Pressestimmen zu Jayne-Ann Igel








Zu «Das Geschlecht der Häuser gebar mir fremde Orte»:

In der Nachbarschaft der anti-grammatischen Revolteure um Bert Papenfuß-Gorek oder Stefan Döring wirkte Igels Gedichtbuch wie ein Fremdkörper. Denn hier präsentierte sich kein neoexperimenteller Prenzelberger Dichter, sondern ein enthusiastischer Nachfahre des Romantikers Friedrich von Hardenberg und seiner «Hymnen an die Nacht». Der Traum, die nächtliche Phantasmagorie und die daraus geflochtenen Nachtgewächse aus Wunsch- und Schreckens-Bildern bildeten den Urstoff dieser Poesie. Die Bewegungsrichtung der Gedichte verlief seltsam ziellos und zirkulär: Der verästelte Weg dieser traumschweren Texte führte durch düstere Häuser, Wohnstätten, Kellerverliese – und nicht wenige Leser fühlten sich an die tellurischen Expeditionen und Unterwelt-Erkundungen Wolfgang Hilbigs erinnert. (Michael Braun, Freitag)



Zu «Unerlaubte Entfernung»:


In einer stark verdichteten, präzis beobachtenden Sprache, sorgfältig gesetzt wie ein Schritt nach dem anderen, wirkt die Erzählung wie ein erstes, vorsichtiges Aussprechen lange verschütteter Erinnerungen. (Sächsische Zeitung)

Lapidar und verknappt wird berichtet vom Dasein des unheldischen Außenseiters wider Willen in Zeiten des Klassenkampfes und der Ernteschlachten, vom Einzelnen, Vereinzelten, nahe der Vorlaufspur und doch immer daneben und gerade mal «gut» genug, um «beim morgenappell in der zweiten oder dritten reihe» zu stehen.
«Unerlaubte Entfernung», so der dem verquasten Sprachschatz der bewaffneten Organe aller Länder entlehnte Titel der bislang wohl gelungensten Prosaarbeit der Autorin, die sich mit diesem Text nach längerem Schweigen eindrucksvoll zurückmeldet, überzeugt vor allem durch erzählerische Intensität, eine (von lässlichen Schnitzern abgesehen) klare, nachhaltig bildhafte Sprache und durch die wohltuende völlige Abwesenheit von Larmoyanz, und sie sollte nicht als vordergründig politisch motivierte «Abrechnung», mit wem oder was auch immer, verstanden werden. (Li Lien, Sax.)

Eine exemplarische negative Bildungsgeschichte, die uns fortwährend der Möglichkeit der Selbstvergewisserung beraubt. Wir werden durch diesen Text hindurch gesiebt und aufmerksam gemacht auf unsere eigenen Ambivalenzen und Fremdheiten. Ein Verlust an Orientierung, der auf uns übergreifen, uns verwandeln kann. «Die Kunst zu straucheln», wäre das nicht eine neue Wendung, um den Blockaden durch die Wände der Realität zu entgehen?
Wir können von Glück sagen, daß wir solch eine seltene Träumerin des Textes und der eigenen Geschichte haben. (Rainer G. Schmidt, Saarländischer Rundfunk)

In langen, verschachtelten Sätzen passt sich der Roman den Suchbewegungen des jungen Mannes an, seine hypnotischen Wahrnehmungen drohen von allem und jedem verschluckt zu werden. Gleise, die immer tiefer in Endmoränenlandschaftsgemälde verschwinden oder zentrifugale Altstadtgässchen wirken auf einen Helden, der bei allen Bewegungen nach aussen immer noch weniger fremd in der Gesellschaft bleibt, als in seiner eigenen Haut. Negativer Tropismus lautet die Diagnose, mit stetem Schweißfluß vom ersten bis zum letzten Satz, ein nicht zu bändigendes inneres Gewässer und Gesicker begleitet das Ich, ein latente hormonelle Drüsenüberfunktion, Übergangszeit, zunehmend klebt es und schwitzt und fleckt. – Und schlägt man das Buch zu, glücklich den immer amorpher und teichiger werdenden Sätzen und Wahrnehmungen entronnen, dann ist da die Verwunderung, wie dieses federleichte 99-Seiten Büchlein eine solche maßlose Sogwirkung entfalten konnte. Ursächlich verantwortlich, möglicherweise, ist nicht nur der über Jahrzehnte gewachsene Sprachkosmos der Dichterin Jayne-Ann Igel, sondern dass die Erzählung «Unerlaubte Entfernung» mit allen Poren von etwas spricht, das er verschweigt. (Bernd Kempker, WDR3)



Zu «Traumwache»:


Gläsern, spröde, kristallin. (Katrin Ernst, Leipziger Volkszeitung)

«… schlafwandler, traumwandler – ich denke dabei nicht so sehr an ein personifiziertes ich als vielmehr an jene inneren entwicklungen, prozesse, die im schlaf, im traum ihre wirkungsstätte, ihren katalysator finden, in der umwandlung, übertragung von realitäten in eine andere qualität, erscheinungsweise, in ein anderes beziehungs- und zeichengefüge, eine andere gesetzlichkeit; ich habe das bild eines umspannwerkes vor augen …» Dieses Bild erklärt vielleicht das bezaubernd Uneitle dieser Texte, das angenehm unspektakuläre, aber ausgesprochen feine Vokabular, die Genauigkeit des Ausdrucks. Um ein Vorstellungsbild der Textform zu geben, könnte ich sie Prosaminiaturen nennen, aber das trifft es nicht wirklich. Denn die einzelnen Texte sind nicht um poetische Formen bemüht, wenngleich ihre Sprache so genau und so gewählt erscheint wie die eines guten Gedichts. Man findet kaum einen schwachen Moment in der Sprache, wo die Worte sich einem naheliegenden Spiel oder Witz hingeben. Diese Sprache erlaubt sich keine Spirenzchen auf Kosten dessen, was gesagt werden soll. Die Bilder sind unglaublich genau und diszipliniert. Ja, die Verbindlichkeit der Bilder ist verblüffend. Und die Bildführung, der man sich als LeserIn anvertrauen kann. Es sind kurze Prosatexte, jäh einsetzend und auslaufend in Punkten, die signalisieren, daß es immer weitergeht mit diesem Sprechen, weiter und weiter, als wären sie Teil eines fortwährenden Nachdenkens, Nachträumens und in-Erinnerung-Rufens. (Freies Radio Hamburg)

Ein herrliches Buch für die Sommerwiese, es trägt fort, bis man den Boden unter den Boden zu verlieren scheint. Eine feine, zarte Welt, ein mildes, wundervolles Buch. (Frank Willmann, Weltexpress)

In der offenen, mäandernden Struktur der Traumwache wird uns buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen. Jayne-Ann Igel zeigt eindrucksvoll, dass ein modernes poetisches Bewusstsein keinesfalls einem «relevanten Realismus» gehorchen muss, um unser Bewusstsein herauszufordern. Eine hellwache Traumwandlerin genügt. Wenn dereinst die Forderung Walter Benjamins aus seinem Surrealismus-Aufsatz eingelöst und die Geschichte des Traums geschrieben wird, wird man sich auch der lyrischen Prosa Jayne-Ann Igels erinnern müssen. (Michael Braun, Frankfurter Rundschau)

Igel verzichtet auf jede aparte Poetisierung, jede überflüssige metaphorische oder wortspielerische Ornamentik, und diese Sparsamkeit lässt die bildhaften Entdeckungen umso stärker hervortreten – das stillgelegte Wartehäuschen am Rand endloser Agrarflächen etwa oder das «traumjobangebot» eines nächtlichen Postverteilers, das unversehens zur Beschreibung des eigenen, originären Tuns wird: ohne Auftrag und Empfänger Sendungen, Träume und Reflexionen zu verteilen. Mit tastenden Umschreibungen und variierenden Aufzählungen nähert sich Igels vorsichtige Sprache einer schon immer verlorenen Heimat. Insofern haben wir es in diesen jedem Spiel abholden, zäh forschenden, strikt enthaltsamen Sehnsuchtstexten mit einer eminent deutschen, ernsten Poesie zu tun, in der die Märchen von Auszug, Wanderung und Rückkehr ihre (un)heimlichen Blüten treiben. (Dorothea Dieckmann, Neue Zürcher Zeitung)

Es sind verschiedene Ich-Instanzen und Zeit-Schichten, die hier ineinander fließen, ein personifizierbares, autobiographisches Subjekt wird bewusst aufgelöst in der poetisch-fließenden Textbewegung. Dabei gelingen Jayne-Ann Igel intensive und düstere Bilder einer planetarischen Verheerung in Industriebrachen und Abraumhalden, in denen der alles zermahlende Sand seine Formationen von Staub über die Landschaften des Ostens legt. So gewährt die «Traumwache» nicht nur verstörende Einblicke in die Kellerverliese der Kindheit, sondern auch auf eine pulverisierte Welt, deren «irdener Rücken zu Staub zerrieben ist». Hier werden Verluste bilanziert, die über die individuelle Biografie der Träumerin und Erzählerin weit hinausreichen. In der offenen, mäandernden Struktur der Traumwache wird uns buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen. Jayne-Ann Igel zeigt eindrucksvoll, dass sich modernes Erzählen keinesfalls vor dem vielfach geforderten Tribunal eines «relevanten Realismus» verantworten muss, um unsere Wirklichkeit zu erreichen. Eine hellwache Träumerin genügt. (Michael Braun, Freitag)



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