was man sich bei einem Gipfeltreffen leisten kann und soll, alles auf die Spitze treiben, auch die Gedanken, nicht zurückgucken, nicht runtersehen und nicht schwindeln.
Die Togoleute versammeln sich schweigend vor dem Aquarium, vor der frisch getäfelten Wand mit den frisch gefütterten Molchen davor und sehen das Elend in seinem Element lange an, Molche, ohne Weibchen und dazu davor: Fred.
Fred füttert die Molche heute zur Feier des Gipfeltreffens ein zweites Mal, die Attraktion für die weiblichen Menschen: ein nährender Fred mit spitzen Lippen, zwischen denen zärtliches Zischgelaute die Molche antschilpt, so sehen wir Männer gerne, denken die Frauen, nährend und lockend, dann knallen die Männchen die Bierdosen auf, auch die Weibchen, oder sie trinken von Fred feinfühlig und liebevoll nach Grossmutterart mit Kardamon 3 mal aufgekocht und durchs Siebchen eingeschenkt: Kaffee mit Sahne.
Die Molche trinken nichts, sie sind ja im Wasser, es gibt 0 Grund für die Molche, unglücklich zu sein, denkt Fred, was denken die sich hier, die lieben Hausbewohner sind zwar lieb, aber etwas überdreht wohl doch unter meinem Dach, etwas erstaunlich übertrieben sensibel, auch für Tiere, etwas bedenklich sensibel, denkt Fred, eigentlich, für eine Welt.
Die Freunde, ja, es waren Freunde, die sich solche Sorgen um die Molche eines Fremden machen, etc., ja, der ist dann nicht mehr fremd, der ist ein Freund unter sorgenvollen Freunden, auch wenn es die falschen Gründe sind, sind die Freunde richtig, richtige Freunde, denkt Fred, wenn die wüssten, die sitzen da, trinken, begucken sich den Krisenherd, das Aquarium, und schliessen von manchem auf manches, plötzlich ist es vorbei und draussen hell.
Kerstin fasst Fred am Ärmel, sie holen frische Gipfel, und als Fred müde und zufrieden neben Kerstin die Brüsseler Strasse mit den Gipfeln in der Tüte im Arm runter geht, Arm ganz eng gegen Arm, um die Tütenlast zu teilen, und wie sie sich dabei über den Unterschied zwischen Berliner Schrippen und Schweizer Gipfeln unterhalten, leise, fast zwitschernd wie die ersten Vögel in den Bäumen auf den Zwischenstreifen in der Togostrasse, gottlob noch grün und voll Killerhundekot an den Wurzeln erhalten, wie sie in die 3-Zimmer-Wohnung in den frischen Kaffeegeruch, in den Kardamon treten, hierhin, wo in der ganzen Nacht niemand ein böses Wort verloren hat, Arm gegen Arm, vor dem Aquarium, was wirklich besonders ist, auch in Berlin, da beisst Fred mit ganzem Herzen in den Zipfel von Kerstins Gipfel.
Was wirklich der Gipfel war: Freds Zungenspitze hat beim Berühren des Zipfels des Gipfels in Kerstins Hand natürlich letztere auch etwas mit berührt.
Was wirklich der Gipfel war, das unterschied Fred ganz entschieden von den Molchen, obwohl das Problem, das die Togoleute vor den Molchen mit den Molchen hatten, mit Bier, Kaffee, Kardamon und Gipfeln, nicht das Problem von Fred war, nicht wirklich, nicht mal das der Molche, denn die Molche waren der wirkliche Gipfel dieser Veranstaltung, umgedrehte Gipfel sozusagen, nach innen gestülpte Krater, Orte mit gewaltigem Neigungswinkel, Anziehungspunkte, magische, kleine, kalte, hinterglaszuckende, fleischigfischige Verwandlungsgegenden, metamorphosisch metaphrische Möglichkeiten. Uff.
Butter bei die Fische, ein Molch ist kein Lurch, ein Lurch kein Salamander, keine Inge Ingeborg, doch Hand aufs Herz, auch Kerstins, kann und sollte Fred eigentlich und wirklich froher als froh sein?
Soll Fred Kerstin wirklich Hand für Hand kriegen und mit ihr gemeinsam nie mehr einsam den Gipfel des Glücks erklimmen? Zu Fuss?
Mir fehlt das richtige Schuhwerk, sagt Fred, ich leih dir meine Mephistos, sagt Günthi, geliehenen Fusses stapft niemand in sein Glück los, sagt Fred, nicht ohne dass das dann nicht das Unglück wäre, zumindest ein sehr frevelhaftes und anstrengendes Glück, kein dauerhaftes, kein glückliches Glück.
Die Togostrassenkonferenz verlegt sich, Fred lässt derweil die Füsse zu Hause, die Molche zu Hause haben keine, Fred geht es gut, wirklich gut.


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