Michael Donhauser

Die Gärten




«Schau her, schau drüben in die Näh' und Weite»
Annette von Droste-Hülshoff


Gärten, es waren Gärten, waren Gedanken wie Gärten, war ein Wind, ein nachmittäglicher, halbherziger, eine Bewegung als ein Blättern, ein unentschlossenes: oder ich hätte es zaghaft genannt, wäre ich bereit gewesen, die Gärten noch einmal wie ein Märchen zu erzählen, es wäre das Märchen gewesen vom Wind, der schon am frühen Nachmittag aufgekommen sein wird, etwas plänkelnd, etwas langsam. Die Gärten waren nahe, sie waren ein anderes Wort für Nähe, nahe als Umgebung, als eine offene Umgebung, gastgartenhaft: alle Wege waren Umwege und führten in die Nähe, die Nähe war eine zum Tod, mit dem Wind kam der Tod auf, das Vergehen als Belebung, der Wind trieb die Gärten, trieb die Sonne, trieb Herden von Wolken durch die Nachmittage, ich sass nahe einer Hecke, ich sass nahe einem Zaun, ich sass im Schatten und hörte den Verkehr, den spärlichen, wie es heisst, wenn im Sommer die Städte und Vorstädte verlassen sind. Meine Toten ruhten in den Rissen am Lack und Holz der Tische, sie verblassten mit dem ersten Gelb an den Rändern der Blätter, ihre Blicke rosteten, ich sah den Draht, womit der Maschenzaun zwischen die Pflöcke gespannt war, und hörte die Schläge beim Einrammen in die Erde über Jahrzehnte her: war die Nähe nicht immer eine zärtliche gewesen? Ich sass dem Berührtwerden nahe, berührte die flüsternden Blätter mit einem Flüstern, hielt dem Flüstern das Sehen entgegen und begleitete so die Bewegung: es gab kaum Gäste oder sie kamen später. Es gab die Arbeit, die ich mir vorgenommen hatte, und ich liess sie liegen, liess mich streicheln vom Wind und dem Licht in den Blättern: wären so die Gärten noch einmal imaginierbar, als eine Nähe, als ein Wiedereinsetzen, ein Maschinendrehen, ein Aufkommen von etwas Wind? Meine Verpflichtung war, zu bleiben, ich begrüsste alltäglich den Nussbaum, in dessen Schatten ich den Nachmittag verbringen würde, ich gewann eine Zuneigung für die Fliegen, welche von der Tischkante immer wieder abweichend ihr folgten: die Gastgartenbesitzer und Kellnerinnen kümmerten sich nicht zu sehr um mich, ich hatte meinen Platz.

Wo sind sie, so heisst es, die Nachmittage, die Kieswege, Grasbüschel, die Stille als ein Streifen, Zittern: es werden Jahre vergangen sein, in welchen wir uns kaum berührt haben, kaum gekannt haben werden, ich werde beim Eingang einer Bar sitzen und aus der Bar die Kommentatorenstimme eines Sportjournalisten gehört haben, während die Gärten ihr Leben weiterführen werden, als führten sie ein Leben, als wäre es ihnen nicht immer schon gegeben. Manchmal glich ein Nachmittag einem Vogelruf, in welchen sich ein Hundegebell mischte, manchmal waren es die Grillen, welche die Zeitlichkeit vertonten: ich kannte die Länge der Schatten und die Unebenheiten am Kies und am Verputz, ich legte mein Herz in die sanften Mulden, in die trockenen Pfützen, in die Höhlungen einer geweisselten Mauer, ich wartete. Es gab die Zwetschkenbäume, welche feingliedrig in Reihen standen, es waren zwei Reihen, und der Abstand zwischen den Stämmen war ein Mass, ein keusches, seine Wiederholung hatte etwas Loses, Unberechnetes, ich übertrug das Mass auf mein Warten und teilte es, unterteilte es in Nachmittage, in einen frühen, einen begonnenen, einen vollen, anhaltenden, einen sich neigenden: ich erkannte die Neigung am Licht, die Fülle als Armut an Geräuschen, den Beginn verspätet, die Verspätung als Dauer, die Frühe als schläfrige Helligkeit. Es gab das Wiederkehrende als Zusage: die Nähe war die Dichterin, welche den Schuppen mit dem Zaun und den Zaun mit den Bäumen und die Hecke mit der Mauer zu einer Umgebung verband, es gab verbindlich nur diese Umgebung und meine Bereitschaft, sie Tag für Tag aufzusuchen und mich so an sie zu gewöhnen und sie so an mich zu gewöhnen. Der Sommer hatte seine Mitte noch kaum überschritten, und war ein Tag schon herbstlich, das Flimmern in den Blättern silbern und der Himmel tiefer, nahm ich es als ein gutes Zeichen: denn das Vergängliche schien mir verlässlicher als alles Bleibende, Sommerliche, doch die Gärten blieben, stumm oft, fraglos, wo ich Fragen stellte, bis auch in mir das Fragen nachliess und die Blätter fächerten und ein Atmen durch die Gärten ging.

Die Gärten, waren sie das Bett, worauf ich ruhte wie im Grase, wie unter dem Blattwerk, wo ich dämmernd und hellwach in einem ein Nachtleben führte, ein versponnenes: ich sah die Sonne als Sterne durch die Blätter blitzen, der Kies lag nächtlich im reglosen Licht, ich nannte es still, und es war die Stille, welche Stunde für Stunde von Glockenschlägen gekreuzt die Gärten füllte wie eine Dunkelheit, ich durchwachte die Nachmittage. Es war ein langer Klageton, ein Käuzchenruf, waren dünne Schreie, ein Motorheulen und manchmal fast ein Knacken, als wäre ein Luftzug entzweigebrochen, ein Stück Schatten wedelte, etwas quoll, etwas kroch, es waren Momente eines stummen Vorgehens, einer Gewalttätigkeit als Wachsen, als Dehnen und Zucken, ich wartete auf den Wind, den Schlaf, der Verputz der Mauer gaukelte mir kein Bild vor: die Unebenheiten waren die Unebenheiten und der Mauerfuss war staubbespritzt, war gesäumt von ein paar Gräsern und Unkräutern und Zigarettenstummeln, ich verlor mich ins Sehen, verträumte mich in den Kies oder folgte einem Rascheln in die Hecke, spähte, wie es hiess, die Welt war, was in der Nähe lag. Wegränder, das war ein anderes Wort für das Westfälische, das Naheliegende, Staubige, das Zittern, wenn ein Spatz von Zweig zu Zweig hüpfte. Hätte ich die Dichterin damals gelesen, ihr Leben und ihre Gedichte, hätte ich ihre Sehschwäche als Vermögen, nahe zu bleiben, erkannt? Nahe dem Wegrand, unter einer Linde, nahe der Libelle, ihrem Flügel, dem Gebüsch? Und war es nicht ein Sehen, wäre es das Lauschen gewesen, das ich gehört hätte, oder in der Weite wieder das Nahe, umgebend, imaginiert? So ging es und vergingen die Tage: es war eine versprochene Nähe, es waren versprochene Gärten, ein versprochenes Sichverfärben und Fallen, das nahte. Würde mein Ohr es noch hören, würde ich die Rötung noch sehen und die bräunlichen Flecken, das gelbe Laub, die versprochene Erde, die Früchte, die Wespen, das Summen, die Ruhe als Duften und Schlaf?

Die Landschaft, die Wange, das Flüstern: ich habe mich nach dem Tod wie nach einer grösseren Nähe gesehnt, und es ist etwas Wind aufgekommen, ein leises Ziehen als Heben, ein Heben und Atmen, Berühren als Trost. Allmählich, versiegend, wiederkehrend, anschwellend: dass die Weite durch die Gärten zieht. Dass es wiegte in den Gräsern: die Weite ist eine nachbarschaftliche, ist eine von über den Hügeln gewesen, von einem Distelfeld auf einem Hügelrücken, das bläulich blühte, vom Brombeergesträuch in einer Talsohle, von einer Waldung, von einer gemähten Wiese. Ich atmete das Heu, den Quendel und ein Dickicht, eine Mulde, Brennesseln und Ampfer und so begann die Feier: begann so die Feier oder hatte der Wind mich getäuscht, hatte ich mich mit dem Wind getäuscht und blieb die Reglosigkeit trotz allem Weichen und Wacheln? Es gab keine Verwandtschaft, keine Nähe und keinen Trost: ich hatte mich gegen Mittag zu den Gärten aufgemacht, hatte die Schnellbahn genommen, bis an die Stadtzonengrenze, war von dort eine halbe Stunde gegangen, zwischen Siedlungsblöcken und älteren Vorstadthäusern, über einen Weinberg als eine Erhebung, eine Schwelle, über eine Bundesstrasse, dahinter begannen die Gärten. Gab es eine Ankunft, die Versteinerung des Augenblicks als ein Zögern, ein Aufschauen in die Kronen der Bäume, der Kastanien, und zurück auf die Zweige und Halme, die unreifen Früchte am Asphalt: ich hatte die Gärten begrüsst und sie waren menschenleer gewesen und etwas unberührt und etwas heruntergekommen, etwas gepflegt und morsch und frisch und verschlafen mit Ahornflügeln, die gleissend spiegelten am Kies, das Gezwitscher war ein Verklingen und etwas voll und etwas entweiht. Gab es eine Ankunft: ich hatte Tafeln gelesen, hatte Auslagen gesehen mit Flaschen und Pflanzen auf Simsen und Konfitüregläsern, ich hatte mich an meinen Tisch gesetzt, hatte meine Tasche auf die Bank gelegt, hatte mich umgeschaut. Vielleicht sah ich einen ausgefransten Federball wieder und war dies die Ankunft, dass er nicht weggeräumt worden war: ich vermied das Wort Spuren, ich vermied das Wort Sprache, es würde eine Weile dauern, bis der Wind sich mit dem Licht paaren würde, wusste ich und sah, wie seine Zärtlichkeiten es zu erweichen suchten.

Ich vermied den Rausch und trank Wein, trank das Vergehen herbei, den späten Nachmittag, den Abend: musste eine Bluttat geschehen, konnte nur eine Bluttat die Rötung am Himmel erklären? Ich misstraute dem Vergleich, mein Misstrauen war grösser als meine Zuversicht, und ich sah zu den Hügeln, sah dem Himmel entgegen, der sich öffnen würde: ich suchte die Erschöpfung, als wäre sie ein Versprechen, als verspräche sie ein wahreres Sehen als Berühren, ich nannte die Gärten sorgsam und nannte sie schön und verschwiegen. Die Gärten lächelten: es war ein Lächeln in ihren Blättern, ein stummes, und es war, als bewegten sie sich in einer Heimlichkeit, Glückseligkeit, wiederholend, imitierend ein Trödeln oder Schlendern und Schwanken. Es war ein Geruch von Verfallendem, Überwachsenem, Sonnengewärmtem und Mauerwerk: ich träumte die Gärten als Haus, als ödes, verlassenes, den Geruch als Moderduft, Staubduft, lose umrankt, und das Holz faul, mulmicht, und die Wände schimmelnd, ich bröckelte, dem Vergessen anvertraut, zwischen Schränken und Spiegeln, Stämmen und Schatten und Verblasstem, die Spinnen hingen tot in ihren Netzen, ich wartete. Etwas mottete, etwas girrte, versickerte: alles war ewiger, war sterblicher als Nussbaumrinde, als Hände, Arme, als das Ins-Schloss-Fallen einer Tür, als Verzögerung, Kieselsteine, Trauermärsche, als Schleier, als Schmetterlingsflug, Flügelschlag. Es kamen Gäste, indessen, und sie wählten einen Tisch, und ich erkannte in dem gemeinsamen Abwägen und Ermessen von Wärme und Wind und Schatten einen Liebesbeweis: ich hatte keinen Auftrag, ich hörte das Licht auf die Blätter fallen und lauter auf die Dachziegel des nahen Schuppens, sah es am Kies versiegen und von den Blättern auf meinen Tisch tropfen, am Tischlack ineinandertanzen und über den Tischrand auf die Bank, dass sie wie unter Tränen lag.

Die Gärten waren Schränke mit wehender Wäsche, es gab eine Leine im Nachbargarten, es gab das Wehen in Reihen und das Weisse und das Bunte, das Verdeckte und das Blaue einer Arbeitshose: ich streifte mein Spiegelbild, ich stiess auf meinen Schatten, etwas wankte und ich erkannte mich in einem Mädchen wieder, dessen Arme zappelten, während es über den Kies gelaufen kam. Ich erkannte mich in einem Mädchen, welches fast aufmerksam stillsass: der Nachmittag senkte seine Wimpern, die Sonnenstrahlen verfingen sich in der Wäsche, der Sommer neigte sich mit fliegenden Fäden, die Schwalben zogen Schleifen, ich hatte mich an den Bildern erschöpft, ich ergab mich den Blättern. Ich kannte die Dörfer und die Dorfränder und die Glockenschläge und die Armut und fand sie in den Blättern wieder, ich hatte gearbeitet, ich hatte vertraut, ich hatte verloren und feierte den Verlust: ich feierte mit den Gräsern, sah sie höher stehen am Zaun, wo der Mäher sie nicht erreicht hatte, sah sie verwoben und die Wicke, ihr loses Hängen und Klettern, durchmischt mit Ähren, einem Ziehen und Halmen, ich vergass. Die Gärten umgaben mich, sie reihten sich, ihre Tische standen in Reihen, ihre Blätter wisperten, ich war ihr täglicher Gast, ihr unablässiger Liebhaber: ich träumte nicht, ich wartete, ich wartete nicht, ich sah, ich sah nicht, ich hörte, ich war umhaucht, umspielt, nahe, am Kies, am Gebüsch, am Weg, am Zaun, ich feierte mit der Dichterin, ich pflückte ein Lichtgespinst aus dem Blattwerk, ich nannte den Flieder, nannte das Wiegen eine Brandung, die Blätter Wellen, ich trank wenig, trank Wasser, atmete das Kühlere, das mit dem Wind durch die Gärten zog. Oder es war, sodann, der Tau, war der Abendtau dann schon, war die Amsel, der Mückenschwarm, war das weichere Fliessen und Sinken und die Sonne, welche unter das Geäst tauchte, welche die Mauer streifte, dass ihre Unebenheiten Schatten warfen: sodass ich die Besänftigung wiederempfunden habe, die Sanftmut des Vergehens, und die Vergänglichkeit gefeiert haben werde als ein Nachlassen, Verklären, einen Widerschein. Ich hörte in der Ferne das Nahe als Abendverkehr, ich hatte in den Gärten eine Zuflucht gefunden vor meinem Zimmer mit den Worten, welche die Wände in mir wiederholten Als Bezichtigungen, als Zweifel oder Schlüsse oder Fragen, ich hatte mit den Wänden und den Blicken aus dem Fenster meine Herkunft verlassen, die Herkunft der Dichterin aus der Schuld, ich hatte die Schuld durch die Blätter ersetzt: sie hoben und senkten sich leicht, sie berührten so atmend die Weite als ihr Saum.

Die Gärten leuchteten, das Leuchten begann wie das Sterben begonnen haben wird, wenn die Gedanken sich ermüdet haben werden am Sehen: ich hatte die Einsichten aufgegeben und anerkannte den Gesang, wie das Zetern heisst, der Amsel, ihr Klagen und Rufen als nähere Stimme, als weiseres Sagen, die Amsel war die Drossel der Gärten, die Droste als Lerche, das Lachen als Weinen, das Zeigen als Wippen. Ich ersetzte die Felder und das Gehen durch das Sitzen und Hören, die Stadtränder durch ihre Gärten, die Ausfallstrassen und Ödflächen und Böschungen und Dörflichkeiten, ich hatte alles Weggeworfene und Im-Staub-Liegende inhaliert, ich hatte es als den Duft einer Heimat eingeatmet, als wäre ich nach langer Zeit heimgekehrt, als atmete ich mit dem Staub und den Scherben und Fetzen die Nähe der Berge, den Föhn, den Regen, die Wiesen. Ich hatte Nächte durchstreift, die Strassen, die nächtlichen, ich kannte den Schattenwurf der Drähte und Kabel und das Halbdunkel, das Stumme der Kreuzungen und die Stimmen der Vögel: die Gärten flimmerten. Der Himmel weitete sich, der Himmel rötete sich, er löste das Sehen und ich schaute den Herbst, ich schaute den Abend als eine Tönung, ein Sinken, himmelwärts: es war der Efeu eine Tageszeit, welche sich um die Stille rankte, es war in der Stille ein Ahornblatt, das sich an seinem Stiel drehte, es gab kein Erinnern, es gab das Mildere als Licht und die längeren Schatten und das Lachen von den Nachbartischen, das Licht breitete sich über die Hügel und legte sich in die Weinbergzeilen und unter die Bänke und Blätter und tiefer ins Gras. Ich legte mein Schicksal, wie es heisst, wenn es Abend wird, wenn der September naht, in die Hände der Gärten und nannte es Tau und den Tau Herbst und er berührte meine Augen mit seinen Fingern: ich hatte mich wundgesehen am Reglosen als Rasen und Rieseln und Ticken und Staub, ich sank, es war ein schwankendes Sinken im Sitzen, ich sank durch mich hindurch und lag als Verglühen am Kies. Ich feierte das Wort noch, ich feierte das Wort bald, der Sommer ging zur Neige, der Abend füllte das Tal, die Worte dufteten, ein Hund heulte mit den Glocken, die Glocken klangen im Geäst, es dunkelte: es wird dunkel geworden sein und ich werde dir die Gärten vorgelesen haben, wie du es dir gewünscht hast, ich werde deine Nähe geatmet haben, als atmete ich die Gärten, ihr Verströmen, als wäre das Lesen ein Atmen, ein Verhauchen am Kies, von Halmen umflort.

Ich hüllte mich, hüllte mich in ein Sagen aus Gräsern und Hecken und Wegen und Laub, das Sagen wärmte mich und so blieb ich: die Früchte reiften, die Zwetschken und Nüsse, die Walnussfrucht platzte auf und dorrte, ich sah die Walnüsse in der losen Umklammerung ihrer Fruchtreste und hörte sie fallen, auf die Tische, dass es klopfte. Der Wind hatte die noch unreifen Früchte zu Dutzenden heruntergeschlagen, in einer Nacht, an einem Morgen, und ich hatte den Überfluss mit der Verschwendung gelobt: die reifen Früchte mischten sich mit den unreifen, liegengebliebenen, am Kies und im Gras. Die Nachmittage waren kühler geworden, die Früchte gärten und die Blätter bedeckten sie, verfärbten sich: so bald ist es Herbst geworden, nannte ich es, wenn mit dem Laub die Nässe auf dem grünen Lack der Tische glänzte. War ich fröhlich? Ich ass die Nüsse, die niemand sammelte, drückte zwei aneinander, bis eine brach, ich trank schon früher ein Glas Wein, die Gärten kamen immer weiter näher: sie öffneten sich, sie waren bei sich, ein Blatt fiel und es fielen Abermillionen von Blättern, ich umfasste die Welt, wie sie heisst, die nahe, mit einem Heben der Augen und sah die Zwetschkenbäume, ihre Stämme, die Flechten, das Gras, ich gedachte, hätte der Dichterin gedacht, denn die Nähe war die Weite und die Weite erstreckte sich, um die Stämme und von den Stämmen himmelwärts als Gezweig. Ich nannte das Gezweig zart und sehnte mich nach Zärtlichkeit, ich sah die Risse im Tischlack, nachgezeichnet und eingeschwärzt vom Pollenstaub und Bratenfett und von den Fasern der Ärmel und Lappen, der Nässe, dem Wischen: ich sprach die Risse nach, ich lernte sie auswendig, die tieferen und die blasseren und das Astloch am Tischrand, das gefüllt worden war, ich kannte meinen Tisch auswendig, ich habe ihn jeden Tag wiederholt wie heimgesucht, ich hatte eine Heimat gesucht und fand sie in der Nähe, ich folgte dem Verlauf der Risse und berührte das Haarfeine, wo sie sich kaum zeigten. Ich war ein König, ein Diener, ein Niemand, und wie es später kalt geworden sein wird, so kalt, so bald, dass die Gastgartenbesitzer die Tische und Bänke einwinterten, werden sie meinen Tisch stehen gelassen haben, wird er als Rest der einstigen Tischreihen unter dem Nussbaum stehen, werde ich von fallendem Laub bestreut ein letzter Gast gewesen sein.
Sonnenmüde wird die Dichterin das Land genannt haben und vertraut das Nicken der dunklen Zweige und unsichtbar das Duften der Heiderose: es vergingen Jahrhunderte, es duftete nach vergangenen Jahrhunderten, es gab keine Gartentür, doch ein Strauch zitterte, als hätte ein Lattenzaun das Zufallen der Tür auf ihn übertragen. Es gab die Krähen, es blaute, das Krächzen kreuzte die klare Luft zwischen dem spiegelnden Geäst: es gab die Offenbarungen, eine Unendlichkeit zeigte sich als silberner Schmerz und ein Verlust fand Trost in der Aufmerksamkeit. Es gab die Variation als Wiederkehr: ich hatte jede Lektüre aufgegeben, ich lebte von den Legenden, ein Heiliges strich über das Gras, ein Heiliges erlag im Gras und empfing den Palmzweig des Sieges im Erliegen, ich war der Abschiede müde, ich grüsste, ich trank Sturm, trank den gärenden Traubenmost, atmete die Fäulnis und nannte sie eine Blume. Es roch nach Zerquetschtem, am Kies und aus den Kellern, nach wunden Früchten, nach warmem Blut: ich blutete, ich lobte, ich war aufgehoben in meinem Lob, nahe dem Blut, dem Wespenflug, dem Rinnen und Versickern, unter den Blättern als rauschendem Zeit. Ich feierte, es gab mich als dieses Ich, das feierte, das schaute, das mit der Dichterin geschaut haben wird, in die Nähe und die Weite, zu den Hügeln: es gab die Glühbirnen, die am Abend leuchten würden, bunt an schwarzen Kabeln, in hängenden Reihen zwischen dem Laub, es gab das Flimmernde, das Spiegelnde als Scheinen, als Früchte und matt als Hauch, der die Zwetschken bedeckte, gab das Gleissen am Holz, dem dunklen, das Blasse als Rinde, das Wehen, die Farben, das Nicken als Wanken, den Gruss. Einmal besuchten mich mein Bruder und seine Frau, kamen sie über den Kies, mit dem Kind im Wagen, und ich winkte ihnen entgegen, ich sah sie kommen, näher, und wir lachten, das Kind war gut jährig, war in seinem fünfzehnten Monat, es lächelte: die Gärten versammelten sich um sein Lächeln, verwandelten sich, waren umgeben von unseren Stimmen wie sie mich umgeben hatten, mit ihrem Flüstern, wir mischten den Sturm mit dem süssen Most, wir prosteten uns mit dem Sturm nicht zu, denn so war es Brauch, wir warteten mit dem Zuprosten auf den Wein. Es gab den Kontinent nicht, den ich darüberhinaus kennenlernen hätte wollen, ich misstraute dem Wort kennenlernen: es gab das Alltägliche, das Zärtliche, das Allmähliche und die Sehnsucht, die Schwalben noch und das Zögern, die Lippen, die Nüsse, die wir assen, den Braten und das Lachen wieder, das Lächeln, den sanften Rausch.

Der Kies glühte im Abendlicht, und ich nannte es Kiesglühen wie Alpenglühen und Sinken das Fallen, es war wieder kühler, ich schlug meine Decke enger um meinen Körper, sie war gewalkt, war gemurmelt wie gewoben und in eine Lauge, ein Schauen und Warten, gelegt, sie war gekämmt, immer wieder, wie gekämmt so verdichtet, ich schlug sie enger um die Gärten, ich wärmte das Geäst, das bald kahle, und das lichte Laub: was nicht war, entzog sich. Was nicht nah war, sank nicht auf den Kies und ins Gras, erhellte nicht als Schein den Himmel über den Hügeln, wird nicht ein Klang gewesen sein, aluminiumsilbern, ein Verklingen durchflutete die Gärten, flutete durch die Reihen der verlassenen Tische, oder die Tische standen schon gestapelt in einer Pergola und daneben, unter Planen, ich hatte die Pergola nie benutzt. Es hatte kaum je geregnet, die Gewitter waren in der Ebene niedergegangen, hatten als Zugluft aus den Tälern die Gärten gequert, waren prasselnd durch das Laub gebrochen, werden als Strömen am Kies zu Spritzern zerstäubt worden sein: ich sah die Tischbeine, x-förmig gekreuzt in das Halbdunkel unter dem Pergoladach ragen, sah sie durch das Plastik der Planen, ich begann zu ermüden. Ich drehte mich den Laubhaufen zu, dem Zusammengewehten, als suchte ich einen Blick, als hätte mich von dort ein Blick erreicht: es gab kein Umsonst, kein Gedenken, keine Unwiederbringlichkeit, das Laub erzählte von den Nachmittagen, vom Liegenbleiben, einem Rascheln, einem Erweichen unter den Küssen, wie die Tropfen hiessen, vom Tau. Ich versank, ich erklang, ich hörte die Amsel rufen, als wären es Rufe, die sie in den Abendhimmel hob, als wären es Arme, womit sie alles umfing: es gab die Sichtbarkeit, die erhöhte, die verborgene, ich war in sie eingekehrt als in eine Gaststube, ich sah die Wäsche, sah Jahrhunderte an der Leine im Nachbargarten wanken, im Tau, sie erinnerten mich an das Bieten, an das Schütteln und die Klupen, die Wäscheklammern, doch es war kein Erinnern, es war ein Sehen, durch welches das Erinnern fiel, steif und welk und rührend als ein armer Traum.

Ich verträumte sie nicht, ich brachte sie nicht auf den Punkt, die Nachmittage, die Gärten, die Abende, den Herbst: ich kannte den Punkt nicht, auf den sie zu bringen gewesen wären, ich kannte den Traum nicht, den ich träumen hätte können, ich kehrte immer wieder zurück zu den Zwetschkenbäumen, wie sie so in zwei Reihen standen, so entblättert fast und zerbrechlich, so fast schwarz vor der noch hellen Nacht. Ich misstraute den Beschreibungen, der Montage, den Verfremdungen, der Abstraktion: ich berührte die Wipfel der Zwetschkenbaumreihen und sie wankten, kaum spürbar, ich streichelte ihr Gezweig, ihre äussersten Zweige und hängenden Blätter, die sich leise drehten, ich atmete ihre Scham, ich legte meine Hand um ihre Knie, sie bogen sich leicht, es flüsterte. Die Gärten funkelten, bunt von den Glühbirnen, lagen still und vermengt mit den Stimmen der Gäste, ich blieb, an meinem Tisch, nahe den Zwetschkenbäumen, ich hörte hinauf in das Lilarot und Veilchenblau des abendlich nächtlichen Himmels: ich hörte das Klingen der Gläser und das Reden und Lachen und lehnte mich an einen Zwetschkenstamm, fühlte seine Rinde an meiner Wange, wie es heisst, wenn die Nähe am sanftesten ist, ich trank mich in ein Glück aus Zuversicht und Leid und Versöhnung und Widerstand. Die Blätter vermehrten den Schein der Lampen, die Hecke war bestückt mit Fetzen von Lichtern, die Fledermäuse zuckten über den Kies und hinauf in die Bucht zwischen den Kronen der Bäume, ich war schwer und schwebte, ich sass in einem Ansturm, einer Vielzahl von Dunkelheiten, von Schattenwürfen, von Wortresten und Seidengluten und Schaukelndem, wenn dann ein Wind durch die Gärten fiel. Ich tauchte das Brot in den Wein: ab es den Trost, der von den Gärten kam, das Schweigen, das Geheimnis, das Wissen? Ich dachte in Lauten, ich vernahm, was ich dachte, in Lauten, ich belauschte mich und hörte das Laub und hörte es rascheln: es gab den Schauder als Zittern, als Fernhererzittern, doch ohne Irrlicht oder Echo, das hallte, es war, als wäre in den Gärten die Sage vom Verhängnis befreit, als wäre sie so wieder offen für ein Heimfinden, ein Wiedersehen, ich machte mich auf. Es war, als machte ich mich auf den Weg, doch ich blieb, ich nahm den Aufbruch an den Dingen vorweg, sah den Kies noch, wie verteilt bedeckt von Schalen und Blättern und Stielen, sah die Schalen noch und die Maschen vom Zaun, die Rauten, das Runde: die Nacht hatte sich um die Gärten gelegt.

Wie lange würde ich so bleiben, so die Gärten imaginieren, noch die Nähe, das Fallen wie von Lindenblüten, der Blätter, mit der Dichterin, begleitet von ihrem Liederstrom: sie sah, als wäre im Sehen ein Entkommen, lauschte in die Weite, als hätte sie von dort das Alphorn gehört, als könnte sie den Hirten sehen, heimzügeln von der duftbesäumten Höh' -. Trieb nicht auch sie die Jahreszeit voran, um so nah zu sein, der Zärtlichkeit, näher, dem Tod? Ich begrüsste die kühleren Tage, ich begrüsste die Dunkelheit, ich werde immer wieder die letzten Gedichte gelesen haben, als wäre in allem Letzten ein Näheres, eine grössere Nähe von Verwirrung und Harmonie, Geäst und Klarheit, ein tieferes Verscheinen, ein endlicher Freispruch. Denn es wird sein, als hätte der nahe Tod erst die Dichterin freigesprochen, sie wird diesen Freispruch imaginiert haben, wie ich die Gärten imaginierte, das Rascheln: es raschelte im Nussbaum, es raschelte in den Büschen, ich taumelte zuinnerst, ich streifte das Verderben mit einem Lächeln, ich liess Jahrhunderte hinter mir, ich sagte Gärten, und es war, als wären sie wiedergefunden, die Gärten, am Rand der Stadt. Die Nacht senkte sich auf die Kronen der Bäume, sank durch die blattarmen Äste, das blasse Laub, das Gezweig und auf die Tische, die Bänke, den Sommer, den vergangenen, erinnerten, durch das erinnerte Wehen und Bauschen: alles war gut, alles war gereiht und begleitet von Graswuchs und Kräutern, meine Blicke waren Fähren, sie führten mich vom Ufer der Gärten zu den Hügeln, vom Ufer der Hügel zu den Gärten, sie legten an, sanft an den Stämmen, dem Schuppen, der Mauer, ruhten an der Mauer, leise schlagend mit den Schlägen des Blutes. Ich nahm noch ein Glas Wein, ich trank und schaute, eine Weile, die Mauer lang, den Zaun lang, die Dinge waren das Zeitmass der Weile, dies war meine Anarchie, dies wird die Anarchie der Dichterin gewesen sein, sie wird das Sterben als Vergessenwerden gefeiert haben: es war in den Dingen ein Lied, etwas Leises als Lied, und ich konnte es nicht unterbrechen, es war ein Nichtkönnen als Zögern, als Hören, es war, als streifte der Wind mit Fingern den Maschenzaun, als drehte er sich um die Stämme der Bäume und um die Pflöcke, als wirbelte er im Laub, ich hörte, ich ging.

Ging ich? Es war, als hätten sich in den Gärten die Zweifel gelöst, die Bezichtigungen und Schlüsse, die Städte hatten mich bereichert und geplündert, beschenkt und verwüstet und aufgenommen und vertrieben, ich war gesundet, an den Städten, und zugrundegegangen: ich bin hinausgefahren, ich habe das Gebüsch am Bahndamm gesehen, vom Fahrtwind gezaust, es hat mich bewegt, besänftigt, ist den Gegensätzen enthoben gewesen, hat den Schotter berührt, hat den Mohn berührt, die Schutthalde, das Alteisen, die Bahnsteigkante, den Kastanienstamm, es sprühte. Sprühregenflitter wird die Dichterin die Gischt genannt haben, als erhöhte das längere Wort das Berührtwerden, das Benetztwerden, die Nähe zum Wasser, zum Boden als Ufer, zum See: ich nannte die Weite See und die Dinge am Bahndamm ihr Strandgut, nannte die Gärten Buchten, und das Gebüsch kündigte sie an. Werde ich es wiedersehen und die Wege wieder, die Reihen, die Tische, das Gras? Ich zögerte, ich hörte die Nacht durch die Gärten schleichen, meine Augen folgten ihr und ich sah den Schein von den Aborten her am Kies liegen, fahl und heil und innig und Steinchen für Steinchen und so trostlos und wahr wie geträumt, wie verlassen, wie wiedergefunden als Ruf: ich werde den Versuch unternommen haben, mich zu imaginieren, imaginiert zu haben mit der Dichterin oder wie gestorben, als wäre alles Ich so ganz und Ohr, so nur noch Ohr, so fast nicht mehr, wie scheintot oder getarnt nur von etwas Gebüsch und so bereit wie bereitet, weiter zu hören, umgebender. -Ich umgab das Abgründige und Befreiende des Augenblicks mit Tageszeiten und Blätterschatten und Zwetschkenbäumen, mit Übergängen und von fernher einem Rauschen, einem nahen, einem nächtlichen Abendverkehr: war ich gestorben, hatte ich gelebt? Die Fragen zerfielen zu Laub, waren zu sehr gestellt, zu gestellt als ein Akt, ich lachte und mein stummes Lachen raschelte im Laub, ich nannte es Schicksal, das sich so an mir erfüllte, und die Zweige wägten das Wort und verästelten, trugen Enden wie Knospen oder Dolden, leere, Reste von Ahornflügelpaaren, der Himmel blinkte. Meine Finger waren etwas steif, etwas kalt, sie stützten die Stirn oder legten sich um das Glas, sie spielten mit einem Blatt, bewegten es an seinem Stiel: sie träumten von Früchten und ich gab ihnen die Nachtluft, die sie atmeten wie sie die Wärme geatmet hatten, vom Tischlack, vom Flüsterlicht, das letzte Laub der Wicke fisperte am Maschenzaun.

Gedankenlos, wie es heisst, werde ich ein Stück Papier zur Seite geschupft, gekickt haben, im Gehen, und es wird die Sonne am Asphalt liegen und wird ein erster Herbsttag als ein Frühlingsbeginn gewesen sein: ich hatte die Ränder der Gläser am Tischlack gezählt, ohne zu zählen, die Zahl eher lesend wie das Gezweig, es war ein wenig entblösst und blass und dunkel in sich verquert, ich stand auf, stand dann und es war ein Abschied, ein Rätsel, ein wiederholtes, war ein Wanken, als ginge ich an Land, es waren die Dahlien, die am Wegrand standen, zur Verschönerung, als Erlösung von einem Ziel, scheinend noch in späten Farben, im Kraut ihrer Blätter, im Streulicht von den Strassenlampen, lila und bordeaux oder gelber in der Tiefe eines Gartens. Es war ein Lob um dieses Blühen, dieses vergessene, randseitige, ein Verlorenes als Lob, und es ging mir auf, und ich ging in seinem Schutz und im Schutz der fast kahlen Sträucher, der Zäune, der geparkten Wagen: die Gärten schliefen oder bellten mit einem Hund, ich hörte ihren Atem als Hauch, ich atmete das Kühle, die Ranken, das Welke, Feuchte, Dürre, das Ausgebleichte, den Verfall, die Gärten sprachen im Schlaf, die Gärten schliefen in einer Sprache aus Schweigen und Wispern und Geäst, sie wisperten oder es war windig und ich nahm den Weg nach Rodaun. Die Zweige peitschten den Lichtschein und die Dunkelheit, die Blätter kreisten, es riss und trieb und war ein Fliehen über die Strasse, ich gehorchte meinen Schritten, ich wohnte im Zausen und Reissen, den Gärten so noch einmal nahe, den aufgelösten, flatternden, ich bückte mich, unter einem Ast durch, die Endstelle der Strassenbahn lag jenseits einer Lichtung mit niederem Buschwerk, einem stillgelegten Gleis: ich sah sie schwach beleuchtet, ich liebte dieses Schwache und die Weglampen und die Weideruten, den Blätterschwarm und das Flachdach und das Fliessen eines Baches unter der Böschung, in einem gemauerten Bett, ich schwankte. Eine Strassenbahn fuhr ein, einäugig, und ich beeilte mich nicht, ich blieb nahe, sah das Kopfsteinpflaster, die Grasfugen, das Moos und das Glanzlose des stillgelegten Gleises, das Gebüsch säumte das Gleis, vom Wind gerüttelt, mit mondsteinfarbenen Beeren, ich sah das rote Licht der Türöffnungsknöpfe und die hinterste Strassenbahntür sich teilen, den Türschein und den Schaffner-. er war zur Kontrolle durch den Anhängerwaggon gegangen.


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