Michael Donhauser

Der Kindergarten




Zwischen Daumen und Zeigefinger habe ich die Schuhbändel gehalten, die Mutter hat mir die Finger gerührt, es mir nochmals vorgemacht, mich wieder allein probieren lassen, ich habe die Bändel umeinandergelegt und angezogen, dann eine Schleife gemacht, mit Hilfe des linken Mittelfingers, in der rechten Hand habe ich die Schleife dann gehalten, zwischen Daumen und Zeigefinger, und habe wieder nicht weitergewußt. Auf der Stiege in den oberen Stock bin ich gesessen, Tag für Tag habe ich dort das Schuhbinden geübt, bis ich dann den Bändel in der linken Hand um die Schleife und den Daumen der rechten gelegt und ihm und dem Zeigefinger eine zweite Schlaufe hervorgezogen habe. Zuerst habe ich vor lauter Vorsicht vergessen, dabei anzuziehen, langsam nur habe ich an den Schleifen gezogen, bis sich die zweite dann wieder in einen langen Bändel aufgelöst hat, die erste ist locker am Schuh gehangen. Zu locker ist mein Knopf noch lange gewesen, und ich bin oft auf dem Weg in den Kindergarten oder heim am Trottoir gekauert und habe die Schuhe nochmals gebunden, Olgi ist dann stehengeblieben und hat gewartet, bis ich damit fertig gewesen bin. Olgi ist die einzige Volksschülerin in der Nachbarschaft gewesen, sie hat mich das ganze erste Jahr in den Kindergarten gebracht und von dort auch wieder abgeholt, an ihrer Hand bin ich manchmal auch das letzte Stück Weg einfach mit offenen Schuhbändeln gegangen und habe aufgepaßt, daß ich nicht draufgestiegen bin. Wie ich in den Kindergarten habe gehen dürfen und also ein Kindergärtler gewesen bin, habe ich meine Schuhe ohne fremde Hilfe binden können. Langsam und sorgfältig habe ich sie gebunden, unter den anderen Kindergärtlern aber habe ich es nicht mehr zustande gebracht, auf der Garderobenbank bin ich gesessen und habe mich zu meinen Schuhen hinabgebückt, ich habe heiß bekommen, mit jedem Mal Probieren ist mir heißer geworden. Die Kindergärtler haben geschrien in der Garderobe, als täte das Anziehen weh, die Schwester ist immer näher gekommen, sie hat allen, die es nicht können haben, die Schuhe gebunden, ich habe zu ihr hinübergeschaut, ganz schmale Lippen hat sie beim Schuhbinden gemacht. Dann hat sie sich vor mir hingekniet, mich am linken Fuß genommen und mir den Schuh gebunden, dann den rechten, mit ein paar knappen Bewegungen, sie hat dünne, schnelle Finger gehabt, fester hat sie meine Schuhe gebunden als die Mutter oder ich, ihr weißer Schleier hat dabei gezittert.

Im Kindergarten sind die Tische in einem großen U gestanden, also in einem u-förmigen Halbkreis um die leere Zimmermitte aus dunkelbraunem Linol. Der Kindergarten ist ein Geschenk vom Fürst gewesen, der Fürst hat seinen Reitstall in den Kindergarten umbauen lassen und ihn dann der Gemeinde geschenkt. Wir haben den Znüni in der Garderobe holen dürfen, dort hat es nach feuchten Mänteln und ausgekühlten Schuhen gerochen, jeder Kindergärtler hat sich zu seinem Kleiderhaken gedrängt und von dort seine Pausetasche heruntergenommen. Dann sind wir mit den Stuhllehnen gegen die Tische um die leere Zimmermitte gesessen, die Hände auf der Pausetasche im Schoß, die Schwester hat eine Geschichte vorgelesen. Aus grobem, braunen Manchasterstoff hat mir die Mutter eine Pausetasche genäht gehabt, mit einem Schulterriemen, einer Schleife und einem goldfarbigen Knopf zum Verschließen. Die Schwester ist vor ihrem Schreibtisch an der offenen Seite des U's gestanden und hat laut gelesen, ich habe nur ihre Stimme gehört, spitzig ist sie gewesen und doch so, als würde die Schwester singen, nicht lesen. Dann hat die Schwester das Buch hinter sich auf den Schreibtisch gelegt und die Hände gefaltet, wir haben unsere Hände über unseren Pausetaschen aneinandergelegt, Fingerspitze an Fingerspitze, wie wir es gelernt haben, die Schwester hat gebetet, «Amen», haben wir gesagt, ein paar auch lauter der Zimmermitte zugerufen, wie die Schwester fertiggebetet gehabt hat. Wir haben unseren Znüni auspacken dürfen, ein Stück Daheim ist das Brot mit seinem Duft für mich gewesen, die Hände der Mutter habe ich gesehen, wenn ich das Brot ausgewickelt habe, wie sie das Brot gerichtet und in dünnem, weißen Papier eingemacht haben. Die Schwester hat aufgepaßt, daß wir anständig essen, zurück in den Schoß, aufs Papier, haben wir unsere Hände mit dem Brot immer wieder gelegt und gekaut und erst wieder abgebissen, wenn wir einen leeren Mund, also geschluckt gehabt haben. Manchmal hat die Schwester einen Kindergärtler den Mund aufsperren lassen und hineingeschaut, bevor er weiteressen hat dürfen. Dann ist sie hinter den Tischen rund um das U gegangen, ab und zu ist sie bei einem Tisch stehengeblieben und hat etwas geschaut, sie ist hinter mir vorbeigekommen, ich habe nicht weitergekaut, nur gehört habe ich und gewartet, auf ihre Sandalen, den Bissen still im Mund, bis sie wieder weiter weg gewesen ist.

Jeder Kindergärtler hat seinen Platz gehabt, an den er, wenn die Schwester mit ihrer Trillerpfeife gepfiffen hat, sofort zurückkehren hat müssen. Kleine-Holzstühle mit einfach einer Leiste waagrecht im Rahmen der Lehne, das sind unsere Plätze gewesen, manchmal haben sich zwei Kindergärtler auf einen Stuhl gedrängt, in der Eile, wenn die Schwester gepfiffen hat. Einmal bin auch ich hinter meinem schon besetzten Stuhl gestanden, ratlos, für verloren habe ich ihn schon gehalten, da hat Edgar, mein Freund und Cousin, ihn mir wieder beschafft, «du hockst falsch», hat er einfach zum Kindergärtler auf meinem Platz gesagt. Nach dem Morgengebet haben wir unter den Spielsachen in den Schränken etwas aussuchen dürfen, die Schwester ist dabeigestanden und hat geschaut, daß jeder Kindergärtler nur ein Spielzeug genommen hat. Die leere Zimmermitte im Rücken, sind wir dann auf unseren Stühlen gesessen und haben gespielt, bis hinauf an die Decke haben die wieder verschlossenen Schränke vor mir geragt, als Schatten haben sich in ihnen die Bewegungen der Kindergärtler gespiegelt, ich bin ein dunkler Fleck auf der polierten Schranktür mir gegenüber gewesen. Ich habe mit Sternen gespielt, die ich ineinanderstecken habe können, grüne, gelbe, blaue und rote, einen ganzen Haufen davon habe ich vor mir auf dem Tisch liegen gehabt. Am liebsten ist mir die Schwester hinter ihrem Schreibtisch gewesen, wenn sie dort gesessen ist und geschrieben hat, dann habe ich nicht auf sie aufpassen müssen. Immer wieder habe ich den Schlitz gefunden, in den ich den nächsten Stern gesteckt habe, oder den freien Platz zwischen zwei Sternen, Stern um Stern habe ich ineinandergesteckt, das ist ein endloses Vergnügen gewesen. Nur als Ellbogen oder Hände habe ich da die anderen Kindergärtler bemerkt und zwar, wenn einer in den Sternenhaufen vor mir gegriffen oder sich neben mir Platz gemacht hat. Edgar nur habe ich immer wieder im Eck rechts hinter der Schwester kauern und winken gesehen.

Die Schwester hat jedem von uns einen Zettel mitgegeben mit einem Gebet darauf, neben das zusammengefaltete Brotpapier in die Pausetasche habe ich ihn gesteckt. Olgi hat draußen vor dem Kindergarten auf mich gewartet, dort, wo der Kiesweg in das Trottoir gemündet ist, bei der Gartentür. Ich habe ihr die Hand gegeben und wir sind nach Hause gehüpft, im Gleichschritt, in Olgis Rückentasche hat es gepumpert, als hätte sie den Donner darin eingepackt, meine Pausetasche ist neben mir hergeflogen, auf und ab, daß es eine Freude gewesen ist. Dann bin ich zur Mutter gelaufen und habe schon den Schulterriemen über den Kopf gezogen, alle Türen habe ich hinter mir offen lassen, die Haustür und die Küchentür, nur damit die Mutter den Zettel mit dem Gebet darauf so schnell als möglich gehabt hat. Ich habe meine Pausetasche auf den Küchenstuhl gelegt und sie gleich geöffnet, den Zettel herausgezogen und der Mutter gegeben. Sie hat das Gebet mit mir eingeübt, immer wieder hat sie es mir vorgesagt, Zeile für Zeile, dann zwei Zeilen zusammen, am Küchentisch sind wir gesessen, und ich habe auf den Zettel geschaut, als könnte der mir helfen. Jedes Wort hat für mich seinen unaufhörlichen Klang gehabt, wenn die Mutter es mir vorgesagt hat, den schnellen Wechsel der Klänge aber habe ich mir kaum merken können. Zusammen haben die Mutter und ich das Gebet aufgesagt, dann habe ich es allein probiert. Am Morgen, bevor mich Olgi abgeholt hat, hat mir die Mutter das Gebet nochmals Zeile für Zeile vorgesagt, ich habe über Nacht alles vergessen gehabt, Zeile für Zeile habe ich es wieder nachgesagt. Im Chor haben wir dann gebetet im Kindergarten, alle zusammen, fast geschrien haben wir dabei, um die leere Zimmermitte sind wir gestanden und haben gebetet, jeder von seinem Platz aus, seinen Stuhl im Rücken, die Schwester ist vor ihrem Schreibtisch gestanden und hat das Tempo bestimmt. Jeder hat für sich das Gebet laut aufgesagt und dabei der Schwester zugehört, immer lauter haben viele dann gebetet, so als könnte die Lautstärke die übrige Zeit füllen, jedes Wort länger machen und so dem der Schwester angleichen, ich habe ein wenig langsamer als die meisten gebetet und mich so sicher gefühlt. Wir sollen beim Beten nich so schreien, hat die Schwester gesagt, wir sind aber immer wieder ins Schreien gekommen.

Am Morgen, wenn mich Olgi abgeholt und an der Hand genommen hat und wir dann auf dem Weg in den Kindergarten gewesen sind, habe ich es oft gar nicht wahrhaben können vor lauter Sehen und Schauen. Ein Holzplättli, der Rest von einem Stengeleis, habe ich bemerkt, Tag für Tag, so lange es am Straßenrand gelegen ist, immer wieder aber nicht, wohin der Weg geht. Maschen- und Lattenzäune habe ich gesehen und Hühner oder Gärten dahinter, den Staub aufwirbeln, und in den Büschen hat es gezaust, dann einen elektrischen Zaun, der hat getickt, die Kühe sind im Gras gelegen und haben gekaut, der Wind hat es in Schwärmen an ihnen vorbeigetrieben. Ein Haus ist nah an der Straße gestanden, es hat viele, kleine Fenster ohne Läden gehabt und ist doch wie blind gewesen vor Staub, an einer gemähten Wiese sind wir vorbeigekommen, die hat warm geduftet. Dann ist oben, über einem Hang, das Bürgerheim gelegen, ganz weiß vor dem wogenden Schloßwald, grüne Läden hat es gehabt. Herunten, in den Hang hinein, haben ein paar Männer eine Mauer aus grauen Steinblöcken gebaut, ich habe nichts verstanden, wenn sie geredet haben, aber hell hat es geklungen, und sie haben gelacht. Dann sind wir am Kirchenaufgang vorbeigegangen, an der Heiligen Maria mit dem toten Heiland, und unter dem Kastanienbaum durch, zu Hunderten sind dort kleine, hellgrüne Kastanien gelegen, nicht größer als ein Fünfräppler, und kurze Stacheln haben sie schon gehabt, der Baum hat gerauscht hinter uns her, wir sind über die Straße gelaufen, dann eine Hecke entlang, da habe ich gewußt, daß es in den Kindergarten geht. Die Hecke hat gezittert und ihre Spatzen haben gelärmt, an ein paar Garagentoren vorbei ist es gegangen, dann sind wir vor der Gartentür gestanden. Olgi hat mich losgelassen und über den Kiesweg hineingeschickt zu den anderen Kindergärtlern, unter das Vordach. Dort haben sie geschrien im Wind und gelacht, ein paar auch gerauft, ich habe mich dazugestellt, die Schwester ist gekommen, zur Gartentür herein. Sie hat sich dort umgedreht und sie zugemacht, ihr weißer Schleier hat geflattert und sich gewunden, dann ist die Schwester über den Kiesweg gekommen und hat nach ihrem Schleier gegriffen. «Grüßgott», haben wir gerufen, «Grüßgott», hat die Schwester gesagt, «Grüßgott», und ist durch uns zur Tür gegangen, ihre Schlüssel haben gerasselt, sie hat den Kindergarten aufgesperrt. Noch einmal habe ich die Gartentür gesehen, dann hat es mich mit den anderen Kindergärtlern hinein in die Garderobe getragen. Dort hat es nach Täppli, das sind Hausschuhe, gerochen, von den Pferden des Fürsten habe ich nichts mehr riechen können, ich habe in der Garderobe nur die Täppli gerochen, Morgen für Morgen, da bin ich dann erst ganz sicher im Kindergarten gewesen. Sorgfältig habe ich die Schuhe aus- und die Täppli angezogen, den Zeigefinger habe ich als Schuhlöffel verwendet, so habe ich beim Hineinschlüpfen den Täpplirücken nicht verletzt, nicht zertreten.

Die Tische im Rücken, sind wir um die leere Zimmermitte gesessen, jeder mit seiner Pausetasche im Schoß, die Schwester hat eine Geschichte vorgelesen. Meine Tasche hat nach Manchasterstoff gerochen, gern hätte ich sie ein wenig unter die Nase gehalten, ich habe aber gespürt, daß sich das nicht gehört. Ich habe den Daumen und den Zeigefinger der rechten Hand gegeneinandergedrückt und bin mit den Fingernägeln über den feingerillten, goldigen Knopf meiner Pausetasche gefahren, so habe ich ein dünnes Pfeifgeräusch hervorgebracht. Gepfiffen hat mein Knopf wie ein verwunschener Vogel, und wenn ich schnell hin- und hergefahren bin, fast schon gezwitschert. Auf einmal hat die Schwester zu lesen aufgehört, leise hat mein Knopf in die Stille gepfiffen. «Wer ist das gewesen?» hat die Schwester gefragt, «ich», habe ich so leise wie mein Knopf geantwortet, die Schwester hat mich ins Eck geschickt, ich habe ins Eck stehen müssen, dann hat sie weitergelesen. Ich habe ins Eck geschaut, fest, als könnte ich so die Strafe wiedergutmachen, so fest ich geschaut habe, habe ich aber nur immer wieder die Mutter an der Abwasch stehen und weinen gesehen. Nach dem Gebet und dem «Amen» hat mich die Schwester wieder an meinen Platz geschickt. Dort bin ich dann gesessen und habe Bissen für Bissen hinuntergewürgt, ich habe gewußt, daß ich das Pausebrot nicht verdient habe, eng wie ein Knopfloch ist mir der Hals gewesen.

Ich habe mit den Sternen gespielt, einen Stern nach dem anderen habe ich genommen und zu den schon zusammengefügten dazugesteckt, immer wieder habe ich den noch freien Platz, den richtigen, für den nächsten Stern, gefunden. Die Schwester ist von Tisch zu Tisch gegangen, manchmal hat sie sich über einen Kindergärtler gebeugt, dann habe ich zwischen den schwarzen Falten ihres Kleides ihr silbriges Kreuz gesehen, nur ein Stück davon. Die Schwester hat ein silbriges Kreuz in ihrem schwarzen Kleid versteckt getragen, es ist kein Heiland daran gehangen, trotzdem habe ich immer wieder hinschauen müssen, ob es zwischen den Falten an ihrer Seite hervorschauen würde. Dann habe ich weitergespielt, die Schwester ist schon ganz nahe gewesen, ich habe gespielt, als würde ich weiterspielen, habe Sterne dazugesteckt, wie es gerade gekommen ist, da ist die Schwester schon hinter mir gestanden. «Was ist denn das, was du da baust?» hat sie mich gefragt und sich von hinten über mich heruntergebeugt, ich habe nicht begriffen, daß da etwas sein soll. Das Gesicht der Schwester habe ich wenig über mir gespürt, habe aber nicht zu ihr hinaufgeschaut, nur die ineinandergesteckten Sterne habe ich angeschaut, stumm sind sie vor mir auf dem Tisch gelegen. Ob das ein Dampfer sei, hat mich die Schwester gefragt, ich habe genickt, da ist sie weitergegangen. Ich habe den richtigen Platz für den nächsten Stern nicht mehr finden können, daß das etwas sein müsse, was ich da baue, habe ich gespürt und gedacht, daß es ein Dampfer sein müsse. Später habe ich lieber Lego gespielt, da habe ich dann gewußt, was ich baue, meistens habe ich ein Haus gebaut, manchmal ein Auto und einmal ein Pferd, sonst immer wieder Häuser.

Die Schwester hat uns in Hören geprüft, auf ihrem Stuhl ist sie gesessen und hat eine glänzende Scheibe an einem Bändel vor sich in die Höhe gehalten, mit einem Paukenschlegel hat sie auf die Scheibe geschlagen, daß die nur so gedröhnt hat, bis sie dann immer leiser geworden ist. Ein Kindergärtler nach dem anderen hat neben die Schwester stehen und sagen müssen, wann er nichts mehr hört. Ich bin drangekommen, habe mich neben die Schwester gestellt, sie hat ausgeholt mit dem Paukenschlegel und zugeschlagen, gedröhnt hat die Scheibe, daß es mich gerissen hat, dann geklungen und gesummt ohne Ende, ich habe kein Ende gehört, ich habe die Scheibe weitersingen gehört, nicht aber aufhören, «was ist?» hat die Schwester gesagt, da ist die Scheibe verstummt. Die Schwester hat sie nochmals geschlagen, nochmals für mich, ich habe die Scheibe fest angeschaut, damit ich sehen habe können, wann sie zu singen auhört. Beim dritten Mal habe ich aus Angst, daß die Schwester wütend wird, geraten, «jetzt», habe ich gesagt, obwohl ich die Scheibe inmmer noch singen gehört habe. Die Mutter hat mich am Nachmittag zum Onkel in die Praxis gebracht, in seinem Büro haben wir gewartet. Lilli, seine Gehilfin, hat in einer Schublade voll Karten geblättert, dann in der nächsten, weich ist Lilli gewesen, ganz rund und weiß, weich hat sie auch geduftet, ihre kleinen Finger sind schnell über die Kartenreihen geflogen, haben manchmal hineingegriffen zwischen die Karten und dann auch eine herausgenommen. Ununterbrochen hat Lilli dabei mit der Mutter geredet, eine helle Stimme hat sie gehabt mit fremdartigen Lauten dazwischen. Hinter der gepolsterten Tür hat der Onkel gesprochen, ernst und klar, dann ist es still gewesen, die Tür ist aufgegangen, dunkel und warm habe ich die Stimme des Onkels gehört, er hat die Mutter begrüßt, dann mich, ganz in Weiß ist er gewesen, die Praxis hell mit Licht gefüllt und nur ein Eck ein wenig düster. Dort ist ein Stuhl gestanden, mit Armlehnen, dorthin hat mich der Onkel geführt, mir ist der Stuhl nicht geheuer gewesen, «so, luage'mer amol», hat der Onkel gesagt, da habe ich mich hinaufgesetzt, mit einem flimmernden Licht vor der Stirn hat er mir in den Hals geschaut und mit einem kleinen Eisenhut in die Ohren. Dann hat mich der Onkel zum Vorhang des langen Praxisfensters geführt und so hingestellt, daß ich hinausgeschaut habe über die Dächer zum Schloßwald hinüber, er hat mir gesagt, daß ich die Wörter nachsagen soll, die ich höre. Er hat sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt und mir dann von dort aus, quer durch die Praxis, ein Wort ums andere zugeflüstert. Bis herauf in den Kopf hat mein Herz geklopft, trotzdem habe ich jedes Wort gehört und nachsagen können. Dann habe ich mich umdrehen müssen, zur Wand hinüberschauen, dort ist ein Bild von der Tante gehangen, groß ist es gewesen und die Tante hat ein hellblaues Kleid getragen, wieder habe ich jedes Wort nachsagen können, ich bin mir so sicher dabei geworden, daß ich gewünscht habe, der Onkel möge noch viele Wörter von seinem Schreibtisch zu mir herüberflüstern. «Der Buab hört einwandfrei», habe ich da ihn zur Mutter sagen gehört.

Die Schwester ist ein schmales, schwarzes Kleid gewesen, ihre Sandalen habe ich fast nie gesehen, oft aber gehört, sie sind auch schwarz gewesen. Von knapp über der glitzernden Brille aufwärts hat die Schwester ein weißes Schild getragen, von dem ist nach hinten ihr weißer Schleier gefallen, keine Ohren hat die Schwester gehabt und ein spitziges Gesicht. Ihre Hände hat sie meistens zwischen den schwarzen Falten ihres Kleides versteckt gehalten, sie hat sie vor allem zum Aufsperren gebraucht, zum Beten und Vorlesen, manchmal hat sie mit ihnen einen Triangel zum Klingen gebracht, und die Mädchen haben sich dazu in der Zimmermitte im Kreis gedreht. Oft ist die Schwester hinter ihrem Schreibtisch gesessen, ihr Gesicht ist dann ganz im Schleier versunken gewesen, und ihr schwarzes Kleid hat sich am Ärmel leicht bewegt, manchmal hat sie den Füllfederhalter bis hinauf unter den Schleier gehoben oder dann auf einmal aufgeschaut und die Brille blitzen lassen, schnell habe ich weggeschaut, auf meine Hände, wie ertappt. Auf dem Schreibtisch der Schwester ist ein kleiner Neger gekniet, auf einer Kassa, er hat genickt, wenn ein Kindergärtler einen Fünfräppler vor ihm in die Kassa geworfen oder wie ich langsam hat fallen lassen. Mit meinem Zögern habe ich gehofft, auch sein Nicken ein wenig verlängern zu können und ihn fest angeschaut, da hat er schon genickt. «Vergeltsgott», hat die Schwester dazu gesagt, mir ist das stumme Nicken des kleinen Negers ohne die Stimme der Schwester lieber gewesen. Nie habe ich geglaubt, daß er Vergeltsgott gesagt hat, kein kleiner Neger hätte so Vergeltsgott gesagt. Der Vater hat viele Stimmen, auch Tierstimmen, gehabt, so die Stimme von einem Bär, die Schwester aber immer nur ihre, so spitzig wie ihr Gesicht ist sie gewesen. Gern hätte ich auch genickt wie der kleine Neger, wenn der Fünfräppler geklingelt hat in der Kassa, ich habe aber gespürt, daß sich das nicht gehört.

Ich habe das Gedicht «Joggeli söt gi Biara schöttla» nicht auswendig aufsagen können, immer wieder habe ich den Faden verloren, ich bin neben der Schwester gestanden, habe auf den Linolboden geschaut und wieder mit dem Aufsagen begonnen. Da habe ich dann den Joggeli gesehen und die Birnen mit ihren stummen Gesichtern, die Leiter, den Hund und das Steckli, das Feuer, und alles ist so lebendig geworden, daß ich vor lauter Mitleid und Verwirrung zwischen den Wörtern und den Bildern hin- und hergelaufen bin, bis ich nicht mehr weitergewußt habe. Die Schwester hat mir weitergeholfen, ich habe mich fest an die Wörter gehalten, habe versucht, nur sie zu hören und die Bilder nicht zu sehen, das ist gut gegangen, bis ich dann nur noch ein Wort gehört habe, «löschen», habe ich gehört, «löschen, löschen, löschen», das nächste Wort aber ist nicht mehr gekommen, ich bin wieder steckengeblieben. Ich habe nachsitzen müssen, das ist die größte Strafe überhaupt gewesen. Die Kindergärtler haben sich hinausgedrängt in die Garderobe, dort habe ich sie schreien gehört und lachen, die letzten noch hinausgehen und rufen, dann ist es still gewesen, die Schwester ist hereingekommn. Sie hat sich hinter ihren Schreibtisch gesetzt und geschrieben, ich bin auf meinem Stuhl gesessen und habe das Bilderbuch vom Joggeli anschauen müssen. Daß die Schwester etwas über mich schreibt, habe ich geglaubt, und daß sie Dinge von mir wisse, von denen ich gar keine Ahnung hätte. Die Bilder vom Joggeli, der Birnen hätte schütteln sollen, habe ich schon gekannt, sie haben mir nicht helfen können. Die Leiter ist mir zu kurz vorgekommen und das dünne Steckli selber schon hilflos, das feste Schweigen der Birnen hat mich bestürzt, das traurige Gesicht des Feuers trostlos gemacht. Die Stühle der anderen Kindergärtler sind bis zur Lehne unter die Tische geschoben gewesen, der ganzen Reihe entlang, und sie selber wie verschluckt, nicht eine Bewegung habe ich mehr von ihnen gesehen, ich habe zur Schwester hinübergeschaut, sie hat noch immer geschrieben.

Barbara und ich sind zusammen in den Kindergarten gegangen, im Regen, unter ihrem Schirm, gelb und violett gefleckt ist er gewesen, Flecken wie dicke Kreise hat er gehabt. Im zweiten Jahr hat mich nicht mehr Olgi in den Kindergarten gebracht, Morgen für Morgen habe ich im zweiten Jahr Barbara abgeholt, und zusammen sind wir dann in den Kindergarten gegangen, Hand in Hand. Barbara hat immer ein blaues Nylonkleid getragen mit einem Pullover und warmen Strumpfhosen darunter, im Sommer hat sie Kniestrümpfe angehabt, und wenn es geregnet hat, ihren Schirm neben mir in die Höhe gehalten. Eng nebeneinander sind wir unter Barbaras Schirm in den Kindergarten gegangen. Die Heilige Maria unter dem Kirchenaufgang hat einen schwarzen Schleier gehabt und schwarze Arme, der tote Heiland ist auf ihrem Schoß und in ihren Händen gelegen, auch er ganz schwarz vom Regen, nur sein Rücken ist grau gewesen wie das Gesicht der Maria und ihre Brust. Unter dem Kastanienbaum sind lauter kleine Blüten gelegen, weiß ist das Trottoir davon gewesen, der Zebrastreifen hat gelb geleuchtet im Regen, wir haben nach links geschaut und nach rechts, dann sind wir von Streifen zu Streifen gesprungen, der Teer dazwischen hat gespiegelt vor Nässe. Wir sind der Hecke entlanggegangen, sie hat leise geknistert, stumm sind die Spatzen in ihren Zweigen gesessen, ein Guli hat vor den Garagentoren gegluckst, die Gartentür ist angelehnt gewesen. Da habe ich nur den Regen wispern gehört, kein Schreien oder Rufen von unter dem Vordach her, kein einziger Kindergärtler ist dort gestanden. Wir sind hinein und bis unter das Dach gegangen, dort habe ich die Türfalle heruntergedrückt, habe geklinkt, die Tür hat sich nicht bewegt. Barbara hat sich auf die Bank daneben gesetzt und ihren Schirm auf die Steinplatten gelegt, im Rohr vom Dach herunter hat es gegluckert, sonst ist es still gewesen. Da hat Barbara aufgeschluchzt, dann leise geweint, die Hände vor dem Gesicht, ich bin neben ihr gestanden und habe auch weinen müssen.

Mit ihrer Trillerpfeife hat die Schwester gepfiffen, schnell sind wir zu unseren Plätzen gelaufen, «nicht so rennen», hat die Schwester gerufen, wir haben unsere Stühle umgedreht und sie mit der Lehne bis an die Tischkante gerückt, dann haben wir uns in die Garderobe hinausgedrängelt und unseren Znüni geholt, das hat nie schnell genug gehen können. Nachher sind wir um die leere Zimmermitte gesessen, die Hände auf der Pausetasche im Schoß, die Schwester hat eine Geschichte vorgelesen. Stuhl neben Stuhl und Bein neben Bein sind wir nebeneinandergesessen und haben zugehört, braune, blaue und graue Manchasterhosen haben die Buben angehabt, feiner und gröber gerillte, in einer Reihe. Auf der anderen Seite des Zimmers sind die Mädchen gesessen, in bunten Schürzen und dunklen Strümpfen, mehr Mädchen als Buben sind wir gewesen, vor der mittleren Tischreihe, der Schwester gegenüber, sind fast auch nur Mädchen gesessen. Dann hat die Schwester gebetet und wir auch, mit ihr, mit gefalteten Händen, «Amen», haben wir gesagt und den Znüni auspacken dürfen. Es hat geraschelt und reden habe ich gehört, wir haben die Beine zusammengedrückt und das Brotpapier draufgelegt, als Serviette, dann unsere Brote gegessen, stumm, denn beim Essen haben wir nicht reden dürfen, und so haben wir gekaut. Über den Mädchen auf der anderen Seite, jenseits der leeren Zimmermitte, habe ich, draußen vor dem Fenster, ein Stück aber nicht weit weg, Pappeln stehen gesehen und sich biegen und flimmern im Wind. Nichts habe ich von den Pappeln gehört oder vom Wind, so nichts wie von den Pferden des Fürsten, kein Wiehern oder Schnauben, auch kein Schlagen von Hufen, nur das Kauen in meinem Kopf und das der anderen Kindergärtler neben mir. Gekaut haben auch die Kindergärtler auf der anderen Seite des Zimmers, die Mädchen drüben, und hinter ihnen haben sich immer wieder, lautlos, die Pappeln gebogen im Wind. Wenn ein Lastwagen draußen vorbeigefahren ist, habe ich es rumpeln gehört, sonst aber nur das Kauen und dann das leise Gehen der Schwester, ihre Sandalen auf dem Linol.

Einmal ist der Onkel in den Kindergarten gekommen. Edgar ist aufgeregt gewesen vor Freude und Stolz, «höt kumit min Vater», hat er am Morgen in der Garderobe gesagt, und ob ich es ihm glaube, hat er wissen wollen, von allen Kindergärtlern hat er es wissen wollen, einen nach dem anderen hat er gefragt, beim Spielen hat er immer wieder zur Tür geschaut und versichert, daß sein Vater jetzt gleich komme, mir ist auch schon gewesen, als müsse die Tür jeden Augenblick aufgehen. Dann sind wir in der Garderobe auf den Bänken gesessen, jeder unter seiner Jacke, still ist jeder dort gesessen und hat gewartet, bis er aufgerufen wird. Die Schwester ist unter der Tür gestanden, immer wieder hat sie einen aufgerufen, mir Vor- und Familienname, dann haben ein paar Kindergärtler halblaut geflüstert, «Heinz, du», haben sie flüsternd gerufen, und Heinz ist aufgestanden und durch die Tür verschwunden. «Es got noch'm Abc», hat einer behauptet, aber er hat auch nicht herausfinden können, wer der nächste ist. Die Schwester hat meinen Namen gerufen, zwischen den anderen durch bin ich zur Tür gegangen und an der Schwester vorbei hinein. In einem weißen Kittel ist der Onkel auf dem Stuhl der Schwester gesessen und neben ihm, an ihrem Schreibtisch, Lilli, auch in Weiß. Der Onkel hat mich zwischen seine Beine genommen, «soso», hat er gesagt und seine feine, haarige Hand auf meine Schulter gelegt, da habe ich mich vor der Schwester sicher gefühlt, vor ihrer spitzigen Stimme. «Ah», habe ich gerufen, der Onkel hat mir ein Holzplättli auf die Zunge gelegt und in den Hals geschaut, «brav», hat er gesagt, dann etwas zu Lilli, er hat mir in die Ohren geschaut, und schon ist der nächste hereingekommen. Ich bin zu meinem Stuhl gegangen, an meinen Platz, wir sind still auf unseren Plätzen gesessen, alle, die schon drangewesen sind, ein leises «Ah» habe ich manchmal gehört, den Onkel etwas sagen oder die Schwester einen Namen rufen. Dann sind immer mehr Kindergärtler wieder auf ihren Stühlen gesessen, wir haben leise geredet, Edgar und ich und ein paar andere auch. «Psst», hat es da von der Tür her gezischt, da sind wir wieder still gewesen.

Schreien habe ich gehört und Fredi dann im Sandkasten liegen gesehen, den Kopf hat er gehalten, fest hat er seine Hände auf die Stirn gedrückt, das Blut ist ihm über die Finger geronnen. Das ist hinter dem Kindergarten gewesen, dort haben wir bei schönem Wetter spielen dürfen. Ein Mann hat Fredi weggetragen, dann haben alle wieder durcheinandergeschrien, da hat die Schwester gesagt, einer nach dem anderen soll erzählen, was er gesehen hat. Klaus habe mit Fredi um die Schaufel gestritten, Fredi habe sie nicht hergeben wollen, da hat Klaus sie ihm aus den Händen gerissen und auf den Kopf geschlagen, so haben es die meisten gesehen, ein paar haben gesagt, es sei schon beim Raufen um die Schaufel passiert. Ein Kindergärtler nach dem anderen hat erzählt, was er gesehen hat, und immer wieder habe ich die Schaufel auf Fredis Kopf prallen gesehen. Klaus hat sich versteckt gehabt im Gebüsch, dann ist er stumm neben der Schwester gestanden, für uns Kindergärtler ist er fast wie ein Mörder gewesen. Noch lange habe ich die Schaufel gegen Fredis Kopf schlagen gesehen und immer wieder seine Hände mit dem Blut, erst wo wir in der Volksschule die Geschichte von Kain und Abel gelesen haben, habe ich den Schaufelschlag vergessen können, das Bild in meiner Bibel ist mir dafür geblieben, dort ist der bärtige Kain mit einem Fell bekleidet und einer Keule in der Hand neben dem Abel gestanden, der ist am Boden gelegen, ein weißes Kleid hat er angehabt und nicht geblutet. Dann ist Fredi wieder in den Kindergarten gekommen, mit einem Verband um den Kopf, die Kindergärtler haben sich auf dem Vorplatz um den stillen Fredi gedrängt.

Edgar ist im Eck rechts hinter der Schwester gekauert und hat gewunken, die Schwester ist hinter ihrem Schreibtisch gesessen, sie hat geschrieben, wir haben Legos zu kleinen Blöcken zusammengesteckt und sie dann über den Linolboden zu Edgar hinüberschlittern lassen, mit einem Schwung, er hat die Blöcke gestoppt und zwischen seinen Schenkeln versteckt. Ins Eck hat man kein Spielzeug mitnehmen dürfen, und so haben wir Edgar mlt Legos versorgt, der Wand entlang und vor der Tür vorbei haben wir die Blöcke rutschen lassen, abwechselnd, ich habe zu wenig ausgeholt, da ist mein Legoblock vor der Tür stehengeblieben. Ich habe weitergespielt, als wäre nichts, als gäbe es den Block vor der Tür nicht, die Schwester hat aufgeschaut, das habe ich genau gespürt, und ihn dort liegen gesehen. Sie hat Edgar hinausgeschickt, sein ganzes Legolager hat sie entdeckt, «räum das zurück», hat sie gesagt, dann hat Edgar hinaus in die Garderobe müssen und ich ins Eck. Von dort aus hat der Kindergarten ganz anders ausgesehen, die schwarzen Sandalen der Schwester und ihre weißen Füße sind mir am nächsten gewesen, sie hat sie unter ihrem Stuhl überkreuzt und weiße Socken angehabt. Ihr schwarzer Ärmel hat sich manchmal, ihr ganzes Kleid aber dauernd leicht bewegt, wie vom Zwiebelschneiden oder Riebelrösten, die Schwester hat geschrieben. Fast bis zur Stuhllehne herunter ist ihr weißer Schleier gehangen und über den Stuhlrand an einem Bändel ihre schwarze Trillerpfeife. Die Kindergärtler sind klein gewesen, kleiner als sonst, und haben sich auch weniger bewegt, sie haben geklickt und geklopft, manchmal auch etwas gesagt, Edgar ist vom Linolboden verschluckt gewesen. Das ist, was ich vom Eck hinter der Schwester aus gesehen und gehört habe, vorher aber habe ich mich selber in die ärgste Verzweiflung gebracht gehabt. Die Strafe kann ich nie wiedergutmachen und schon auf dem Heimweg wird mir jeder ansehen, daß ich bestraft worden bin, das habe ich fest geglaubt, die Mutter habe ich am Küchentisch sitzen und weinen gesehen, nie mehr werde ich sie trösten können, das habe ich gewußt, und das hat mich zugeschnürt, am liebsten wäre ich wie tot gewesen. Dann bin ich langsam und doch wie auf einmal ganz ruhig geworden und habe den Kindergarten gesehen, die Schwester und die Kindergärtler dahinter, ihr leises Spielen habe ich da gehört und von Edgar keinen Laut.

Jeden Samstag haben wir aufgestuhlt. Wenn die Spielsachen in den Schränken versorgt gewesen sind und die Tische sauber, hat jeder Kindergärtler seinen Stuhl mit der Sitzfläche auf den Tisch gelegt, die Stuhllehnen haben dann unter die Tische geschaut, die Beine in die Luft geragt, kurze, viereckige Beine sind es gewesen, das ganze Labyrinth von Beinen haben wir so auf den Kopf gestellt, dann haben wir gehen können, das ist eine Freude gewesen, geschrien haben die Kindergärtler beim Anziehen in der Garderobe vor Freude, ich habe mich beeilt. Auf dem Heimweg haben wir nicht trödeln dürfen, die Mutter hat mit dem Essen gewartet. Barbara und ich haben fast nie getrödelt, nur im Herbst, wenn der Regen die Kastanien vom Baum neben der Kirche heruntergeschlagen hat, haben wir nicht einfach vorbei und so schnell wie möglich heimgehen können. Wir haben die Kastanien vom Rasen aufgelesen, wo oft noch ein paar mit der Schale gelegen sind, dann vom Trottoir und aus dem Straßenbord, dort hat es viele gegeben, meist aber geschürfte oder solche mit einem Sprung. Plattgedrückt und zersplittert sind die überfahrenen gewesen, wie Weinbergschnecken, wir haben unsere leeren Pausetaschen mit den nassen Kastanien gefüllt, dann die Hosensäcke, ist kein Auto gekommen, sind wir schnell auf die Straße gelaufen und haben die noch ganzen gerettet. Am Montag ist der Linolboden immer frisch geblocht gewesen, frisch hat es dann im Kindergarten gerochen, so als hätte ihn noch nie ein Kindergärtler betreten. Ich habe eine Scheu vor diesem braunblanken Boden gehabt, mit unseren Täppli haben wir Montag für Montag die ersten Spuren hineingemacht. Nach dem Abstuhlen sind wir dann um die leere Zimmermitte gestanden, jeder mit dem Rücken zu seinem Platz, und haben gebetet. Da habe ich auf dem glänzenden Linol die dumpfen Striemen und Flecken von unseren Täppli gesehen, und mir ist gewesen, als wären unter ihnen auch Hufabdrücke, als wären es Spuren von den Pferden des Fürsten und unsere Zimmermitte seine leere Manege.


Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor