Hans-Jost Frey

Wiederholung





Wenn auf ein Wort noch einmal das gleiche Wort folgt, so ist das eine Stauung des Sprachflusses, ein innehaltendes Beharren auf dem wiederholten Wort, eine Hervorhebung, deren Aufgabe klar zu sein scheint, an der aber mehr beteiligt und zu befragen ist, als was man auf Anhieb vermutet. Oft ist die Wiederholung eine Steigerungsform und bringt die Intensität zum Ausdruck, mit der man auf das, was das Wort bedeutet, aufmerksam machen möchte. Aber so wie das Abschreiben nicht nur eine intensivere Beziehung zum Text ermöglicht, sondern auch zum Abgleiten in die Sinnleere führen kann, so wäre auch bei der Wortwiederholung – bei der ja das zweite Wort ein abgeschriebenes ist – ein ähnliches Kippen als Möglichkeit nicht vorschnell abzuweisen.
Wiederholung als Verstärkung beruht auf der quantitativen Vorstellung, daß zweimal mehr als einmal ist. Die Steigerung kommt durch die Summierung der Wörter zustande. Das Gewicht der Bedeutung des einen Wortes wird durch die Wiederholung verdoppelt. Dabei achtet man nur auf die Aussagekraft des Worts, von der man annimmt, daß sie als solche gegeben und als meßbare Größe verwendbar sei. Aber es könnte sein, daß der fraglos sichere Umgang mit dem Wort eine Kehrseite hat, die sich auch und gerade im Wiederholen zeigt, wenn man alle seine Aspekte zuläßt und sich darauf einzulassen bereit ist. So könnte das Bedürfnis zu wiederholen auch das Eingeständnis einer Schwäche sein, die das Beharren erst nötig macht. Aber die befestigende und verstärkende Wirkung des Wiederholens ist selber schon ungewiß. Abgesehen davon, daß sie von der Umgebung abhängt, in der die Wiederholung vorkommt, ist es nicht sicher, ob diese den Sinn nicht ebenso schwächen wie stärken kann. Wenn ein Wort zweimal dasteht, ist nicht nur es selbst als bedeutendes von Bedeutung, sondern auch die Beziehung, in die es als wiederholtes zu sich selbst gerät. Zwischen dem wiederholten und dem wiederholenden Wort entsteht ein Abstand, über den hinweg das Wort sich selber gegenübersteht. Die Wiederholung öffnet das Wort auf das Dazwischen zwischen ihm und ihm selbst. In ihr klafft das Wort, und die Lücke in ihm geht auf.
In der Wiederholung kommen Schreiben und Lesen zusammen. Das Wort, das bei seinem ersten Auftreten in die lineare Bewegung des den Text hervorbringenden Schreibens eingebunden ist, wird in der Wiederholung zum Zitat seiner selbst, das heißt zur aufgeschriebenen Lektüre. Das Geschriebene, das sich selbst liest, begegnet sich als einem Fremden. Es verliert nicht nur seine Selbstverständlichkeit, sondern fast seine Verständlichkeit. Indem die Wiederholung auf das Wort als Wort aufmerksam macht, löst sie es aus der fraglosen Bindung an seinen Sinn und saugt das Staunen vor ihm als bedeutungsfähigem in seine Abgründigkeit hinein. Das geschriebene und das gelesene Wort kommen im unvernehmlichen Dazwischen zwischen einander ins Einvernehmen. So ist die Wiederholung des Worts nicht nur und nicht immer eine Bekräftigung seines Sinns, sondern kann ebenso dessen Gefährdung einleiten, in der man auch die Möglichkeit sehen kann, es von der Fessel zu befreien, mit der die Definition ihm das Spiel nimmt. Das Wort, vor dem man staunt, kann neu werden, weil es für einen Augenblick bedeutungsleer wird. Im Staunen wird das Wort nicht sogleich auf eine Bedeutung hin verlassen, sondern entdeutet, von ihr gelöst und als die unverständliche Möglichkeit zu bedeuten nicht verstanden, aber erfahren. Dazu kann der ambivalente Vorgang seiner Wiederholung verhelfen: in ihr greift das Wort, das nicht gegriffen hat, auf sich selbst zurück und bekräftigt seine Bedeutung, wird aber gleichzeitig als bedeutendes unbegreiflich.
Die Stärkung und Schwächung des Sinns als die doppelte und widersprüchliche Wirkung, die die Wiederholung haben kann, ist nicht an sie gebunden. Wörter können auf andere Weise verdichtet und entdeutet werden, von denen eine dadurch auffällt, daß sie sich fast als Umkehrung der Wiederholung auffassen läßt. Das isolierte Wort, das nicht in einen Textzusammenhang eingebaut ist, sondern allein und unbezogen, nur vom Weiß des Papiers umgeben und durchsetzt, dasteht, ist wie die Wortwiederholung mit einer eigentümlichen Ambivalenz begabt. Da es sich auf nichts beziehen läßt, das Aufschluß darüber gäbe, wie es gemeint ist, bleibt seine Bedeutungsrichtung ungewiß. Das kontextlose Wort wird ständig nur auf sich selbst als bedeutendes zurückgeworfen und seine Bedeutung verschwimmt. Sein Sinn entzieht sich mehr und mehr, je eingehender man sich in es einliest, und läßt es als Rätsel zurück. Zugleich aber bewahrt das Wort in dieser Unbestimmtheit die Gesamtheit seiner durch keinen Entscheid beeinträchtigten Möglichkeiten. Es ist unendlich auslegbar, und jedesmal, wenn man auf es zurückkommt, läßt es sich anders lesen. Das eine gleiche Wort, das man so vielfach auffächern kann, wird wiederholt gelesen. Nicht aber wiederholt geschrieben, denn sonst wäre es nicht mehr isoliert. Die Wiederholung ist beim isolierten Wort die Sache des Lesers, der nach und nach immer tiefer in das eine geschriebene Wort eindringt, vielleicht hinabstürzt. Das isolierte Wort ist die Veranlassung für den Leser, es zu wiederholen. Wird hingegen das Wort schriftlich wiederholt, ist dieses Lesen ins Schreiben hinein genommen, und das gelesene Wort erscheint schwarz auf weiß.
In beiden Fällen geht der Abgrund im Wort auf. Beim isolierten Wort höhlt er sich im Wort selbst, bei der Wiederholung zwischen dem Wort und seiner Wiederholung. Das Wort, das allein steht, ist das Loch eines Trichters, in dem sich seine Lektüren sammeln und in es hineinfallen. Das Wort, das zweimal dasteht, ist der Rand des Trichters und hat das Loch zwischen sich.
Hier noch die Wiederholung am Beispiel wiederholt: Mallarmés Gedicht L’Azur spricht vom Versuch, den Himmel, der hier für das Ideal steht, zu vergessen und sich in der Materialität des Vorhandenen zu verlieren. Obwohl der Himmel tot und das Ideal nicht mehr geglaubt ist, scheitert der Versuch, und das Blau des Himmels fährt fort, den Dichter in veränderter Form zu verfolgen.

En vain! l’Azur triomphe, et je l’entends qui chante
Dans les cloches. Mon âme, il se fait voix pour plus
Nous faire peur avec sa victoire méchante,
Et du métal vivant sort en bleus angelus!

Il roule par la brume, ancien et traverse
Ta native agonie ainsi qu’un glaive sûr;
Où fuir dans la révolte inutile et perverse?
Je suis hanté. L’Azur! L’Azur! L’Azur! L’Azur!

Daß die Glocken den Himmel in Erinnerung rufen, leuchtet im Rahmen einer religiösen Überlieferung ein, aber daß das Blau zur Stimme wird, ist nicht nur auf dieser vordergründig inhaltlichen Ebene zu verstehen. Die Verwandlung der Farbe in Klang ist ihre Umsetzung ins Wort. Die Lautfolge L’Azur bedeutet die Farbe Blau. Indem das Gedicht die Beziehung zwischen Klang und Farbe herstellt, macht es darauf aufmerksam, daß das Wort – das Wort überhaupt und im besonderen das Wort L’Azur – nicht nur als bedeutendes und wegen seiner Bedeutung, sondern auch als tönendes Beachtung verdient. Die Wiederholung im letzten Vers des Gedichts vereinigt die Besinnung auf den Sinn und die Betonung des Tons. Sie ist sinnverstärkend, indem sie die Unentrinnbarkeit des Blaus, vor dem der Sprecher flieht und von dem er verfolgt wird, nicht sagt, aber dadurch geschehen läßt, daß man vom Wort L’Azur nicht mehr loskommt. Auf der andern Seite sind es aber die Glocken, aus denen das Blau tönt, und in dieser Hinsicht ist das Alternieren der beiden Silben von L’Azur in der mehrfachen Wiederholung nichts anderes als die Umsetzung des Geläuts in Sprachlaute, die es nicht bedeuten, sondern nachahmen.
Die Wiederholung im letzten Vers von L’Azur läßt sich ereignen, was der Satz «l’Azur triomphe» mitteilt. Aber dieser sich ereignende Triumph ist ambivalent. Er ist zwar einerseits der Triumph der Sache, die das Wort meint, und beruht auf der verstärkenden Wirkung der Wiederholung, anderseits aber triumphiert in ihm auch das Wort L’Azur als Klangmaterie, die sich mit der Wiederholung der Sinnvergessenheit zu überliefern beginnt, so wie das Geläut sich leeren kann, wenn der Glaube an das Himmlische in ihm erlischt und es nur noch als Wiederholung von Tönen wahrgenommen wird.
«Je suis hanté.» Hanter heißt mehrmals, das heißt wiederholt besuchen. Hanté ist, wer von etwas immer wieder heimgesucht wird, von dem er nicht loskommt. Das Wort charakterisiert auch einen Ort, an dem Gespenster umgehen. Was den Redenden in Mallarmés Gedicht nicht losläßt, ist L’Azur, der Himmel. Von diesem heißt es auch, er sei tot: «– Le Ciel est mort. – Vers toi, j’accours! donne, ô matière, / L’oubli de l’idéal cruel…». Aber als toter fährt der Himmel fort zu verfolgen. Als toter, der nicht mehr ist, geht er in das Wort ein, das ihn bedeutet. Insofern als etwas in die Sprache eingeht, geht es, als was es vielleicht sonst ist, unter. Der Himmel wird nicht nur als toter gesagt, weil er tot ist, sondern er ist tot, weil er gesagt wird, sobald keine himmlische Instanz die Sprache mehr garantiert. Das Wort als materielle Präsenz dessen, was nicht mehr ist, ist das Gespenst seiner Bedeutung. Es gibt, was es vergegenwärtigt, als fehlendes. Es ist diese Präsenz des Fehlens in der Sprache, die als das Wortgespenst L’Azur den Dichter verfolgt: L’Azur als Wort und als das, was es, als was in ihm nicht mehr ist, bedeutet. Die beiden Ausrichtungen und Auswirkungen der Wiederholung – die Befestigung des Sinns und sein Verschwinden im Beharren seines Erscheinens – machen den Schluß von L’Azur zu einer Umsetzung von Mallarmés Sprachverständnis in ein Sprachgeschehen, das, indem es viermal das Gleiche sagt, nicht nur das Gesagte betont, sondern gleichzeitig von der Mitteilung weg und auf das hin führt, was in ihm nicht mitteilender Natur ist.


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