Birgit Kempker Der Raum des Zahns Wasser, Milch und Vodka, drei Räume von Gerda Steiner «Wasser, Milch und Vodka sind 3 Flüssigkeiten, die wir zu uns nehmen. Jede versetzt uns in einen bestimmten Zustand. Sehen, denken und fühlen sind 3 Tätigkeiten, die sich gegenseitig beeinflussen. Ich male die Umstände», schreibt Gerda Steiner. Dank der Einführung in die Ausstellung im Feuilleton durch Hans-Joachim Müller, ein «langsames Näherkommen der Bilder» bis zur «schönsten Gefangenschaft» in ihnen, versuche ich den nächsten Schritt, nämlich raus, oder sanfter: zur Freiheit. Denn so sehr die Linien, Farben, Überschneidungen uns in Räume verführen, und zwar gleichzeitig in Räume des Betrachtens und in zu betrachtende, per Betrachtung zu betretende Räume, also in Körperinnenräume, neuronale Netze, Blutgefässe, Knochen, Augen, Kiefer, Horn, Flüssigkeiten, in Landschaftsräume, auch in Aufzeichnungsverfahren von Landschaft, von Körper, also in Vorstellungsräume, in mentale Enklaven, Träume - so sehr wecken sie auch den Wunsch nach Unterscheidung, nach frischer Luft. Lassen wir Wasser und Vodka rechts und links liegen, gehen wir also mitten rein in den Raum zwischen den beiden Räumen, stehen wir zwischen drei Räumen, drei jeweils fast wanddeckende Kreise, die wiederum jeweils auf Kreisen wie schweben oder schlingern und sich gegenseitig sowohl in den Farben, vor allem: im Blau, Grün und Schwarz (Acryl, lasierend die Linien, Dispersion, matt deckend die Flächen, zwei der Malgründe für die soghafte Vexierwirkung), wie auch in den Motiven der Verschlingung und Durchdringung, gegeneitig aufnehmen, an und abstossen und eben verschlingen und durchdringen, - weniger kannibalistisch, also gut griechisch, blutig und barbarisch, rauschhaft wie Nebenzimmer rechts, weniger narzistisch, spiegelnd, den Ariel suchend, luftig wie Nebenzimmer links, weder dionysisch, noch apollinisch, sondern persönlich und dem Namen nach: nomen est omen, Geben und Nehmen, «ich gebe gerne», schreibt Gerda Steiner, - mehr auf eine leichte, schwindelerregende Weise, wie auf hoher See, mit Sicht nach Oben und von Oben zugleich mit Adlerblick. Kurz stabilisiert unseren Magen die hier anzubringen mögliche Semantik: Bullauge denken wir, passt ja zu Schwindlig, zu unserem Zustand also, oder überhaupt Auge, was und mit dem wir und in das wir uns sehen passt ja zu unseren Augen, Kapillarsystem, oder überhaupt Systeme, ein Reichsches Organon der Organe und Ornamente fällt uns ein, ein Umschlageplatz, cloudbuster? Regenzieher? Da verlieren wir wieder Land, auch wegen der Syntax der für die Umstände notwendig vorzunehmenden Sätze, denn es ist hier etwas milderes (als Ozean und Orgasmus), schmelzendes und doch sehr kräftiges mit uns vorgesehen, denn es ist ja der Raum, sagen wir weise: des Zahns. Wär ich nicht durch Worte und Bilder wie: weise, weiss, Schmelz, durch Mild zur Milch und zum Zahn gekommen - durch welche Alchemie ist es zwischen Wort und Wodka vorne zum Vatervau gekommen? - wär ich nicht durch die Rotation wie durch einen Tunnel durchs Tondi katapultiert, wär mir «Geburt» nicht in die Zeitung gekommen. Nehmen wir es als übertragenes Wort, als freies Wort und für Freiheit, als Wort der Übertretung. Schauen wir ins Nähkästchen. «Auf einem Berg stehen und hinuntersehen in die Landschaft wie in die Verdauung (bei Wanderungen sind die Bilder kaum zu verdauen, lacht), den Magen malen, die Verdauung, einen Ausweg suchen, eine Höhle, wie komme ich wieder raus? Oder die Skizzenbücher an den Körper legen...», könnte Gerda Steiner zum Vorgang sagen, Wege sehen, die dem Auge ähneln und sich ihm verdanken, ein Vorgang von beiden Seiten her, man könnte die Seiten: Mutter und Vater, Wasser und Luft, Denken und Fühlen, Schenkel und Dreieck, Nehmen und Geben, Kristall und Matsche, oder auch weniger familär: polar oder komplementär oder Verbindungen legen, nennen. Was wissen wir von Verbindung? Was wissen wir von Lücke? Was wissen wir vom Verstand? «Wissen heisst: denken, sich etwas genau anschaun und Verbindungen legen. Klarheit. Die Verdauung. Das Hirn. Die Landschaft. Raum. Körper», schreibt Gerda Steiner. Berge ähneln Zähne in Form und Struktur. Wenn der Milchzahn wackelt, entsteht die Lücke, in die wächst der Erwachsenenzahn. Wenn der Erwachsenenzahn wackelt, wieder Lücke, oder Gebiss. Wir kennen das wie kaum selten was anderes alle. Wir kennen das aus den Träumen wie aus dem Leben. Der Zahn markiert nicht nur in uns selbst, im Mund, die Grenze zwischen Innen und Aussen, zerkleinert das Aussen auf dem Weg nach Innen, hält das Innen zurück auf dem Weg nach aussen, greift an und verteidigt, ein Werkzeug und der Ort für Passage, symbolisch und real, ist er ein Indikator, wie es um uns steht. Wenn jemand auf dem Zaun sitzt, sagt man, ist es eine Hexe. Wer Haare auf den Zähnen hat, auch. Wir kennen den Zahn der Zeit, dieTot und Zahn-Verbindung. Zähne liegen sehr nah am Verstand, da im Mund und doch sind sie mit ihm nicht zu sehen, auch nicht mit den eigenen Augen, wir müssen in ein Spiegelglas sehen. «Kühle Milch bringt unseren Verstand ins Rollen. Grün und blau sind Pflanzen, Seen und der Himmel bei schönem Wetter. Kraft. Die Kraft etwas zu behaupten. Der Wille es zu machen. Die Möglichkeit es zu zeigen. Milch für das Wachstum», schreibt Gerda Steiner. Was ist das für eine Milch, die nicht weiss ist, eher eierschalfarben, nicht flüssig ist, eher Kristall, aber auch nicht hart und kantig ist, eher veränderlich, nun Milch macht Mut zu sagen: dass die verschlungenen Wege der Gerda Steiner geradlinig sind, so gerade, wie Linien anbetracht gewisser zu malender Umstände eben gerade sind, klar, heftig und intelligent. Wenn der Verstand rollt, öffnet sich die Wand. Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor |