Pressestimmen zu Jürg Laederach





Über: «Im Verlaufe einer langen Erinnerung» (1977)

Die Trauer über das unwiderruflich verlorene Paradies des Erzählens, in dem wie in den Abenteuerromanen Jules Vernes das Wirkliche ein Aufstieg zum Imaginären wäre und die Sprache ein verschwenderischer Leibgeber, diese Trauer färbt die hinreissende Komik Laederachs und verwandelt die Reise Keeners ins Innere der Welt in einen Austreibungsvorgang, der Luft, Licht, Welt, Leben und die Figuren aus den Sinngebieten realistischen Erzählens zurückholt in die pure Sprache. «Im Verlauf einer langen Erinnerung» ist rückwärts, vom Schlusswort «Nichts» gelesen, die Umkehrung des Romans als Spielart des universalistischen Schöpfungsberichts. (Sibylle Cramer, Neue Zürcher Zeitung)


Zu Jürg Laederach allgemein:

Laederach entfaltet Anlässe, Umrisse, Funktionsformeln, Spielpläne, Dominosteine nach Art des japanischen Nô-Theaters, in der Brettkunstmanier Karl Valentins und in Becketts Endspielform, wobei Stoff und Methode einander unter Gelächter analysieren und methodisch blossstellen. Die dramatische Werkstatt ist Teil der Bühne und verbreitet die nötige herzlose Geschäftsmässigkeit im Dialog mit der haarsträubend verkehrten Welt auf der Spielfläche, wo leibhafte Menschen in geregelten Zuständen den Umtausch des Lebendigen ins Mechanische vollführen. Wiederholungstechniken, Kanon, Refrain, Reprise, Variation, Umkehrung, Überlagerung, Rotation, Steigerungsformen, vor allem aber Schwundformen sind die erzählerischen und dramatischen Gangarten des Minimalisten. […] Der Selbstabdruck des Autors als Triebtäter des Worts ist der psychologische Rest, den der Text in sich aufnimmt, eine (wirklichkeits-)beweiskräftige Kennmarke aller seiner Texte. Auf den Spuren Robert Walsers schreibt Jürg Laederach die Geschichte der Moderne in der Schweizer Literatur fort.» […] Walsers selbstnegatorische Mikrographie wandelt sich in Laederachs «Neomaschine», abgeleitet von Nähmaschine und umgemünzt auf seinen PC, in einen intensiven Reinigungsakt, der die subjektiven Schreibimpulse in eine allgemeine Innerlichkeitsform übersetzt. Übrig bleibt das Gelächter über die Tarnmanöver. Ahnbar sind Galle, Not, Verzweiflung über die Ausdruckssperre, die verhängt ist, wenn die erzählerische Wirklichkeit die Sprache selbst ist. (Sibylle Cramer, Neue Zürcher Zeitung)


Über: «In Hackensack»

Der Chaosforscher ist wieder da: Es gibt doch ein Leben nach Suhrkamp. Der Schweizer Altmeister Jürg Laederach meldet sich auf der literarischen Bühne zurück, in dem er uns vier «minimale Stücke» präsentiert. Was das sein soll? Nun denn, Stücke sind nichts Ganzes, die Figuren dieser Einakter sind folglich keine Individuen, sondern ganz entschiedene Dividuen: teilbar mehr denn mitteilbar. Und minimal sind die Stücke, weil im Grunde immer nur eine Stimme spricht, zudem über sich selbst, über ihr Sprechen, das sich dividuiert. […]
Laederach erzählt nicht, er «entzählt», und das tut er auch, wenn er seine «verknoteten Reden» auslagert aus seinem gewohnten Prosa-Ich und sie Bühnenfiguren in Kopf und Mund legt. Ich ist ein anderer, so lernten wir früher einmal, aber nein, ich sind in Wahrheit viele; ob sie wirklich anders sind, ist freilich die Frage. Das Ich hat weiter nichts zu sagen als: Ich bin ich, ich bin ich als ich, ich spreche hier als viele Ichs. Laederach rächt sich als Laederach (das ist womöglich seine Dysfunktion), er weigert sich, etwas auszusagen, indem er etwas sagt (diese Weigerung ist seine Funktion). Der Sprechakt des minimalistischen Plapperers muss sich darauf beschränken, vom Sprechen zu sprechen, einem Sprechen, das alles negiert, wovon es spricht.
Übrig bleiben Sätze nicht etwa ohne Sinn und Verstand, denn sie referieren stets eindeutig auf Welt, aber diese Referenz kippt die referierte Welt stets in Aberwitz. «Der Bürger muss in die bauliche Frage rein» – das ist so ein Satz. Die stumme Nellie, erfahren wir von Thelonious, ist «die tüchtigste zuverlässigste Arbeiterin, die ich kenne, aber müsste ich genau sagen, was sie arbeitet, käme ich in Verlegenheit». Bei Laederach sind wir pausenlos in solch herrlicher Verlegenheit. (Friedhelm Rathjen, Die Zeit)



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