Jürg Laederach Nackt bis aufs Verbum Ansprache des Gehetzten Dankesrede zur Verleihung des Italo-Svevo-Preises 2004 Sumo-Ringer sind die Erfinder des Strings. Ein langer gerader Faden fährt von ihren Hüften zwischen ihre enormen Hinterbacken, verbreitert sich dann zu einem wimpelartigen Tuch, das ihnen vorn beim Herauskommen das Geschlecht deckt. Wie dieses beschaffen sein möchte, wüsste man gern, mit der hoffentlich erfüllten Erwartung, dass bei dem Schwartenkörper nichts mehr dafür übrig sein kann, also ein vollkommen atrophiertes Organ bedeckt wird, und wie bei allen riesigen Körpern gönnt man ihnen dies. Wäre das Organ aber atrophiert, sähe man es auch ohne rechtzeitig verbreiterten String nicht, es läge in einer Fettfalte, einer waagerechten Schoß-Wamme, ja sofern man diese überhaupt als Schoß-Wamme erkennte. Bei Verfettung, so erzählen ältere Sumo-Ringer den jüngeren, gehen einzelne Körperteile mit, sie haben Reserven, die sie zur Vergrößerung heranziehen, andere bleiben immer in Naturgröße, was du auch zu deiner Verriesigung tust. Ich arbeite Svevo mit wenigen Schlägen heraus. Ich treibe zunächst eine Differenz zwischen ihn und Joyce. Svevo ist der Oberflächen-Treuere, bei ihm bleibt der Eindruck bestehen, man lese einen richtigen klassischen Text. Er ist immer heiter und schlechter Laune, beides stählern gleichzeitig. Seine grundlegenden reduktionistischen Maßnahmen sind so getroffen, dass immer eine Geschichte erzählt wird. Dies wäre unausstehlich, wäre die angewendete Reduktion nicht so unwiderstehlich. Ihre Anziehung rührt von der von ihr ausgehenden Destruktion, Zerlege-Kraft. Durch metaphorisch exaktes Nachbauen wird Svevo zu Triests Liquidator. Es mag mit der Zähigkeit, auch der Glitschigkeit der von Claudio Magris hingebungsvoll geschilderten Bourgeoisie zusammenhängen, dass sie Svevos Liquidation, Verzeihung, die durch Svevo applizierte Liquidation kommod überlebte. Einen zweiten Keil treibe ich zwischen Svevo und mich. Ich bin kein Reduktionist, außer man, das heißt die formalen Umstände zwingen mich. Ich erzähle auch keine Geschichten, außer man findet dies; von diesem Finden bin ich abhängig. Bei Svevo kommt, soweit ich sah und las, kein Fleischstück auf dem Teller vor. Halo, das passt nicht in deine ausgedehnten bürgerlichen Dekadenz-Metaphern. Hör dir das an. Wenn du die Zitrone aufs Wienerschnitzel drückst, kriegst du eine zusätzliche Portion Vitamin C, das Wienerschnitzel hat eine eigenartige Beziehung zur Zitrone, ganz grundsätzlich, es nimmt die Zitrone überallhin mit und legt sie fürsorglich neben sich, auch wenn sie noch gar nicht ausgedrückt ist. Zum Ausdrücken holt es dich herbei, es drückt sie nicht selbst aus. Man hat noch nie ein Wienerschnitzel gesehen, das seine Zitrone selbst ausdrückte, das ist eine uralte Definition dieser Beziehung, die man nennen könnte «der eine lässt den anderen in aller Gemütlichkeit in Ruhe». Ich sehs dir an, du bist einer, der dem Wirsing die kalte Schulter zeigt, vermutlich schmetterst du ihn mit einem kurzen bösen treffenden Satz nieder, dann hast du sowieso einen depressiven Wirsing vor dir auf dem Teller, der seinen Beziehungs-Vereinbarungen nicht mehr genügen kann, also, zum Beispiel muss er dann das Salatblatt, was auf ihm liegt und ihn beschlafen will, also auf dem Salatblatt ist natürlich die unentdeckte Weinbergschnecke, die es, das Salatblatt beschläft, also dieser von dir verschmähte und mit Beleidigungen eingedeckte Wirsing muss nun natürlich das Salatblatt über sich schlecht behandeln, und diese miese Stimmung unter den Lebensmitteln greift allmählich auf den ganzen Teller über. Ich will jetzt nicht vom lodernd verzweifelnden Wienerschnitzel reden, ein einmaliger Fall, Engadin, wir waren gerade an St. Moritz vorbei und mussten danken, ah, tanken, danken natürlich auch, wir mussten an einer Straßenkapelle am Silsersee, grauenvoll eingezwängt, überhaupt kein Platz dort, Hotel Waldhaus frisst alles weg und quält seine eigenen Schnitzel, ja, zuerst triestinern wir das Hotel Waldhaus ein. Dieses Hotel sitzt auf einem Naturhügel, damit es Ausblick auf den See hat, übrigens der einzige See, der, flüchtig mit einem Zitronenteil vergleichbar, seine Perspektive nur der Längsachse entlang entfaltet. Du rundelst bereits die kurze steile Bergstraße zum Hotel hoch und arbeitest an deiner Überzeugung, im Speisesaal, er auf Lärchenwald hinaus, gebe es die besten Schnitzel, alle kollegial neben ihrer Zitrone. Du betrittst den Aufenthaltsraum, um vor dem Essen noch dem zingarischen Trio zu lauschen, es hat sein Hackbrett zu Hause vergessen, aber das Hackbrett ist nur zu gegenwärtig, du kannst sie dir ohne diesen Hackbrett-Touch nicht vorstellen, sie entlocken ihren diversen Instrumenten immer das Hackbrett, es ist eine Musik unter der bereits vollzogenen Drohung des Hackbretts. Der Geiger zum Beispiel hat eine gewisse Art mit den ihm anvertrauten minderjährigen Saiten, er patschelt so zingarisch auf ihnen rum, wo sie rund und aus dem Schweinedarm ganz in der Nähe des Schnitzels gedreht sind, und der Aufenthaltsraum ist mit lauter ähnlichen und genau gleich alten Polstergruppen bis zum Rand oder bis zum Sims gefüllt, jede mit ihrem Stoffmuster, immer ein Sofa, das als bevetteltes Sorgemuttchen seine Frischlings-Fauteuils um sich gruppiert, gleich daneben die nächste schweizertriste Triestiner Familie. Sprichst du zu mir, Italo? Du warst nie im Engadin? Hab ich schon jetzt von mir gesprochen? Svevo schreibt knappmeisterlich lakonisch, anders als fast jeder andere. Fast jeder andere hätte sich gefürchtet, bei solchem Schreiben in den Verdacht linguistischer Insuffizienz zu kommen. Er arbeitet mit verknappenden äußerst coolen Ironisierungen, die es ihm erlauben, in die bürgerlich schrecklichsten Situationen mit vorgegebenem Gleichmut sich hineinzubegeben, die angestrebte Abstoßung zur Unerträglichkeit zu steigern. Als Erstes, so ist zu vermuten, verbarg er alle relevanten Vorgänge in seiner Prosa. Er schaffte die Empfindung für das Katastrophale ab, konnte von da an dieses seriell reihen. Cosini fan tutte, things happen, is was, Doc? Signor Cosini, ein unentrinnbar eingeklemmter und beklommener svevo'scher Antiheld, freit zum Beispiel seine beabsichtigte Frau, doch auf der eingeseiften Planke drehen sich die Intentionen; er landet mit ihrer schielenden Schwester im Bett und vor dem Altar. Das muss man erst mal in Prosa inszenieren können, damit es die Leser auch glauben oder für wahrscheinlich halten. Svevos Liebes- und Zuneigungsszenen liegen bereits bei der Anprobe im Endstadium der Verbrauchtheit, und zudem rätselt jeder, wie es dahin kommen konnte. Das Ziel, einmal erreicht, ist nie das Ziel. Es alimentiert allenfalls noch die Hinarbeit darauf zu, ehe es unauffällig durch den Hintereingang verschwindet. In Una Vita schläft ein anderer Svevoider endlich mit der Nachbarin oder Familienfreundin. Sie lernen sich ja alle nie kennen, sondern kennen sich seit Jahrzehnten, um jede Ueberraschung auszuschalten. Er verlässt dann ihre Wohnung und winkt ihr auf der Straße zurück, aber genau so, wie er annimmt, dass jemand anderes in einer solchen Situation winken würde. Beim Winken und bei dem, was zum Winken führte, handelt er nicht selbst, sondern hat nur das, was wohl andere täten, im Kopf. Widerstände er dem eingebauten Konformismus-Druck, käme er um, der Konformismus selber lässt ihn am Leben, und was für ein Leben. Des ist die Dekadenz, und bis Triest hinunter wirkt wohl noch Wien; falls denn nicht das Wien, das wir aus dieser Zeit zu kennen glauben, von Triest her verseucht wurde. Zweifellos gab der seltsame und zur Tarnung träge Ozean vor den Kränen der Hafenanlagen Freud sein Konzept des schlammigen Unbewussten ein. In einer einfachen Formel ist Svevos Prosa ein Beschreibungs-Unternehmen des vorhandenen oder ausbleibenden Voluntarismus. Überall dort, wo die Figuren zur Verbesserung oder Korrektur ihrer Lebensumstände Willenszeichen setzen müssten, setzen sie keine. Überall dort, wo Umgebung und Schicksal sich ruhig halten müssten, um die prekäre Perspektive auf Minimalglück nicht zu trüben, setzen sie Bewegungszeichen. Die von jeder heftigen Emotion freie Satzfolge wird verdinglicht, wird fast eine Waren-Folge auf dem Zahlfließband eines frühen Supermarkts. Das einzelne Element zählt nicht; was zählt, ist die Endsumme aller Sätze. Zur vollendeten Handlungshemmung fällt übrigens Macbeth vor seinem Königsrnord ein Satz mit gros sem negativen Enthusiasmus ein. «I have no spur to prick the sides of my intention». «Kann keinen Sporn in meines Planes Flanken schlagen». «Gestatten Sie eine profane Anpassung: Svevo könnte nie schreiben «Triest ist mir Ansporn zum Schreiben». Der lange Sporn in seiner Flanke ist offensichtlich, dass Triest kaum Ansporn für irgendetwas sei. Svevos Familie Lanucci geht an einer bestimmten Stelle im Leben, eben «In Una Vita», trotz Anstrengungen auf ihren Untergang zu, erzählt uns Svevo, aber er will uns schon da erzählen, dass es die Anstrengungen sind, die den Untergang herbeiführen. Das schwäbische 'schaffe schaffe Häusle baue' liegt bei dieser Triestiner Familie gleich um die Ecke, und der Held der Lanuccis will sich gleich auch noch fortpflanzen; Svevo erzählt es uns leichthin, woraus wir das Recht herleiten, über sein Erzählen leichthin zu referieren; jede Schwere, jedes Sich-Aufhalten, jede auch nur geringste Pathetisierung irgend eines seiner Vorfälle wäre fehl am Platz. Wir können Svevo in den paar uns zur Verrugung gestellten Zeilen nicht erfassen, hier nur zwei Bemerkungen: erstens benützt er die Prosa als schnelles Theater. Er entwirft karge aber blitzschnell mit Grundmaterialien hergestellte Bühnenbilder, oft auch heisst es nach einem Gespräch von einer Figur in echter Prosa einfach «Dann ging er weg», was ja nun wohl für einen Abtritt sehr karg ist. Zweitens ist diese Kargheit des Bühnenbildes auch schlau, denn sie lässt die entscheidenden Faktoren weg, zum Beispiel die alles verschlimmernde Zeit. Mehr, als dass die Familie Lanucci untergeht, kriegen wir nicht, aber wir sehen sogleich, es geschieht extrem langsam, dieser Untergang ist eine Tages-, Monatsbeschäftigung, und Svevo bietet uns immer das kurze Beschreibungswort als Rettung aus der Situation an, kontrastiert es auf schreckliche Weise mit dem, was es meinen würde, wäre es mehr als nur ein Wort. Als besondere Höflichkeit schiebt er diese Kontrastierungs-Arbeit an uns ab. Er ist demnach nie etwas anderes als der bequeme Autor, und falls wir Katastrophen sehen, bittet er uns, ihn nicht damit zu belästigen. Seine bei den stählernen Affekte sind nun verteilt: Er ist heiter und wir sind düsterer Laune. Svevo hebt die differenzierende Zeit-Dauer verschiedener Ereignisse auf, uniformiert sie in ihrer Länge. Alle denkbaren Dauern sind etwa gleich, weil alles in etwa in gleich viele Beschreibungssätze verpackt wird, die Sätze, allesamt von höchster Alltäglichkeit, Unauffälligkeit, ja schattensuchend als herrschten vierzig Grad. Svevo verleiht den Vorgängen das ganz bestimmte Lähmende, das unausgesprochen Schreckliche, das nicht nur Zelluläre im Sinn monadischer Abgeschiedenheit, sondern auch im Sinne von realer Gefängniszelle. Der sensoriell tödliche Hochsicherheitstrakt Triest verbreitet nichts als still-panisch verängstigende Existenzunsicherheit. Die Entdifferenzierung der Zeitdauer individueller Vorkommnisse nimmt den Figuren ihr Interventionsrecht – in diesem Sinn kommen bei Svevo keinerlei Willensäußerungen vor, jeder Voluntarismus ist tot, die Figuren folgen einer zähfließenden Zeitschleimspur, die alles überzieht wie Lebertran – die Zeitgleichförmigkeit nähert das Empfinden der Figuren wie des Lesers der paralysierten Aufmerksamkeit eines Zellenbewohners an, eines Höchststrafen-Sträflings, der seinen Kerker nur mit seinem «or not to be», dem Selbstmord verlassen kann. Den Not-to-Be-ischen leiht Svevo in einer Robert-Walserschen Sinnvolte fast ausschließlich gute Laune; zumindest kann sich der Leser gegen sie nicht wehren. Ernst mag der Tod sein, das Absterben ist immer zum Lachen. Ich schweife abermals ab, denn ich bin der, der zu sich will und nicht ankommt, so nämlich geht es in meinem Kopf zu, von allen Seiten fliegen die Flugzeuge an, eins assoziiert klebrig das andere. Jede Liebeserklärung an die Pilotima, ah, Diotima erschöpft mich für den ganzen Tag, dies mehrmals per Tag. Ich will ja wirklich nur mit ihr ins Bett, würde dort nichts tun und gleich wieder hinaus, belästige sie weder mit Interesse noch mit allzu viel Gewicht, also, geschähe das Ansinnen umgekehrt mir, ich wäre abgestossen-hingerissen, also hingerissen. Ein Nein verätzte mir die Zunge. Ich bringe die – sagen wir mal – mandschurische Pilotin – ich erweise immer auch die Güte, den Namen zu vergessen – was sage ich, die Helotin, besser, die letzte stolze und aggressiv schielende Nachbarin des Kleinunternehmers bringe ich in ihre Überlegenheits-Stellung, denn sobald ich meinen Antrag geäussert habe, braucht sie nur noch zu schweigen, nicht darauf zu antworten, um mich zu erledigen, als schösse sie mit hundert Mörsern. Komm! Brings! Ich schaffs nicht bis zu dir! – Ich kann zum einen nicht leben ohne diese ständigen Liebeserklärungen an sie, zum anderen brauche ich, kaum habe ich mich erholt und mir ein Dickfell zugelegt, diese neue eigene Verwundbarkeit, die vielleicht nur eingebildet ist; wer weiss, das muss ich mir beim nächsten Mal überlegen, vielleicht schwiege sie ja auch ohne Liebeserklärung, sie ist einfach statisch schweigend. Bei Svevo nun ist eine solide Temporalität gesetzt, nichts in seiner Prosa ist je vom Verschwinden noch während des Erwähntwerdens bedroht, ja er möchte das wohl gern, aber er kann es in keiner Sekunde darstellen, er kann auch seinen meinetwegen soliden stabilen Figuren keinen solchen Akzent mitgeben, und damit kommt der geniale Gleichnisbauer in den Verdacht seiner Bürgerlichkeit: Ein grosser Künstler, der auch nur die entfernteste, mit dem Teleskop noch wahrnehmbare Qualität eines Tonio Kröger einfach nicht schafft, dem hingegen jegliche Morbidität Aschenbachs mit dem venezianischen Goldilock-Knaben bereits im abenddämmerigen Triest mit einer einfachen benachbarten Frau gelingt. Die eventuell eintretende Abstossung durch die zeitlupenartigen Lakenreissereien wird nie anders geschildert denn als leichter Widerwille vor einem zäh verlaufenden Geschäftsgang, dessen Erfolgskurve sich nicht mehr aufrichtet. Ich mag bizarr denken, es macht mir Vergnügen, aber es fällt auf, dass keine Svevo'sche Familienfigur jemals eine andere aus dem Kreis als Stellvertreter beiziehen könnte, um die versäumten und während des Lebens liegenbleibenden Erfolge doch noch zu erzielen. Die endogene Impotenz der Svevoschen Familienzirkel ist enorm. Der Schreiber kann es nicht, er kann es nur vollkommen beschreiben, sein Bruder kann es noch weniger, aber der kann es nicht einmal beschreiben. Der Schreiber erstellt gut getarnt und in der ihm das Real-Leben zerstörenden Diskretion eine Stele. Seine eigene Pestsäule dokumentiert sein Überleben. Allen anderen handelnden Personen weist er das Schicksal von Lebensleichen und Textriesen zu. Um die Familien-Bemerkung zu Ende zu fuhren: der Druck der Befehlsmasse eines, sagen wir mal, Hamletschen Vatergeistes ist nichts im Vergleich zum Druck einer Echtvaterbefehlsmasse. Räche mich, schrie verklausuliert der Pere Svevo seinem Sohn zu, Bruder Geschäft hat mich ermordet. Hamlet schlägt wild mit dem Schwert um sich. Svevo beschreibt noch einmal ganz still die assortierten Morde des Stückes, lange vor ihrer Ausführung. Zum Versacken möchte ich nicht viel sagen. Mir ist wie jedermann klar, dass es ein Versacken ganz allein, per se, nicht gibt. Es muss jemand versacken, na gut, da nehmen wir mich selber, dann kann ich auch um mich blicken, und siehe da, alles versackt, nun weiss ich zuviel von Philosophie, um wirklich außerhalb meiner etwas anderes anzunehmen, auch wenn sich der Irrtum hält. Dieses Versacken ist eine alltägliche Selbstverständlichkeit und gehörte nicht erwähnt, wäre es nicht für seine außerordentliche Heftigkeit und Gründlichkeit. Beim Versacken erinnere ich mich peinlich und abschweifend an eine grobe Unanständigkeit der Basler Raubtiere. Sie hatten ein neues Gehege bekommen, mit Büschen, die den Beton der Gittersockel verdeckten, in jeder Hinsicht einem Gehege für Menschen vergleichbar, wobei dort die Beute-Opfer ungeschickter sind als die Raubtiere. Im Vorbeigehen eine Messlatte, ein Standard für Dummheit: je weiter oben man in der Nahrungskette steht oder liegt, desto dümmer ist man, falls es nicht umgekehrt ist. Die ruhende und rur Löwen erstaunlich kleine Zigarillos paffende Raubtiergruppe hatte sich in die Mitte des riesigen Geheges unter einen Dornbusch zurückgezogen, wo – aus der Ferne erraten – Stücke einer vom Kellner des Hotels «Drei Könige» zerteilten Antilope lagen, sinnträchtig elisabethanisch gevierteilt. Die Raub-, Schnaub- und, ja, Laubtiere vermasselten den Gehege-Erbauern ihre Fauna-Aussichts-Erwartungen durch nicht inspektionsfähige Fern-Anwesenheit. Die Mutter aller Fernen ist die Fata Morgana, aber weil sie alle Distanzen in sich enthalten darf, wirkt sie zur Belohnung nahe. Ein nicht hinnehmbares Gruppen-Verhalten dieser Basler Raubtiere; etwa sechs Männer erschienen am Gehege neben mir mit Schnellfeuergewehren, deren Läufe sie durch die Gitterquadrate schoben. Ein vereinsamter und von Magentabletten ganz friedlich gestimmter Polizist näherte sich ihnen und erklärte ohne jede Vorrede: Gehen Sie ruhig weiter. Gewehre bitte behalten. Zuschauer der Basler Vorgänge ist ein haariges schnelles Tier, ein Kletteraffe Meki, der den italienischen Naturalismus auswendig kann. Wer ihn befragt, muss ihm auf den Baum nachklettern. Rekonstruktion ergab, dass das Ausweichmanöver auf die Sekunde mit dem Stehenbleiben der Rotationspresse zusammengefallen war. Die Zeitung hatte demnach, ähnlich wie ich, dringend von diesem Unglücksfall Zeugnis ablegen wollen, hatte ihn eigens zu dem Zweck erzeugt und hatte ihn bei ihrem Steckenbleiben im Druck gleich wieder aufgehoben. Ich bin viel sanfter als die Zeitung, aber ich bin auch viel kleiner, ich bin weniger durchgreifend im Erzeugen wie im Vernichten, aber für mich interessieren sich auch viel weniger Leute, übrigens von extremer Kultur, übrigens mit geringem Fassungsvermögen; bereits ein Unfall auf der Straße schweift ihnen zu weit ab, sie wollen ihr eigenes Versacken lesen, aber garniert, verannehmlicht, am liebsten in einer Art philosophischer Abhandlung, worin dieses Versacken allein, ohne Person und Grund auftritt. Ich habe jetzt ein Geheimnis verraten, eine Ratio, ein Verhältnis. Sie erinnern sich an die Passage mit dem Schreddern, ein unwillkommenes Ding, das mich mitriss, aber es waren vier vollständig zerstörte Personen in der Kabine des Wagens. Sie wurden gerettet, denn jede morgens nicht erscheinende Zeitung bedeutet Auferstehung rur ganze Hekatomben. Nun zur Ratio: bei dem in letzter Sekunde abgewendeten Unfall starben vier. Bei mir versackt immer einer. Ja, es ist nun bekannt, das Verhältnis zwischen mir und einer Zeitung ist eins zu vier, genau der Inhalt eines alltäglichen Vehikels. Du hast, ja, du hast; man weiß, was ich meine. Ich stehe nackt bis aufs Verbum da. Es aber, Unterwäsche wie alles, ist fremd, steht als ein anderes da. Sein «a» ist lang: du haast. Du hast. Heißt, du rennst wie ein gehetzter Hase. |