Presse-Spiegel zu Elke Erb 1977-1999




[...] Elke Erbs Engagement ist primär sprachlicher Natur. Das macht ihre Texte eigentümlich reell. Selbst Beiläufiges gewinnt durch die Sorgfalt der Fügung Gewicht und Bedeutung. Wer etwa Fühmanns Schilderung eines Dampfbades aus seinem ungarischen Tagebuch im Gedächtnis hat, wird Elke Erbs Römisch-irisches Bad als Transkription des Thema ins strengere Medium des Prosgedichts mit besonderem Interesse lesen.
Die Kadenzen dieser Prosa sind bis auf die Silbe kalkuliert, zu genau, zu kunstvoll fast: Das über den grünen Kacheln des Beckens wabernde kalte Wasser, Nummer zwei in verdorbener Reih, erlöste den im Nebel dumm gewordenen bloßen Körper von seiner Dummheit: die Person wird nachher gehn, geheilt, erhoben, geblümt; im kalten Wasser aufgeblüht.

Harald Hartung (über: EINER SCHREIT: NICHT!) in: FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, 2.3.77



Elke Erb geht es nicht expressis verbis um feministische Anliegen. Ihre zum Teil spröden, schwer und manchmal gar nicht zugänglichen Texte leisten Bewußtseinsarbeit. Sie sind entstanden aus situativer Betroffenheit. [...]
[...] Das Experiment der Texte besteht in dem Versuch, vorzustoßen zu den Dingen selbst, zu dem, was vermittelt geschieht und geschah, um es zu seiner eigenen Sprache kommen zu lassen. Das jedoch bedeutet, mit Sprache überhaupt an ihre Grenzen zu gelangen. In doppelter Weise werden die Texte so fast inkommensurabel: Die Dinge selbst zur Sprache zu bringen, erreicht Elke Erb durch Sprachknappheit, zugleich aber muß der Bezug zu Urvorgängen oder archaischen Verhältnissen erscheinen. Märchen, Sage, Mythos und Assoziation sind als Mittler Material der Texte. Der Leser ist entweder gezwungen, sich sprunghaften Assoziationen der Autorin anzupassen – dies geschieht einzig, indem er unmittelbar situative Betroffenheit erfährt wie die Autorin -, oder er läßt sich auf eigene Assoziationen ein. Damit ist der Text Anlaß zur Reflexion eigener Bewußtseinsinhalte, vermittelt über ein sozio-symbolisches System.
Das gesellschaftliche Bewußtsein ist geprägt durch die männlichen Strukturen des sozio-symbolischen Systems Sprache. Elke Erb geht es nicht um Überwindung oder Erneuerung von Sprache, sondern um einen Gebrauch, der dem Leser deutlich seine Motivation, sein Handeln und seine Denkkategorien vor Augen führt, um diese für ihn kontrollierbar, überwindbar und veränderbar zu machen.

Bernd Allenstein: Elke Erb. In: NEUE LITERATUR DER FRAUEN [...], München 1980




Der Umfang des neuen Buches von Elke Erb ist gering, nur 77 Textseiten, Gedichte und Prosa – ganz kurze Prosa und meist auch kurze Gedichte, nur das letzte, besonders wichtige ist länger. Sarah Kirsch hat die Gedichte ausgewählt und mit wenigen sehr dichten Sätzen eingeleitet. Ihr letzter Satz lautet: „Wenn wir uns selbst verstehn, verstehn wir die Dichter.“ Die ersten Worte ihrer Einleitung sind: „Trost, aber kein Trostpflaster.“ Beide Feststellungen sind bei diesen Texten genau, beängstigend genau, am rechten Ort.
Ob die Prosa Prosa ist, ob die Gedichte Gedichte sind, bleibt oft fraglich. Das ist aber hier höchstens von Vorteil. Keiner dieser Texte, der auch nur vielleicht überflüssig wäre, keiner, der um eine Silbe zu lang ist. Und keiner, der literarisch oder literatenhaft anmutet. Dichten soll ja keine literarische Angelegenheit sein, soll aber gleichzeitig nicht unter das Niveau dessen fallen, was in ähnlichen Formen oder in der Auseinandersetzung mit ähnlichen Thermen schon geleistet wurde. Alle diese Bedingungen erfüllt dieser kleine Band so sehr, daß er wahrscheinlich für viele Leser so unvergeßlich sein wird, wie für mich.
Möglich, daß die Verfasserin lange an einer Psychoneurose zu leiden hatte. Wichtig für den Inhalt dieser Gedichte, dieser Prosafindlinge, deren Wert dadurch nur noch steigen könnte. Man denkt beim Lesen oft an Hölderlin, wie er in seinen Texten um sein geistiges und seelisches Überleben kämpfte. Und von William Blake, über dessen Geisteszustand immer noch diskutiert wird, schrieb vor etwa vierzig Jahren ein englischer Dichter: „And was Blake mad, a sweeter tongue / No madman ever gave to song.“ (Und war Blake irr, gab süßern Klang / Kein Irrer jemals dem Gesang.) Jedenfalls lehren uns Elke Erbs Texte auch psychische Grenzzustände besser zu verstehen und auch die sogenannten Irren ernst zu nehmen – und (wie Sarah Kirsch schon gesagt hat) uns selber verstehen. Natürlich, nur wenn wir wollen. Leicht und unbeschwert liest man sich durch dieses Bändchen nicht durch. Es hebt die Trennung zwischen Dichtung und Wahrheit ganz und gar auf, läßt dem Leser daher keine Rückzugswege.
Es ist aber nicht so, daß Elke Erb etwa nur viel zu sagen hätte, aber keine eigene Form hat. Nein, nur ist diese Form weder einer literarischen Mode noch der Gegenwehr gegen solche Moden zu verdanken, sondern sie hat sich – so wirkt es wenigstens – als Quintessenz aller durchlaufenen Phasen dessen gebildet, um das es der Verfasserin je ging und geht. Deshalb ist eigentlich der Versuch einer Rezension, einer „Kritik“ schon irgendwie Anmaßung. Man müßte in seiner eigenen Arbeit mehr durchgemacht haben als die Verfasserin, und ich weiß nicht, ob das menschenmöglich ist. [...]

Erich Fried (über TROST) in: DIE ZEIT, 10.2.82




[...] Die Unbilder einer Welt benennen, die zum Bild nicht mehr taugt, das versteht sie, weil für sie „das Mass der Geduld das Erduldete ist“, das für eine wie sie unerschöpflich scheint, die unter dem Titel „Sklavensprache“ niederschreibt:
„Die Hände, die gestreichelt haben, kann man ruhig abhacken.
Das ändert nichts, denn sie würden das Streicheln nicht lassen, und es führt zu nichts Gutem.
Man kann sie aber auch fesseln, und die Person, der sie gehören, folgt ihnen nach bis in die finsterste Zelle.“
Woher nimmt sie den Mut für ein solches Prosagedicht, das bei uns keiner mehr schreiben könnte?

Ute Stempel. (über TROST) IN: BASLER ZEITUNG, 18.12.82



Selbst die Bände der Elke Erb sind ein Gedicht. Grafisch gesehen. Der letzte, „Vexierbild“ (1983), kam daher auf mattblauem Papier, die Gedichttitel vertikal gesetzt. Das Wort hat Funktion, ist grafisches Zeichen, gemalter Laut, expressiv auf dem Papier. Was im 83er Band angedeutet ist, wird nun, vier Jahre später, bereits in den Untertitel des neuen Bandes „Kastanienallee“ /Aufbau-Verlag, 7,20 M) genommen: Texte und Kommentare.
Das Kleingedruckte bewegt das Gesetzte; die Texte – Kurzprosaisches, Gedichte, Prosagedichte, Notate und aller Himmel dazwischen – brechen auf und kommen nie an: „Es könnte sein, daß aus solchen Versuchen eine Figur der Entwicklung in Erscheinung tritt.“ Für mich sind die Kommentare Entdeckung- Ich kann überhaupt die analytischen Texte der Erb, die auch als Übersetzerin und Essayistin bekannt ist, gut leiden: die bitter-ernsten Sprachspiele, die auf mich zielen und doch nicht wollen, daß ich umfalle. Die Erb redet „Klartext“, hört Versmaße ab wie verbotene Sender, sie sucht das „Minimum, das aus einer Wortfolge einen Vers macht“, „zählt bis 3“ und erschließt sich „Spielräume“. Reimt sich „Tippfehler“ zusammen; sucht den „Kontakt“ und den „Fluchtpunkt“.
„Die Texte von Elke Erb“, schrieb Gerhard Wolf zum Band „Vexierbild“, „haben immer etwas Unbedingtes, das uns herausfordert ... Also gar nicht einfach und doch &Mac226;frei heraus’.“

Cornelia Lampert, in: Thüringische Landeszeitung, 12.12.87




Daß eine kindliche Wahrnehmungsweise und Wunschmomente hegerisch-hegelisch aufhebende Grundeinstellung zur Welt und eine avancierteste poetische Reflexions- und Aktionsformen erprobende künstlerische Intellektualität untergründig zusammenwirken; daß der poetischen Aktion aus noch nicht verschütteten Quellen kindlicher Rezeptivität ebenso Kraft zufließt, wie ihr andererseits strengste, disziplinierteste Reflexivität zuarbeitet – das ist ein durchgehender Zug im lyrischen Werk Elke Erbs.
[...] Versuche, den Fels von Entfremdung und Verdinglichung mit im Spannungsfeld von Gedanke und Bild, Abstraktion und Assoziation sich vorwärtsgrabenden Wörtern kleinzugrübeln, zu erodioeren – Lyrik als unablässige Arbeit und Anstrengung der Reflexion.

Urs Allemann. Laudatio auf Elke Erb (zur Verleihung des Peter-Huchel-Peises). In:PETER-HUCHEL-PREIS 1988. Elster Verlag, Moos – Baden-Baden 1989




[:::] Ungewöhnlich an dem jetzt vorliegenden Band ist die Doppelung der Texte. es gibt Gedichte und Kommentare zu den jeweiligen Gedichten. Schon in den früheren Bänden Trost, 1982, und Vexierbild, 1983, hatte es entsprechende Ansätze gegeben, die sie nun als „fortgesetzte Arbeit“ faßt. Vermutlich kennt auch sie die flotten Sprüche: Wer sich selbst kommentiert, geht unter sein Niveau usw. Und sie sagt: „Solange ein Satz nicht sagt, was er sagt, unvermeidlich: sammelt sich Unrat auf ihm.“
So könnte man die Kommentare auch als Befreiung des Lesers zu den Texten oder der Texte zum Leser hin deuten. Sie holen sozusagen vor, was der Leser tun würde, und geben somit dem Text paradoxerweise eine neue Selbständigkeit. Gewiß wird aus dem „Dazukommen“ auch ein „Hinzufügen“, was fürs Weiterspielen (oder Rückübersetzen) der Sprachgesten gilt, aber auch für „eine noch außersprachliche Rede“.
Elke Erbs Gedichte handeln vom Un-Zusammenhang von Sprache und Welt, begehren, nicht schuld daran zu sein, brechen alle (vor allem die verordneten) Zusammenhänge stets wieder auf, handeln vom Sinn, der seine Bedingungen nicht erfüllt.

Oscar van Weerdendenburg (über KASTANIENALLEE) in: Frankfurter Rundschau, 21.6.88



[...] Zunächst ist das Buch noch ein Geflecht verschiedener Diskursformen („Texte und Kommentare“). Nach und nach jedoch konturieren sich zwei Bewegungen heraus: In der Offenheit einer „flächigen Erörterung“ bilden sich immer neue Zusammenhänge (z.B. des vergangenen Lebens). Im Lesen aber wird die zeitliche Trennungslinie zum Geschriebenen ständig übertreten und in ein „Jetzt“ verwandelt: „Das Leben ist eine Figur in der Zeit. Sie wird sich zeigen“.
Kastanienallee erzählt und wiederholt jeweils den Zustand, der die Bilder ausgelöst hat und in Wörter übersetzt, der Kommentar seziert die Sätze und legt das „nackte syntaktische Gelenk“ frei – ermöglicht somit den subtilen Einblick in einen Zergliederungs-Prozeß, von dem der Augenblick der ästhetischen Erfahrung zurückbleibt, während der auslösende Zustand in der Beschreibung und Entwicklung von Erinnerungen verschwindet. „Ein Gedicht ist ein Ort, eine Gründung gleich einem Ort, es transponiert nicht wie die Prosa“. [...]

Oswald Egger (über KASTANIENALLEE) in: DER STANDART, 18. Jänner 1989



Wer weibliches Schreiben nach wie vor mit der Vorstellung von Larmoyanz, Empirie und thematischer Einseitigkeit verbindet, erweist sich selbst als Ignorant. Für frühere Stadien war charakteristisch, daß sich alles um die Frauenfrage drehte, während heute die Literatur der Frauen vielleicht am wenigsten selbständig dort ist, wo sie Sonderinteressen einklagt. Nicht an der Themenwahl tut sich weibliches Schreiben kund; eher an der Vorliebe fürs Unfertige, für Mischungen und Fragmentarisches. Regeln lassen sich hier nicht ausmachen, denn das Werdende erkennt sich selbst im Prozeß seiner Entstehung. Und so will es auch verstanden sein.
Elke Erb hat sich immer für ein Verständnis des poetischen Textes verwendet, das im Staunen über die Unvereinbarkeiten bestehen soll, die in der täglichen Kommunikation irgendwie überwunden werden. Sie befaßt sich mit dem, was in diesem „Irgendwie“ verschüttet wird, so daß die Worte nichts sagen über den Sprecher und den Empfängern wie Fremdworte begegnen: „So heranwachsend fragte ich (neu): Wo sind die Menschen? ... Ich verstand die Sprachen nicht, in denen sie sich zu erkennen gaben“, lautet in „Kastanienallee“ die Erklärung für die Entstehung eines ihrer Texte (S.38). In Sätzen, die sie auf eine ihrer konventionellen Bedeutungen festlegen, haben die Worte nichts mit den lebendigen Empfindungen zu tun: „Solange ein Satz nicht sagt, was er sagt, I unvermeidlich / ... sammelt sich Unrat auf ihm ...“ (S.14). Solche „unsauberen“ Sätze nämlich stehen der Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, im Wege. Um tatsächlich zu erleben, ist es unerläßlich, die „sprachliche Ausstattung“ abzuwerfen. Ihre Normen sind restriktiv; sie beschneiden die Wahrnehmung und damit schließlich die Möglichkeiten des Subjektseins empfindlich. Dagegen entwickelt Elke Erb gegenläufige Prozeduren. Wenigstens ein Bedeutungsfeld wird ganz ausgeschritten, bis alles Stimme bekommt, was anklingt und mitschwingt. Im Prozeß des Aufsuchens stellt sich heraus, wo Bedeutungen und Erfahrungen ohne Zwang zusammenstimmen. Was dabei zutage tritt, ist das Unvorhergesehene, das bei der gewöhnlichen Benennung unterdrückt wird und im Bewußtsein nicht vorkommt, solange ihm keine Sprache gegeben wird. Elke Erb beschreibt dieses Verfahren, das sich durchaus auch sprachtheoretisch begründen läßt, als „nicht resultativ, sondern prozessual ... ein Schreiben, das nicht bloß feststellte, sondern sich sofort selbst auf seine Folgen einließ ...“ (Vexierbild“, S.107). Der Text ist hier nicht das zur Kommunikation bestimmte Gebilde; er soll vielmehr sprachlich Gebildetes auflösen, den Anschein seines Gegebenseins und seiner Realität entkräften, damit sich die Schreiberin und ihre Leser im Wortwechsel als Subjekte gegenseitig erkennen können. Denn die Macht der Dinge, die sich mit einer Sprache der Zuordnungen wappnet, ist wiederum ein Vexierbild, in dem das gefährdete, weil unverstandene Subjektive aufgesucht werden muß. Der Gedichtband von 1983 bekam den sinnfälligen Titel „Vexierbild“.
Auf diesem Wege schreitet Elke Erb mit den Texten des neuen Bandes „Kastanienallee“ getrost voran. Ihre Überzeugung ist gewachsen, daß die selektive und bezeichnende Sprache von innen her aufgelöst und mit persönlichem Sinn durchsetzt werden kann. Sachverhalte der Biographie, Äußerungsweisen in festgelegten Rollen und unwillkürliche Reaktionen, Selbstbeobachtungen also werden zum Anlaß für eine zweite Aneignung des eigenen Lebens. [...]
Im neuen Band herrscht, anders als früher, die Gewißheit vor, daß jene banalen Lebensmuster das Ich nicht unbedingt überrumpeln müssen. Diese Texte sind Aktionen gegen den Selbstverlust und probieren Haltungen aus, die der Verinnerlichung und Einübung vorgegebener Lebenspläne zuwiderlaufen. Sie versuchen die Wahrnehmung sogar des äußerst Selbstverständlichen zu erreichen, das dann als Erfahrung mit Menschen, meist mit sich selbst, angenommen und verstanden werden kann. Ein derart emblematischer Text wie „Birkenwerder-Eigentum“ (S.11/12) stülpt die Ansicht von Dingen um, bis eine menschliche Hand sichtbar wird und sie etwas von der Sinnlichkeit wiederhergeben, die doch in ihnen geronnen sein muß. Wer denkt schon sonst über Entfremdung nach angesichts eines in Blüte stehenden Frühlingsbeetes, wer über die abwesende Besitzerin des Siedlungshauses, die ihren Schönheitssinn darin bewies?
Zuerst kann es scheinen, als seien alle diese Texte eine Art Aufzeichnung jener unmittelbaren Erkenntnis, jenes augenblicklichen Innewerdens, das der rationalen Begründung widersteht. Der Anschein trügt aber. „Kastanienallee“ ist kein Journal der Seele. Vielmehr werden methodisch die Dimensionen der Alternative von „Selber-Leben“ oder „Gelebt-Werden“ zutage gefördert. [...]
Auch Verdrängungen, weil sie Kraftvergeudung sind, werden „in den Stand eines Themas“ gehoben. Der Impuls zu einer Befreiung von einem mechanischen Zwang kommt aus dessen Analyse: „Von dem Klavierspiel erlöst allein das Klavierspiel. „ (S.95). Wenigstens zwei Aktionen laufen dabei in jedem Text. Zuerst die Entdeckung, eine emotionale Betroffenheit, und, gleichzeitig oder folgend, die Verarbeitung derselben. [...]
Die Kombination von Texten und Kommentaren ist natürlich selbst ein Experiment. Selbstversuch und Kontrolle zugleich, haben die Kommentare Rechenschaft über den eigentlich unergründlichen Teil der Sprachwerdung von vorbewußten Impulsen abzulegen. Die Texte leben aus ihrer Empfänglichkeit selbst für Bruchteile von Impulsen, die dem Ich aus der Innen- oder Außenwelt zukommen. Die Kommentare beschreiben, wie man diese Empfänglichkeit bewahrt oder gewinnt. Dem gewöhnlichen Leben zum Trotz, dessen Rationalität die Unempfindlichkeit fördert. Dabei entstehen oft Kompendien des ästhetischen Denkens und der Psychologie.

Ursula Heukenkamp (über KASTANIENALLEE) IN: NEUE DEUTSCHE LITERATUR 1/89



(Über GUTACHTEN:) [...] eher verhaltene denn laute oder beredsame Verse und Prosastücke von einer ungewöhnlichen, seltsamen Beobachtungsgabe, aus einem Blickwinkel – der magische „zweite Blick“ -, der den einen Leser sofort bezwingt, den anderen verständnislos, auch empört den Kopf schütteln läßt. [...] Immer hat mich seitdem bei Elke das unmittelbare Neben- und Miteinander von überraschendem, irrationalem, irisierendem Gefühl und strikter, wenn auch komplizierter Logik des Gedankens fasziniert; nur sie spricht und schreibt so, und nur sie hat im Sprechen und Schreiben dieses Talent.
(über KASTANIENALLEE:) [...] In dem emotioalen Vorgang, in dem sie sich den Dingen, vorurteilsfrei im Formulieren, nähert – ein kompliziertes Verfahren, weil sie es zugleich versucht, rational streng zu kontrollieren, ohne ihm wiederum Regeln Zügel anzulegen -, ist sie bestrebt, im Sprachefinden und Sinnsuchen ihren Stil aus sich selbst heraus zu entwickeln – ein prozessuales Schreiben, bei dem weder ein Ziel noch der Weg dahin festgelegt oder vorgegeben sind. Und der Leser wird – aber das liegt tatsächlich an ihm selbst, weil ihm nicht Thema, Fabel, Absicht oder Folgerung, Lehre oder Botschaft offeriert werden – angeregt, sich mit ihr auf einem solchen „Prozeß“, der ins Unerwartete, auch ins Unbestimmte, Nichtvorhersehbare führt, einzulassen. Chlebnikow nannte es eine Literatur für Produzenten.

Gerhard Wolf. Die selbst erlittene Geschichte mit dem Lob (Laudatio zur Verleihung des Heinrich-Mann-Preises an E.E. und Adolf Endler. In: NEUE DEUTSCHE LITERATUR 1990



[...] Elke Erbs Schreiben ist mehr als Schreiben. Mit der „Verwandlung der Schreibwerkstatt in einen offenen Lebensraum“ ist die Grenze zwischen Leben und Schreiben aufgehoben. Will man den Stoff, das Thema dieses Schreibens benennen, läuft man auf Grund: „das Leben“ selbst. Eine Floskel? Nicht, wenn man das Wort „Leben“ fragend wiederbelebt und etwa nach den Gesetzen unseres Denkens forscht, die die Wahrnehmung des Lebens steuern, eingrenzen und willkürlich kanalisieren und damit das Leben selbst beschneiden, in einer Reduktion, für die sich in den „Winkelzügen“, Elke Erbs neuestem Buch, treffend das Bild der chemischen Elementetafel findet: „Die Bestimmungstafel bestimmte auch noch nicht gefundene Elemente (Systemlücken), so dass sich in ihr etwas Neues nicht mehr zeigen konnte.“
Außerhalb solcher Denksysteme, die im öden Pingpong der Dualismen oder in unfruchtbaren Kausalitätsbezügen dem Leben seinen Spielraum rauben, sind die Texte von Elke Erb auf der Suche nach dem, „was Schreiben mehr ist als Leben“ – geschriebenes Leben eines Texts, der in einer hintergründigen Landschaft auf Gedankenwegen einem Sinn entgegenstrebt, den er noch nicht kennt.
[...] „Ich hatte den Zirkel der mir überlieferten Poesie-Münzen, der poesietümlichen Wörter wie Stein, Wind, Stunde, mit denen ich zuerst zu bauen versucht hatte, bewusst verlassen“, schreibt Elke Erb rückblickend in den „Winkelzügen“ zur Voraussetzung der ersten beiden Bände „Gutachten“ (1975) und „Der Faden der Geduld“ (1978).
Die Kurzprosa-Texte sind konzentrierte Momentbilder, unwiderlegbar erhellt von einem Wortlichtblitz, „und, als hätte ich Steine werfen wollen in das Komplott der Verhältnisse“, gerät die gewohnte Wahrnehmungswelt vom Einschlagsort her sanft, in konzentrischen Wellen, in Bewegung. „Texte, auf die alles gesetzt war“, und jeder Text für sich ein Gegenentwurf: „Du entwirfst mit den Texten deine eigene Gesellschaft, indem du Wort für Wort einen Aufbau machst, der standhält gegenüber einem Aussen, das Herrschaftsansprüche anmeldet.“ [...]
Der Innendruck dieser komprimierten Texte, auf die alles gesetzt war, stieg an. Die verschiedenen Aspekte, die im Brennspiegel der Kurzprosa eingefangen waren, strebten immer stärker ins Weite, bis sie die Form sprengten. Im Band „Vexierbild“ (1983) ist dieser Umbruch des Schreibens nachzulesen: Er enthält, neben Kurzprosa, auch die neue Textform der „prozessualen Feld-Erörterung“, die dem Streuungswinkel der Denkwahrnehmung Raum gewährt. Erörterung – das ist wörtlich ein Gehen von Ort zu Ort, Wort zu Wort: Die Sätze werden nicht mehr linear im Block angeordnet, sondern als Wortgruppen auf dem Blatt verteilt, womit die lineare Zeit ausgehebelt und Gleichzeitigkeit lesbar wird. Stärker noch als schon in der Kurzprosa führt der Text nun ein Eigenleben – der Autorin bleibt nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Im Band „Kastanienallee“ (1987) ist die Textentstehung bereits in den Vordergrund gerückt; die nachträglichen Kommentare zu den Gedichttexten spüren „dem Textleben, dem Lebenstext“ nach. In den „Winkelzügen“ ist diese Kommentarebene, die in „Kastanienallee“ den Texten als „Beistand“ mitgegeben war, in den Text gehoben und unlösbar mit ihm verwoben. Die 450 Seiten sind ein langsames Gewächs. [...] Der Text selbst handelt, er tritt als personifiziertes Subjekt auf, dessen Bedürfnissen die Autorin folgen muss.
[...] In einem geruhsamen und (ja!) liebevollen Lesen, das Raum bietet für Verwirrung, Achselzucken, Staunen und ein seltenes Leseglück, beginnt der Text zu sprechen – mit der Stimme der LeserInnen, die unversehens ihren eigenen Lebenstext lesen, denn die Freiheit der Selbstwahrnehmung ist ansteckend.
[...]

Sieglinde Geisel über WINKELZÜGE ODER NICHT VERMUTETE AUFSCHLUSSREICHE VERHÄLTNISSE), IN: WOZ (ZÜRICH), 1.6.91



Die Sprache der Geduld in der Dichtung von Elke Erb überschreitet die Grenzen des allgemeinen Sprachgebrauchs und der lyrischen Konventionen in der DDR-Literatur. Trotz ihrer scheinbaren Unzugänglichkeit sind ihre experimentellen Texte dennoch politisch: im Akt des Schreibens und in der Sprache selbst bewältigt Erb (so wie andere DDR-Lyriker) das Leben politisch, da sie den Schreibprozeß selbst politisiert. Die ästhetische Stärke, die sich aus einem solchen produzierenden Denken entfaltet, stellt eine Überschreitung vom Begriff „Grenze“ im allgemeinen dar. Sprechend und lesend erlebt man die unterdrückte Existenz und gelangt so zum Bewußtsein der Selbstbestimmung des Menschen. Aus diesem Grund ist die Dichtung von Elke Erb im tiefsten Sinne politisch, da sie zur Politisierung des Denkprozesses beiträgt. [...]
Alle Assoziationen des schreibenden Subjekts können sprachlich vermittelt werden. Manche Textstellen beginnen mit einem immer intensiver wirkenden Assoziationsprozeß, der von der Sprache, von dem einzelnen Wort selbst als materielles Zeichen bestimmt und damit dem Bewußtsein des Lesers zugänglich gemacht wird. [...]
Diese Entfaltung der Bedeutung aus dem Wort selbst läßt sich auch an einem kurzen Gedicht in Gutachten (1975) erkennen. Zwar kann die Vielfältigkeit dieses Bandes nicht durch einen einzigen Text exemplifiziert werden, aber das sorgfältige Lesen des Gedichts Schlechte Beleuchtung gestattet einen wichtigen Einblick in den Schreibprozeß:

Unsere Wohnzimmerlampe ist von einem Leinen umspannt, welches viel Licht verschluckt.
Sie gibt Licht, daß man die Buchstaben gerade noch erkennen kann.
Man kann gut schlafen, wenn sie angeknipst ist. Sie ist eine andere Nacht.

Der wortwörtliche Sinn des Gedichts liegt in einer unzureichenden Beleuchtung, worauf aber das Subjekt erst beim Lesen aufmerksam wird. Der einfache Gegenstand ist die Wohnzimmerlampe, sogar „unsere Wohnzimmerlampe“, deren gezielte Funktion, nämlich die Beleuchtung, der Lampenschirm aus Leinen aufhebt. Die personifizierte Lampe verschluckt das menschliche Wissen, das im Licht versinnbildlicht ist. Ironisch ist die „andere Nacht“, die durch die angeknipste Lampe entsteht. Das im Gedicht implizierte Subjekt hat genügend Beleuchtung, um die Buchstaben zu erkennen, aber ist dies dasselbe wie lesen und verstehen? Der eigentliche Inhalt des Gedichts ist nicht so wichtig wie das Erkennen des Objekts selbst, das die Bedeutung erst ermöglicht. [...]
In Faden der Geduld versetzt Erb die Sprache in eine Bewegung, die nicht mehr zu bremsen ist. [...]
Kastanienallee scheint wie eine Antwort auf den Vorwurf der Unzugänglichkeit von Erbs Gedichten. Dieser Band ist der nächste logische Gedankenschritt in ihrer schriftstellerischen Entwicklung, weil die Gedichte und Kommentare darin zusammengehören. [...] Zum einen lassen sich die Texte aus ihrer Sprache selbst verstehen. Zum anderen sind die Kommentare unentbehrlich. In Kastanienallee macht Erb den Schreibprozeß anschaulich, indem sie zeigt, wie sich die anscheinend zufälligen Assoziationen und die kritisch herrschenden Perspektiven des Subjekts Wort für Wort konkretisieren.

Patricia Anne Simpson: Die Sprache der Geduld: Produzierendes Denken bei Elke Erb. In: Ute Brandes (Hg.): ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN. SCHRIFTSTELLERINNEN DER DDR AUS AMERIKANISCHER SICHT. Verlag Peter Lang. Berlin, Bern, Frankfurt a.M., New York, Paris, Wien. 1992



[...] Überhaupt werfen die „Winkelzüge“ viele Fragen auf. Zu den zentralen zählt auch die nach der Art und Weise, in der ein Text sich dazu bringen lasse, die eigenen Zusammenhänge zu erkennen, offenzulegen. Zunächst wohl durch Gegenfragen: „Zusammenhang aber – ist auch nur ein Wort? / Und was tut das Wort?“ Natürlich sind diese Fragen nicht neu. Doch der Umgang, den Elke Erb mit ihnen in „feldhaften Erörterungen“ pflegt, geht über die allgemeine Handhabe weit hinaus, irritiert wohltuend. [...] Elke Erb ist weniger aus- als vielmehr von Grund auf eingestiegen in eine Lebens- und Sprachwirklichkeit, die ihr erst mal den Mut zum eigenen Leben, einer eigenen Sprache nahm, um diesen dann im konsequenten Widerstreit zu ihr finden zu können. Das führt eben zu einem Buch wie die „Winkelzüge“, das die Anlässe, so persönlich sie waren und tragend sind, im guten Sinn hinter sich läßt und sich in ein Gebilde sprachlicher, geistiger Souveränität verwandelt.

Christian Schaffernicht. (über WINKELZÜGE ODER NICHT VERMUTETE, AUFSCHLUßREICHE VERHÄLTNISSE). STUTTGARTER ZEITUNG, 24.1.92

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„Lyrik geht für mich von einer Art Lichtpunkt aus. Das, was linear denkbar ist, verschwindet als Voraussetzung. Die Lyrik ist erkundend, sie muss neu ergründen“, hat Elke Erb 1990 in einem WOZ-Interview gesagt. Ihre Erkundungsergebnisse, den Abschluß einzelner Arbeitsphasen, präsentiert die Lyrikerin in Buchform, so war das mit der Text- und Kommentarsammlung „Kastanienallee“ (1987) oder „Winkelzüge oder Nicht vermutete, aufschlussreiche Verhältnisse (1991).
Elke Erbs neuester Gedichtband „Unschuld, du Licht meiner Augen“ versammelt, chronologisch angeordnet, Texte vom Januar 1991 bis Januar 1994. Er ist permanente Ausführung des eingangs zitierten poetologischen Grundgedankens, er ist Wundertüte und Füllhorn – und er hat als Ausgangspunkt die absolute Neugier und voraussetzungslose Offenheit einer Autorin, der schon zu DDR-Zeiten nichts an Zuschreibungen gelegen war: „Ich verdächtige jede Parteiung der Art &Mac226;links’-&Mac226;’rechts’ als ein Bett, in dem man sich ausruhen kann. Als eine quietistische Angelegenheit. Es gibt für mich nichts Schlimmeres als Recht zu haben. Und noch dazu mit aller Erfahrung des deutschen Recht-Habens, die gar keine Realität hat“, sagte sie vor fünf Jahren. So nahm sie die deutsch-deutsche Wende mit einer gewissen Gelassenheit hin und dem ihr eigenen Humor, eröffnete am Ende des ersten gesamtdeutschen Jahres „bewusst – als Beginn einer von mir selbst bestimmten Aktivität – die Gedichtwerkstatt neu und wies sie an, meine Regungen willkommen zu heissen und sie sprachlich in die Wege (Gedichtwege) zu leiten. So geschieht es. Reime tauchen auf, gediegene Formen ... Verwunderlich“, schreibt Elke Erb im Text „Gedicht-Werkstatt“.
[...] Diejenigen Gedichte in „Unschuld, du Licht meiner Augen“, die ihren Ausgangspunkt, ihren Anstoss Mayröcker-Zeilen zu verdanken haben, sind keinen Zeilenfall lang blosses Nach-Schreiben, sie sind im Aneignen und Durchdringen ihrer Vorlage eigenständig und eigensinnig. Das ist eine der großen Qualitäten dieses Buches – und ein ebenso grosses Lesevergnügen. [...]
Elkr Erb spielt mit lyrischen Formen und Traditionen. [...] Man kann als Leserin, als Leser gar nicht anders als sich verwirren lassen durch dieses Flippen und Switchen, durch dieses Spiel mit Wiederholungen und Stabreimen; das sind, gibt man sich diesen Texten hin, Rutschpartien, immer mit ungewissem Ende, oft voller Humor. So etwa in „Spurentour“:

(...)
Ich denke nun:
Wenn der veränderte Blick einer Katze
in den Anschein des Menschlichen rückt,
könnte dann nicht Verrücken, Verändern
das, was den Menschen ausmacht, sein?

Mich interessiert eine Gleichung.
Mich entwaffnet ein Gleichheitszeichen.
Mich rührt eine Tautologie.

Aller guten Dinge sind drei,
und dasselbe ist guter Dinge.

Wer sich auf Elke Erbs „Algebra“ einlässt, erfährt die Welt für Augenblicke anders und wird das eine oder andere Mal vielleicht selber zum Wörtchen „ei“ greifen, das klingt und kurz ist und ganz patent:

EI,

Nonsens ist zuviel
wogender Blumenteppich,

LACHEN DIE HÜHNER.

Christine Tresch in: Gedichtwerkstatt sondergleich (über: Unschuld, du Licht meiner Augen). WOCHENZEITUNG, Zürich. 10.2.95



[...] Elke Erb ist das, was man einen poetischen Geist nennen möchte, sie wird getrieben, sie ist befallen von der poetischen Manie ...
so rufe ich auf am heutigen Morgen die Dichterin und ihre verhüllte eingehüllte unbetretbare Sprache, ihre undurchdringlichen Sprachhüllen, ihre leuchtende GROTTENSPRACHE, GANGLIENSPRACHE, ihre gemalte ÜBERSETZUNGSSPRACHE, im zwiefachen Verständnis, analog einem Wort von Marcel Proust : die guten Bücher sind in einer Art Fremdsprache geschrieben. [...]
Beim Lesen ihres jüngsten Buches UNSCHULD DU LICHT MEINER AUGEN komme ich aus dem Zustand des Staunens nicht heraus. [...] Ich trete zurück, um Abstand zu gewinnen. Feinstgesponnenes neben kruden Wortklötzen, Mund Sprache neben Buch Sprache neben Philosophie Sprache neben Trigonometrie Sprache neben Traum Sprache neben Politik Sprache neben Erinnerung Sprache neben Kommentar Sprache oder was sonstwie vom niedrigen Pferd gebraucht wird. [...]
Diese ihre singuläre POESIE WUCHT in welcher eine blanke Wirklichkeitssicht übergangslos als ein dem Surrealismus nahestehendes Sprachraffinement aufleuchtet, beglückt mich immer von neuem : immer ihr gleichzeitiges HIER und DORT, scharfe Realitätsoptik gepaart mit monströsen Sprach-Plasmen : reinigend, aufrüttelnd, Katharsis erzeugend.

SIE SPRICHT WIE SIE SCHREIBT : man beachte die Rangordnung : sie spricht, wie sie schreibt – nicht : Sie schreibt wie sie spricht! - Brigitte Struzyk sagt in ihrem Nachwort des von ihr herausgegebenen Auswahlbandes "nachts, halb zwei, zu Hause“ : Nicht selten ist es geschehen, dasz solche, die mit dir geredet haben, erstaunt feststellen, dasz du ja auch so sprichst wie du schreibst, und so handelst wie du denkst ...“
eines geht ins andere über : das Zirkelige, Strenge, Wirklichkeit Abpausende (eine Art Fotorealismus wie bei Gerhard Richter), neben Aufgelöstem, Zitterndem, Zotteligem, Fransendem, und dies wieder neben Analytischem, Kritischem, Zergliederndem – Celansche Unauflöslichkeit gepaart mit Brechtischer Eindeutigkeit und Massivheit.
Das hermetische LICHT bei ihr, nicht, wie von Rezipienten und und Literaturkritik meist beklagt, das hermetische DUNKEL. Das hermetische LICHT ist vorherrschend, die aufgeklärte Erleuchtung pflanzt sich fort.
In dem Band „Kastanienallee“ ist der Dichterin der Versuch gelungen, ein ganzes Buch hindurch ihre Gedichte zu kommentieren, wobei die Kommentare nicht als Lese- oder Verständigungshilfe gedacht sind sondern als selbständige Texte. Elke Erb wollte mit diesen Kommentaren den Denkprozesz erfassen, dessen Ausdruck das Reden und Schweigen der Texte ist, ein profundes Nachspüren nämlich den Bedingungen des jeweiligen Schreibprozesses. [...]
Vielleicht könnte man diese Kommentare SELBSTZÜNDUNGEN nennen : sie scheinen sich ja an dem den Gedichten innewohnenden Energiefunken entzündet zu haben, bringen die Leuchtkraft des Gedichts in neue Verbalformationen ein, entfalten sich zu akribisch sich aufspaltenden Gedankenbewegungen, weitausgreifend, in einem philosophischen Denkprinzipien sich nähernden Duktus. Ein unendlicher Verweisungsflusz also, der jeweils zu erratischen Blöcken sich zusammenballt.
Im weiteren hat Elke Erb den Begriff der VERSFÄHIGKEIT geprägt, d.h.- es gibt nichts für sie das sich einer VERSFÄHIGKEIT widersetzen würde. Sie kann alles verbalisieren, sie kann alles versfähig machen, längst hat sie sich aller Skrupeln, Fesseln, Eingrenzungen und Tabus entledigt. Kindliche Rezeptivität mischt sich mit diszipliniertester Reflexivität, UND ALLES IST MÖGLICH. [...]

Friederike Mayröcker: Laudatio auf Elke Erb, anläßlich der Verleihung des Erich-Fried-Preises am 2. April 1955 in Wien.



Ein Buch voller Regungen und Anregungen – Auskünfte der Dichterin Elke Erb aus den Jahren 1989 bis 1995: Interviews und ausführliche Werkstattgespräche (u.a. mit Durs Grünbein, Brigitte Oleschinski, Birgit Dahlke), Vorträge und Preisreden, autobiographische Texte und Äußerungen zu Autoren wie Erich Arendt, Sylvia Plath, Bernd-Dieter Hüge, Kito Lorenz, Brigitte Struzyk, Gedichte und lyrische Notate. Schon auf den ersten Blick hin stimmt der Untertitel nicht so recht. Eine Eigenart Elke Erbs vermerkt Brigitte Oleschinski: „Wenn du über deine Texte sprichst, ist das wieder, wie die Texte selbst, eine Art Gesamtkunstwerk.“ Sicher gibt es Grenzen zwischen Prosaischem und Lyrischem, aber sie sind durchlässig. Der Vortrag „Zum Thema Nachdichten“ beispielsweise ist mit seiner quasistrophischen Gliederung der pointierten Sequenzen, in die die Auskünfte über Lebens- und Schreibprozesse gefaßt sind, fast eine Art Lehrgedicht.
Was die Lyrikerin auszeichnet, die Fähigkeit, sich zu wundern und mithin Gewohnheiten des Sehens und Redens nicht zu kennen, prägt auch ihre Gespräche. Die zur Erörterung ästhetischer Probleme bereitwillig sich anbietenden Kategorien und Formeln werden verschmäht [...]
1991 erschien im Druckhaus Galrev Elke Erbs 440seitiges Buch „Winkelzüge oder Nicht vermutete, aufschlußreiche Verhältnisse“. Lebenskontext, Text und Reflexion seiner Erarbeitung werden im prozessualen Schreiben durchmessen, eine grandiose Zumutung für den Leser. Solche Zumutungen aber – das Maßlose als Maßstab – sind das Unersetzbare an Literatur. Italo Calvino brach eine Lanze für die offenen Enzyklopädien, die Vielfalt der Universen, und Sprachen: „Die Literatur lebt nur, wenn sie sich maßlose Ziele setzt, auch jenseits aller Realisierungsmöglichkeiten. Nur wenn Dichter und Schriftsteller sich Projekte vornehmen, die andere nicht einmal zu denken wagen, behält die Literatur eine Funktion.“ Auf dieses Buch kommt die Autorin mehrmals zu sprechen (vor allem in dem Pariser Vortrag „Start“) als Zeugnis einer „großen Befreiung“ von verkrusteten Denkstrukturen. – In ihren Worten: „... als Widerreden gegen Sinn und Stil des offiziell Verlautbarten, gegen den ebenso einheitlichen wie elendiglichen Vortrag des europäischen Fortschrittsdenkens mit einem sozialistischen Anstrich und einem an die Macht gekoppelten Wahrheitsanspruch.“ Zugleich wird ein nur reaktiv-oppositionelles, ein Gegen-Machtdenken abgelehnt: „Den Sinn ihres Widerspruchs indessen hätten diese Texte nicht haben können, hätten sie nicht einen eigenen, autonomen Sinn aufgebaut. Der war es (und nicht Kampfgeist), der sich einen Weg aus Untertänigkeit, Konsumtion und unproduktiver Ausbeutung suchte.“
Das Zitat zeigt, wie die Ablehnung linearen Denkens und Schreibens, wiewohl primär DDR-Erfahrungen verarbeitend, über das auslösende Moment hinausweist auf Existenzweisen der modernen Zivilisation und das Ungenügen daran. Man fühlt sich an Philosophen wie Gilles Deleuze und Félix Guattari erinnert, die das rhizomatische als azentrisches Denken gegen das hierarchische ins Feld führten. Hier sollen nun keine Entlehnungen vermutet werden – Elke Erbs Konzept und Poetik sind etwas eigenständig Entwickeltes: „jedes Küken pickt sich / wieder neu aus seinem Ei / ins Freie“ -, wohl aber vergleichbare Antriebe in der Abkehr von den „großen Erzählungen“.
Auf die „Möglichkeit, produktiver zu arbeiten“, zielen alle Texte und Auskünfte. Auch jene, die im engeren Sinn Beiträge zur „Wendeliteratur“ sind. So attackiert Elke Erb die bequemen Fest-Stellungen, die Christa Wolf schlechthin die Rolle als Repräsentantin der DDR zuweisen („DDR und aus“), und beschäftigt sich ausgiebig mit dem Thema „Anderson und die Staatssicherheit“ und der These von der Prenzlauer-Berg-Szene als Simulation des Stasi. Aber da diese und andere Äußerungen zum Zeitgeschehen nie nur zurückweisenden Charakter haben, sondern Zukunft – nicht als Weitermachen, sondern als Weitergehen – in den Blick fassen („Es gibt genug zu tun für die Kunst“), haben sie die Lust und Souveränität differenzierender Betrachtung. Im November 1989 schrieb die Autorin, geleitet vom Anspruch der Perestroika, unter dem Titel „Selbständigkeit“ ihre Überlegungen zur Zukunft der DDR nieder; sie erhoffte „die Leistungs- und Bewegungsfreiheit (folglich Intelligenz) des Kapitalismus ohne die von ihm bedingten Schranken, ohne seine Nichtintelligenz“. Das mag man, sich auf den Gang der Zeitgeschichte berufend, als Illusion abtun; das Problem, wie verquer Intelligenz und Nichtintelligenz des jetzigen Systems zusammenhängen, ist damit nicht aus der Welt geschafft. Ob es freilich zu lösen ist? – „Irgendwie ist der Mensch immer so ein abgekochtes Ei aus Jahrhunderten und weiß von nix, oder findet alles normal, ganz merkwürdig.“
Dieser Normalität des abgekochten oder abgebrühten Daseins widersprechen Gedicht und poetische Existenz. Poesie ist der Autorin die „bündigste und gründlichste Form der Erkenntnis“. Eine Erkenntnis, die nicht beim Großen und Ganzen ansetzt, sondern, sondern im Flüchtigsten Aufschluß über Zeit und Gesellschaft sucht und findet: „... eine Regung, die du hast, so aufmerksam wie möglich wiedergeben“, heißt es im Gespräch mit Brigitte Oleschinski. Die Regung wird zur Schreib-Regung; die Regung wird notiert und, je nach Ergiebigkeit, früher oder später zum Gedicht transformiert, wobei ja die in den Bildern und Assoziationen lebenden Impulse weiterwirken. Ein Weiterspielen auf dem Wortfeld findet statt – „Da zuckt das Bein, da rollt der Ball“ -, das das Nachdenken über die Arbeit des unterbewußten Ichs, die Erkundung und Ausdeutung des Seelenmaterials in sich einschließt. Diese Poetik ist auf eigene Weise psychoanalytisch orientiert – Wo Es war, soll Ich werden -; ganz organisch setzen Reflexion und Kommentar das Gedicht fort: auch dies eine Übersetzungsarbeit. Einer der schönsten Texte des Bandes ist der autobiographische Rückblick „Thronende Unterlegenheit“. Erstaunt sieht man, wie Gedichte die wesentlichsten autobiographischen Zeugnisse abgeben, wie die „Selberlebensbeschreibung“ (Jean Paul) zur Selberlebensdichtung wird. Wir wären arm dran, müßten wir allein den „Auskünften in Prosa“ vertrauen.

Stefan Siebeneicher: „Schreiben ist geistiges Atmen“. (über: „Der wilde Forts, der tiefe Wald. Auskünfte in Prosa“. Göttingen 1995). In: NDL, 2, 1996



[...] Es war konsequent und richtig, den Titel dieses wunderschönen Stückchens Prosa, das nichts anderes wiedergibt als die Assoziationen und Überlegungen beim Besuch des Jagdmuseums Grunewald, als Überschrift für das gesamte Buch zu wählen. Tatsächlich stehen diese knapp sieben Seiten für Inhalt und Machart aller Aufsätze, Erläuterungen, Essays, Reden, Tagebuchnotizen und wirklichen Auskünfte über Lyrik, die zwischen 1989 und 1995 entstanden. Die Mehrzahl wurde bereits gedruckt, meist an so entlegener Stelle, daß der Nachdruck in weiten Teilen einer Erstedition gleicht.
Einen sonderbar spröden Zauber strahlt diese Prosa aus, der eigentlich durch nichts gerechtfertigt ist. Nach den herkömmlichen Maßstäben ist sie nämlich abwechselnd: hermetisch, anmaßend, ausufernd, geschwätzig, gestelzt, unverständlich, subjektiv – kurz, in einem Maße manieristisch, daß man eigentlich ein kritisches Verdikt fällen müßte. Ich werde mich hüten. Denn diese absolute Rigorosität und Ehrlichkeit, die reflektierte Fülle und auseinanderberstenden Assoziationsketten machen den Reichtum von Elke Erbs Prosa und Lyrik aus, denen sich der Leser freilich überantworten muß. [...]

Hans-Georg Soldat: Kluge Dichterin spürt Katastrophentriumph. „Der wilde Forst...“: Elke Erbs Auskünfte in Prosa. In: BERLINER ZEITUNG, 9.3.96



In der Jugendbibliothek las Elke Erb Texte aus drei Jahrzehnten, vom Gedicht „Hochfrisur“ aus den sechziger Jahren über Texte aus den Bänden „Der Faden der Geduld“, „Vexierbild“ und „Kastanienallee“, für den sie 1988 den Peter-Huchel-Preis erhielt, bis hin zu neuen, dem Band „Unschuld, du Licht meiner Augen“ entnommenen oder teilweise noch unveröffentlichten Texten. Viele dieser Texte haben etwas Geheimnisvolles, ähneln Vexierbildern, jenen Suchbildern, die eine nicht sofort erkennbare Figur enthalten. Der Text, sagt Elke Erb, ist der Text, er bedarf keiner Erklärung, er erklärt sich selbst. „Meine Beobachtungen ähneln schnell gefaßtem Diebsgut, Vorenthaltenes greifen sie, Beweise erbringen sie“, heißt es in „Unbildbetrachtung“. Einige dieser Beobachtungen bleiben hängen, als klare poetische Bilder: „Der an der Haltestelle Wartende / Schwimmt durch den Kanal zur Arbeit wie ein Weberschiff“ („Beginnen“). Andere eulenspiegeln mit den Mitteln und Möglichkeiten der Sprache: „Der fromme Schein einer übersichtlichen Welt, / die man fest in der Hand hat, - im Griff auch ... Die fromme Hand eines übersichtlichen Griffs, den man fest im Schein hat, - in der Welt auch.“ [...]
In einigen der neueren Texte scheint die Sprache weicher und sanfter zu werden, leben Erinnerungen an die Kindheit in der Eifel auf, werden die Bilder klarer, unverschlüsselter, ohne freilich des Hintersinns zu entbehren, etwa, wenn der exilierte russische Dichter Joseph Brodsky mit Hilfe der aus einem botanischen Lehrbuch entlehnten Beschreibung des Sauerampfers porträtiert wird, oder den Geizigen der Deckel der Geldtruhe erschlägt, vor der er andächtig kniet. Doch es wird eben nicht nur der Geizhals erschlagen, sondern auch das, was ihn dazu machte. Die Welt ist nie so klar und eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. So auch im Text um die unter Mithilfe der Bevölkerung erfolgte gewaltsame Räumung eines jüdischen Kinderheims in Caputh, da wird Schuld und deren Verdrängung benannt, gleichzeitig aber vor Pauschalurteilen gewarnt. Auch dies ein Schreiben als Widerwort. Immer wieder blitzen aus dem Wohlklang der Sprache wie Nadelstiche jene Gedanken auf, die den Zeitgeist mit einem Widerwort konfrontieren, einer Frage, die stehenbleibt als Beunruhigung. Wir haben die sexuelle Gewalt gegen Kinder unter Strafe gestellt, aber straflos bleibt es, die Denkfaulheit in die Hirne der Nachgeborenen zu pflanzen ...

Jens Wonneberger: Texte wie Vexierbilder. „Schreiben als Widerwort“: Elke Erb las in der Jugendbibliothek. In: Die Union, Dresden. 22.6.98



[...]Der hierarchielose Austausch zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Text, zwischen Text und Text gleichermaßen. – Alle drei Austauschverhältnisse sehe ich als Voraussetzung und als Kennzeichen von Poesie. [...]
Möglich, mein Widerspruch gegen manche Formulierung zum Werk von Elke Erb hat mit dieser Voraussetzung, diesem Kennzeichen zu tun: Heißt es, die Arbeiten seien abstrakt, gebe ich unwillkürlich zurück: Nein, stets konkret, stets anschaulich – ohne damit aber diese nutzlosen Gegensatzpaare zu hintergehen. Heißt es, Elke Erb monologisiere, gebe ich zurück: Es ist aber doch Poesie. [...]
In einem Gespräch über „weibliches und männliches Schreiben“ hat Elke Erb angemerkt, sie möge eine Art von Sprache nicht als männliche bezeichnen, sondern „lieber als die <überkommene<, <vorhandene< oder <dominante<“ ( Forst S. 294). – Elke Erbs Arbeit findet vor dem Hintergrund einer solchen Sprache statt. Nicht, an einer Front, gegen diese Sprache an, ergänze ich: Die <dominante< Sprache wird nicht in einer Umkehrbewegung unterhalb einer zweiten, vielleicht möglichen, anders verlaufenden angesiedelt. Eine Bewegung des Unter- und Überordnens bliebe nur wieder bei Hierarchien stehen.
Es gilt auch nicht, eine Sprache durch eine andere zu ersetzen. Es gilt vielmehr, Distanzierungsmöglichkeiten zu erarbeiten, von einer Sprache her die andere aufzufassen – in wechselseitiger Bewegung.

Marcel Beyer: Zum Verhältnis der Stubensprache. Laudatio auf Elke Erb bei der Verleihung des Norbert C. Kaser-Preises.




[...]
Sachverstand heißt ihr neuer Gedicht- und Notateband, erschienen bei „Urs Engeler Editor“. Dichten bedeutet zunächst nichts weiter als die Sache selbst in die Hand zu nehmen, um gegenwärtig zu sein, geistesgegenwärtig. Aufnahmebereit für das Poetische, das vor den Dingen kauert, ihr Erscheinen vorbereitet. Das Gedicht „Mitteilen“ beschreibt sehr schön, wie dieses Poetische, Federleichte sich nähert und nährt: „Schneide ich etwa Feenfleisch aus / und lege es auf die Teller? // Und wird es von Feenfüchsen / im hindernislosen Mondlicht // (die auf die Stühle springen / am runden Tisch, bei Messer und Gabel / aufs weiße Tischtuch die vorderen / Füße aufstützen) // beschnuppert, bevor / Meinesgleichen dran kaut?“
[...] Das Begreifen und Sehen passiert in einem Fest, vitalisierende Spannung dreht und steigert alles, bis die Schwingungen der Dinge zu summen beginnen, die Birne zur Geige, zum poetischen Instrument wird, „sie mustert ja violinengleich die Birnenhälfte mit ihrem kleinen Hintern, Sage der Violinensaiten von Gris, von Braque ...“. So gesehen ist Poesie auch eine verstandene, wahrgenommene Partitur der Dinge, die in den Versen spielen, die die tonlosen und unsichtbaren Schwingungen der Dinge verstärkt und dadurch erst eigentlich erst hör- und aufnehmbar macht.
Aus dieser Perspektive lässt sich auch besser verstehen, warum Elke Erb in diesem Band davon spricht, dass die Kommunikation eigentlich noch nicht erfunden worden ist. Sie meint damit nicht die simple Form des Sprechens, die Verständigung als Warenaustausch von Worten, sondern eine Kommunikation, die aus einer gewissen Sehnsucht heraus jemanden, wie sie schreibt, in weiterführenden Adern fließend zu erquicken vermag. Die zu einer körpereigenen Reaktion wird, belebend, blutbildend, und aus einem Keim heraus organisch in ein ganzes Geflecht und Netzwerk wächst. Diese Verständigung spricht über die bloße Materialität von Worten heraus und klingt, zittert, vibriert, atmet.
Elke Erb stellt auf poetische Art genaue Fragen nach einer ursprünglichen, elementaren Form von Kommunikation, denen man beim Lesen nicht ausweichen kann. Ihre Gedichte stellen in Frage, in das Licht und die Helligkeit einer fragenden Anteilnahme. [...]
„Was ich schreibe, lebe ich.“ In der Philosophie gibt es den Begriff des Fastnichts, des presque rien. Ein Ausdruck, der im Barock aufkam und eigentlich das Unbegriffliche benennt, jenes, was man zwar bemerken, aber eigentlich nicht so recht begreifen und benennen kann. Und das im Grunde genommen (fast) nichts weiter als ein Synonym für das Schöpferische darstellt. Es bezeichnet jene Differenz, die das Poetische vom Alltäglichen unterscheidet, eine winzige Verschiebung nur, kaum wahrnehmbar, aber dennoch mit ungeheuren Folgen für das, was daraus entsteht und zurückwirkt. Das Fastnichts liegt eigentlich auf der Hand, aber auch der Poet muss es, wie der Leser, wie in einem Vexierbild erst entdecken, herausschälen.
Diesen Vorgang macht Elke Erb nachvollziehbar. Es hat etwas Ansteckendes für den Leser von ihren Gedichten, „wenn dann der feste Körper des Denkens ... hochfliegt“, wenn ihre Verse sich in die Dinge hinein schreibtastend vorwärtsbewegen. Wenn sie sich nach allen Richtungen hinweg drehen und dehnen und bis in die Erinnerungen hineinrollen. Die aus dem Vergangenen erneut herfantasierten Anlagen nutze sie als mobilisierende Denkbilder. Nun sind Erinnerungen, diese aus der Zeit gefallenen Existenzen, trügerisch, weil sie flüchtig, vage sind. Hier hilft die sprachliche Imagination, welche die Bilder einholt, zurückholt, bis sie wieder pulsieren, „ich räume die einstige Gegend wieder hin / als seien die noch vorhandenen Formen (Feld, Wiese, / Gebäude) im vollen Sinn ihres Anfangs geblieben“.
Jeden Winkelzug dieser Arbeit lässt sie den Leser nachvollziehen, indem sie sämtliche untergründigen Bewegungen, die zu den Gedichten hinführen, detailliert beschreibt. Manchmal ähneln ihre Gedichte deshalb mehr komplexen poetischen „Denkwegenetzen“. Ihre Methode ist die Sprachverrückung ins Gehirnuniversum, und die dazugehörige Wege- und Maßeinheit ist jenes zunächst unscheinbare presque rien, das schließlich als Gedicht nachweis- und ermessbar dasteht.

Cornelia Jentzsch: Tonlose, unsichtbare Schwingungen. Das Dechiffrieren des scheinbar Einfachen: Elke Erb und ihr „Sachverstand“. In: Frankfurter Rundschau, 6.12. 2000, (ausführlicher in: Basler Zeitung 12.1.2001).




[...] Offenbar verfolgt Elke Erb den poetischen Einfall nicht mit dem Ziel der rundenden Ausarbeitung einer begonnenen Skizze. Sie rückt den Entwurf nicht, ihn lange betrachtend, zeitlich von seiner Entstehung ab. Statt dessen soll alles zugleich geschehen. Blüte und Frucht sind eins; Beobachtung, Erinnerung, Reflexion erkennen einander blitzartig in der Sprache, fassen sich an; ursprünglicher Gedanke und fertiges Gedicht erscheinen so in ihre größte Nähe gerückt. „schund – rasches lebendiges wort, kann noch sein: hirschkopf, am tier. kommt weit her, noch aus dem stamm/leib, kann noch sein: nase. augen/unter der stirn. kann noch sein ohne schwund nach einem wechselvaterbalgdünkel.“

Norbert Hummelt: Elke Erb, Sachverstand. In: „GÖTTINGER SIEBEN“, www-etk-muenchen.de. Februar 2001




[...] Der Leser ist aufgefordert, wörtlich zu nehmen, bildlich zu sehen und von verkrusteten Denk- und Verstehensweisen abzulassen. Begreifen bedeutet bei Elke Erb nicht fassbar sein, sondern abtasten, die Sache dabei drehen und wenden.
Die Autorin benutzt einen speziellen Kode zur Bedeutungskonstitution, der ein einmal erworbenes Textverständnis in der nächsten Passage schon wieder zur Diskussion stellen kann. Diese kommunikative Tugend prägt Elke Erbs Texte durchweg. Hilfe bieten hierbei neben den erwähnten Begriffsbestimmungen auch die vorangegangenen bzw. nachfolgenden Gedichte und Prosavignetten, die eine Einheit und einen Zusammenhang stiften. [...]
[...] Für einen graduierten Philosophen, belesenen Mythologen und weitsichtigen Historiker, einen Leser mit einem Quäntchen Wissen über orientalische Glaubensrichtungen und Sagenerzählungen, guten Kenntnissen in Grimms Märchen – sowohl primär-, wie sekundärtextlich -, einer guten Informationsgrundlage zu christlichen Denkschemata und einem gehörigen Maß an Bildung und Kompetenz nicht zuletzt auf sprachwissenschaftlichem Gebiet ist die Lektüre ein Genuss.

Christine Scheiter: Abstrakte Wahrheiten. Elke Erbs sachverständiger Gefühlsunterricht. In: www. literaturkritik .de. 18.8.2001





Der Titel des Buches führt absichtsvoll in die Irre; denn was ist das für ein Sachverstand, der die Frage aufwirft: „Schneide ich etwa Feenfleisch aus/und lege es auf die Teller?, der bemerkt, „daß der Steiß,/während ich im Bett sitze und lese (...) Wurzeln zu schlagen trachtet“? Die Rechtschreibkontrolle meines Schreibprogramms moniert das „Feenfleisch“, schlägt als Alternative Feten- oder Femenfleisch vor; auch nicht schlecht. Es handelt sich also um „Poesie“. Der Literaturkritiker und Essayist Franz Schuh bekennt in seinem Buch Schreibkräfte: „Die Sehnsucht nach dem Nicht-Begrifflichen, die als das Poetische ausgestellt wird, teile ich nicht.“ Diese Art von Sehnsucht hat etwas Regressives, ist ein Plädoyer für den „Bauch“. Elke Erb wird eine solche Sehnsucht nach dem Poetischen gar nicht kennen; sie ist denkend und schreibend immer schon verstrickt in eine poetisch-anarchische Weltsicht. Sie treibt ihr Spiel aber so hemmungslos weit, bis in subjektivistische, gar privatsprachliche Gefilde, dass keine Gemütlichkeit aufkommen kann in dieser Poesie, dass alles beherrscht wird von einer großen Offenheit, auch Unberechenbarkeit.
Mit Sachverstand legt Elke Erb nach Mensch sein, nicht nun ihr zweites Buch bei Urs Engeler in Basel vor, Gedichte und kurze Prosastücke aus den Jahren 1996 - 99. Keiner der Texte umfasst mehr als sechs Seiten, die Grenze zwischen Lyrik und Prosa verschwimmt. Trug Mensch sein, nicht den Untertitel „Gedichte und andere Tagebuchnotizen“, so ist das tagebuchartig-skizzenhafte auch ein Kennzeichen des neuen Buches von Elke Erb. Alle Texte sind datiert, nehmen ihren Ausgang meist von einem punktuellen Ereignis, einem Gedankensplitter, sehr oft von einem visuellen Eindruck; nicht umsonst ist ein Text „Trinkt, oh Augen, was die Wimper hält“ überschrieben. „Ich höre nicht auf mich zu wundern”, schreibt Elke Erb. Da geht es z. B. um ein „Bild, hervorgerufen vom Anblick im Gras klumpenden Schnees”, da wird das Tragen eines Eimers über den Hof zu einer befremdlichen Szenerie verdichtet: „und im Rücken geistert irgendein Kuhstall”, der „Hilferuf” eines aus dem Nest gestürzten Vogels wird zur Chiffre für Katastrophen, weckt den „Hilfstrieb/in einem lesenden und schreibenden Menschen”. Häufig evozieren diese Naturbilder Erinnerungen an die Kindheit in der Eifel, wo die heute in Berlin lebende Elke Erb 1938 geboren wurde. „Er hat auf Blechbüchsen/geschossen im Urlaub. Warum?”, lesen wir etwa im Gedicht „Weihnachtsurlaub”: „Er hat uns drei kleinen Töchtern gezeigt,/wie das Gewehr funktioniert.” Mit wenigen Strichen, einer Skizze, in der von „Pfählen”, „Maschendraht” und „Waldhorizont” die Rede ist, wird ein weiter Assoziationsraum geöffnet.
Elke Erb verschreibt sich voll und ganz dem anarchischen Spiel der Assoziationen, nie sind die Bahnen ihrer Texte formal oder inhaltlich vorhersehbar. „Diese kleine Borsigstraße da unten” evoziert beispielsweise das Bild von „düsterer Stickluft”, von einem Arbeiter, der „etwas Schweres” rollt. In Wirklichkeit freilich ist die Luft dort frisch, „ein Blütenduft tanzte an”; dennoch: „Auf meinen Beinen aber zugleich schritt ein Arbeiter, als die Schlote der Industrialisierung rauchten (...)”. Man kommt aus dem Zitieren nicht mehr heraus, will man einen Eindruck dieser Texte vermitteln, die in ihrem radikalen Subjektivismus etwas Inkommensurables haben. Wie sagte Elke Erb einmal in der literaturWERKstatt, nachdem sie ein Gedicht vorgelesen hatte? ”Das müssen Sie jetzt so hinnehmen.”

Florian Neuner: Diese kleine Borsigstraße da unten. Neue Texte von Elke Erb. In: Scheinschlag 1/01





Wer von Lyrik ein diffuses Schwelgen in Gefühlen erwartet, ist bei Elke Erb an der falschen Adresse: „Sachverstand” heisst ihr jüngster Band mit Texten, die zwischen Lyrik und Kurzprosa oszillieren. Die Gattungsbezeichnung von Erbs letzter Veröffentlichung, „Mensch sein, nicht. Gedichte und andere Tagebuchnotizen” (1998), trifft auch den Sachverstand von „Sachverstand” genau. Das ist äusserlich schon daran zu erkennen, dass die zwischen 1996 und 1999 entstandenen Texte im Inhaltsverzeichnis jeweils mit ihrem Entstehungsdatum versehen sind. Im Lauf der Lektüre des hundertseitigen Bändchens wird überdies klar, dass die verdichtete Sprachform für Elke Erb zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Ob es sich um Verse oder einen Prosasatz handelt, immer ist das Alltägliche aufgehoben in einer komprimierten, von Rhythmus und Melodie diktierten Sprache. Wer sich diesem Rhythmus hingibt, wird von ihm getragen, der Bogen überspannt oft lange Perioden, über ein ganzes Gedicht hinweg weht dann ein einziger Atem. […]
Auch wenn bisweilen romantische Versatzstücke vorkommen: Erbs Texte tönen streng, scharf, hart, und in ihrem Inhalt sind sie entsprechend illusionslos. Mehrfach befasst sich die 62-jährige Dichterin mit dem Älterwerden, oder sie evoziert die Splitter einer Kinderzeit, in der ihr Vater im Krieg war. Wiederholt wird die Geschichte thematisiert, die Elke Erb seit 1949 auf der Ostseite des geteilten Deutschland erfuhr. Im Gedicht „Florieren” taucht die Gretchen-Frage der DDR-Intelligenz nach dem „Crimen” auf, „dass wir nicht weggegangen sind oder nicht Haft riskierten”. […]
Als Lyrikerin schreibt Erb das Politische dem Körper ein oder genauer: Sie mag die real existierende Verbindung nicht auflösen. Noch in den kühlsten Prosastücken ist Erbs Weltbezug lyrisch, wenn man darunter eine Diskursform versteht, in der das Diskursive mit unmittelbarer Körperlichkeit zusammenschiesst. Das macht die Texte manchmal sperrig, gibt ihnen aber zugleich eine Offenheit und Tiefe, wie sie das rein logische Reden nicht erreicht. Zwar sind auch Elke Erbs Gedichte auf Schritt und Tritt von (selbst-)reflexiven Spuren durchzogen, doch immer so, dass unsere Füsse keinen Halt finden. Die Kopfartistin macht Gedankensprünge, die gute Gelenke voraussetzen – im Wissen darum, dass das „Puzzle-Gebilde Sprache” sich immer nur lückenhaft entwerfen lässt.

Philipp Gut: Ein Ritt auf gläsernen Flügeln. In: Tagesanzeiger, 20. Februar 2001





Wem der Name Elke Erb vertraut ist, wird unter dem Titel „Sachverstand” nichts aus der Sachbuchabteilung erwarten, sondern Poesie - Poesie im weitesten Sinne dessen, was man mit Sprache anstellen kann. So verzichtet die Autorin völlig darauf, ihre poetischen Kurzwaren zu deklarieren. Auch der Leser tut gut daran, Scheidungen wie Gedicht, Aufzeichnung, Tagebuchnotiz zu ignorieren. „Sachverstand” ist eine Art Werkbuch: es enthält, chronologisch geordnet, Schreibresultate aus der Zeit von August 1996 bis August 1999.
Elke Erb, die seit den sechziger Jahren schreibt, liebt die Verbindung von Produktion und Reflexion. Ihr eilt der Ruf voraus, eine schwierige Autorin zu sein. Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn der Band enthält einige leicht zugängliche Texte, etwa die Beschreibung einer Bohnenernte, von der die Autorin „nach einem halben Jahrhundert noch jeden Eindruck” bewahrt. Oder das Gedicht „Weihnachtsurlaub” mit dem Erinnerungsbild des Vaters: „Er hat uns drei kleinen Töchtern gezeigt, / wie das Gewehr funktioniert.”
Andererseits gibt es Arbeiten, die auch nach mehrmaligem Lesen kryptisch wirken; entweder weil sie zu Hieroglyphen zusammengeschnurrt sind oder absichtsvoll um so viele Ecke laufen, daß man den Faden verliert. Ich schätze die dunkle Prägnanz von „Sinngerinnsel”: „Zur Rede gestellt / Umgelegt. // Brachte ja die Zähne nicht voneinander. / Und zwar füsiliert. // 'Eine Mauer des Schweigens.' / Rom.”
Welches Datum (im Sinne Celans) diesem Text zugrunde liegt, welcher Sinn hier schrumpfte, mag eine künftige Erb-Philologie ergründen. Vermutlich möchte der gegenwärtige Leser aber wissen, was es mit dem Titelwort „Sachverstand” auf sich hat. Der Anfang des gleichnamigen Textes sagt es klar und unverblümt: „Lange und stumpf zu tun haben mit den Sachen bringt den Sachverstand - das gewußt wie bringt ihn nicht.” Elke Erbs Texte sind nichts für routinierte Leser. Nichts für den schnellen Genuß. Man muß sich etwas „Sachverstand” erwerben; vielleicht also dies kleine, hübsch gemachte Buch.

Harald Hartung: Zur Rede gestellt, umgelegt. Schönes Sinngerinnsel: Elke Erbs Werkbuch „Sachverstand” In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Mai 2001




Der Leser widmet dem Dichter seine Zeit und bekommt von ihm eine andere Zeit zurück. Das Maß ihrer Sprachrechnung hat die Dichterin Elke Erb einmal so formuliert: „Es sei, wie es will, ich höre nicht auf, mich zu wundern.”
Am vergangenen Freitag bekam Elke Erb den von der Akademie der Künste alle zwei Jahre vergebenen F.-C.-Weiskopf-Preis verliehen. Der Preis, gestiftet von der Witwe des Schriftstellers und Kritikers, wird seit 1957 vergeben. Ihn erhielten seither unter anderen Viktor Klemperer, die Duden-Redaktion und zuletzt Detlef Opitz, der die Laudatio auf seine Nachfolgerin sprach.
Elke Erbs Werk könnte man als ununterbrochen geführte Zwiesprache bezeichnen - geführt mit allem, was die unversehrten, nämlich beanspruchten Sinne und die Augen berühren („Unschuld, du Licht meiner Augen” ist einer ihrer Buchtitel). Ihre Gedichte, Tagebuchnotizen, Kommentare, Gedankensplitter oder Denkketten graben keine zeitlich abgeschlossenen Einschnitte in den Fluß der Dinge, sind kein interpunktierendes Festhalten durch die Schrift. Ihr Dichten, mithin Verdichten, ist wie Ein- und Ausatmen „einfach entlang am Vorhandenen”. Das beschleunigende Karussell des Gebens und Nehmens, „wie ich einwirke, wirkt, was ist, auf mich ein”. Dichter, Freunde, Leser schätzen sie gerade ob dieser seltenen, stets Gedanken zündelnden, weitergereichten Gabe. „Dasz sie 1 grosze Phantasie Façon hat, wissen wir alle”, sagt, stellvertretend für alle, Friederike Mayröcker.
„Das Menschenlineal // ist aus Krummem zusammengestückelt” würde Elke Erb ergänzen – dieses Krumme, Abstruse, Hintersinnige ist das unerschöpfliche Material der Erbschen Dichtung, „für diese Schwingungen bin ich die Glocke”. Die Befähigung zur Aufnahme wie auch Weitergabe dieser Resonanz liegt im Andersdenken, wie Detlef Optiz in seiner Laudatio würdigte, präziser im anderen Denken, oder im Anderes denken. Was voraussetzt, daß man sich in Gegenrichtung bewegt. Und dadurch mitunter von Lesern, die sich der Arbeit des Gegendenkens entziehen, nicht nur miss-, sondern gar nicht verstanden wird - und das womöglich auch noch falsch, so Opitz.
Auf die einstige Frage von Christa Wolf, was mit der Hoffnung sei, antwortete Elke Erb bereits in ihrem 1978 erschienenen Band „Der Faden der Geduld”, dass sie keine brauche. Was nicht als Dünkel misszuverstehen, sondern eher als stille Zuversicht zu sehen ist: Einer Autorin, die die Finger an einen Stift wie an ein Essstäbchen legt, wie sie in einem ihrer Gedichte schreibt, und die vor der Sprache ein Gewissen besitzt, wie sie gesteht.

Cornelia Jentzsch: Das Gewissen vor der Sprache. Elke Erb hat den F.-C.-Weiskopf-Preis erhalten In: Berliner Zeitung, 26. April 1999




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