Birgit Kempker Weil dort = wie hier Für die Zeichnungskonstellationen von Karim Noureldin Für die Zeichnungskonstellationen von Karim Noureldin wäre, wäre sie nicht schon erfunden, eine Seele zu erfinden. Eine Seele, die, wäre es nicht schon erfunden, sich ein Gerüst erfindet. Ein Gerüst, das sich um einen Bau herum erfindet und gleichzeitig den Bau baut, wäre er nicht schon gebaut, ob er nun Körper heisst, Flugzeug, Ratte, Falle, Spindel, Waschanlage; Pappel, Blume, Kopf, Eisen, Telefonmast; Draht, Strom, Schachtel, Haus oder Haut; ein Gerüst, das sich gleichzeitig abbaut und dabei abhaut und nicht vergisst, dass der Weg die Flugbahn ist, auf der er abhebt und klebt und sich selbst zuweilen frisst. Seele ist ein Wort für etwas, was du dir hier vorstellen kannst, als genau nicht hier. Striche können etwas sein, was hier ist, auf dem Papier, und was wohin zielt und dich zieht, wo du dir nicht vorstellen kannst, wo das ist, wo du aber, bestenfalls, genau dort hingezogen und eben hingestellt bist. Und genau von dort, wo du genau nicht weisst, wo das ist, können Striche genau auf dich treffen, auch auf dich zu treffen, und etwas von dort nach hier einschleusen; dich hier überfallen, unterwandern, bestreuen, bepudern, einbalsamieren, präparieren und dort zum Beispiel mitten in die Stirn dich treffen, weil dort = wie hier; und wären die Parallelen nicht schon erfunden, die sich im Unendlichen treffen, hier wären sie endlich zu treffen, weil dort = wie hier. Verbindung = Absperrung. Gefängnis = Umfriedung. Ausbruch = Rückruf. Buchstabe = Tor. Tunnel = Partitur. Fluchten = Gebetsmühlen. Verschränkungen = Auseinandersetzungen. Schaltplan = Ellipse. Quadrat = Notenschlüssel. Wollknäul = Schanier. Wattebausch = Gelenk. Fallen + Kristalle. Bleistift + Schnee. Verwundete Ecken. Bandagierte Ausgänge. Traurige Maschinen. Glückliches Verschwinden. Amseln, die auf Schlitten sitzen und pfeifen. Zum Beispiel dies: «Wie es schimmert ... Schritt für Schritt ... voll Verwunderung ... nicht weggehen ... mit warmem Herzen ... sich sorgfältig prüfen ... sich mit Hellsichtigkeit wappnen ... allein, für einen Augenblick ... als ob man eine Höhle erreicht ... so ganz weit tragend ... den Kopf aufmachen ... den Klang vergraben ...» was keine Amsel pfiff, sondern Erik Satie, Texteinwürfe zu den Gnossiennes. (Komposition 1890) Seelen sind unsichre Sachen. Unsichre Sachen werden leicht als sakral, als heiliger Schnickschnack verschrien, doch liessen sich hier lieber leichte Linien ziehen, zum Beispiel zu Satie: auch bei Satie leicht pastorale Grundstimmung, fast nicht gesungene, leicht in die Komposition eingestreute, wie siehe oben, aber doch gesagte Sachen. Satie beschäftigte sich auf seine Weise mit den Parallelen, zum Beispiel mit der Struktur mittelalterlicher Musik, mit dem Parallelorganum. Das Parallelorganum könnte, dem Namen und der Figur nach, ein Gebilde von Karim Noureldin sein. Eine fast geräuschlose Maschine. Eine gute Maschine. «Eine gute Maschine ist geräuschlos. Die vom Zentrum entfernten Teile versetzen die Achse nie in Schwingung. Sprecht, ohne zu schreien. Also keinerlei Verzückung - denn sie befördert schlecht.» Paul Valéry. Sicher ist: Räume werden vermessen und Massen werden eingeräumt. Masse wird auf das Ende von Schleudervorrichtung gepackt. Dämpfung? Luftdichte. Masse wird mit Bleistift ins Quadrat notiert und vergessen. Angst? Auf einer Parallelwegkreuzung steht das Parallelmobil wie auf der Abflugpiste und kommt nicht los. Und käme gerne los? Was wird denn da, von dort nach hier, aufs Papier geschleust? Zeichnungen, die es in sich haben, sehen für Jeden, je nach Jedem nämlich, anders aus. Hüte dich, zu zeigen, was du siehst. Da du die Zeichnung, wenn du es in dir hast, in dir hast, hilft kein Verstecken, kein Verkleiden, keine Hülle, keine Schale, keine Deckung; kein Spiegel, kein Raum und keine Umkehrung. Hohe Versteckungsenergie hilft Reibung herzustellen und wirkt auch heiss, auch hitzig, kann auch verwirren, loskommen aber nicht. Deshalb ist kaltes Fieber, in der Kunst, das bessere Gefährt. Es gibt glückliches Nichtloskommen, kräftiges, wabriges, ephemeres, gleichgültiges, geometrisches, auch vielleicht schwerbleistiftiges. Wenn du mutig bist, das heisst auch töricht, siehst du in dem, was du siehst, das, mit was du siehst, mit, und so gibt es dich zum Beispiel auf dem Papier als Gehirnvolumen locker aufgerollt, aufgespindelt, wattig aufgespiesst und trösterisch gleichzeitig zum Köcheln gebracht, hübsch eingefroren und beinah doppelt perfekt. Du darfst auch an Eisenspäne und Magnetfelder denken, an Bratröhre und Polaritätsverfahren. An Blumen messen und verrenken. Oder an Szenarios. Skizzen zu dramatischen Abläufen. Zu traumatischen Anläufen. Anläufe vom Papier loszukommen, aber auf dem Papier. Daher das vage Bestimmtheitsgefühl von in sich geschlossenen, abgesättigten, noch zaghaft mal zuckenden, meist statischen Systemen, obwohl wie eingefroren = gleichwohl hungrig. Oder versuch die Gebilde zu singen. Oder versuch auf die Gebilde aufzuspringen, sie zu sprengen oder zu beklettern, in sie einzugreifen und oder dich in ihnen vorzufinden. Oder entwinde dich. Wenn eine Linie gezogen sein will, für immer, aber nicht als Begrenzung, nicht als Einengung, nur als Vorschlag, als Vorübergehendes, als Moment, als Energie, und doch nicht vorübergehen will, und doch auch an Worten wie: Energie und Seele schnell vorübergehen will, nicht dies, nicht das, sondern - zum Kuckuck warum? - nicht vorüber gehen will, dann ist Wiederholung dran; vieles vielmals immer wieder zeigen, zeichnen und hierhin und dorthin ziehen, vielleicht mal einen Raum mit 671 vollgezogenen Blättern vollziehen, du könntest vom Immer-besser-und-immer-besser-werden-wollen besessen sein, doch es geht nicht um das Besser-werden, es geht dir natürlich wie dem Wald um Werden pur. Und zwar mit eigener Hand. In eigener Regie. Mit eigenem Plan. Es geht auch ums Zeichnen und trotz Transformation und Umwandlung und Auflösung von Materie und Abstufungen zwischen verschiedenen Stofflichkeiten geht es dir um ein Minimum von Stofflichkeit, Gewicht, Druck, nämlich Zeichnung. Sich gänzlich verdünnisieren, stünde auf anderem Blatt. Nämlich auf keinem. Oder, um mit Paul Valéry, zum Paradox gesprochen, zu schliessen: «Paradox. Es gibt nur ein Mittel, um einem Werk Einheit zu geben: es unterbrechen und wieder aufnehmen.» Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor |