Michael Donhauser

Prosagedichte




Die Prosagedichte, die ich geschrieben habe, müsste ich sie Epen nennen, wäre dieser Begriff nicht untrennbar verbunden mit der Erzählung von Taten? Denn sie entfalten erzählend, beschreibend, wiederholend das Epos, welches in einem Augenblick als Auslöser je angelegt ist. Sie geben den Dingen jene Dauer, worin Festhalten und Loslassen ineinsfallen mit einem Zeigen, Aufzeichnen, Erinnern. Der Doppelpunkt, welcher die Gedichtzeilen oft teilt, lässt diese dem Hexameter, dem Vers der griechischen Epen, gleichen. Doch die Gedichte sind insofern in Prosa, als ihre Zeilen prosus, «nach vorwärts gewendet», sind und sich nicht wiederum wenden, um als Verse zu mäandern. Denn fast jede der Zeilen endet mit einem Punkt, und so wird oder soll diese jene Einsinnigkeit oder Eigensinnigkeit deutlich gemacht werden. Denn ich beginne immer wieder, mit jeder Zeile, jede Zeile ist ein Strich, wenn auch oft von einer Zäsur geknickt, ist ein bit, eine Einheit, nach welcher die Sprache stockt, um zu hören, auf das Gesagte, auf die Bestätigung durch das Gegenüber. Ich habe diese Form als Art, zu sprechen und wie brummend zu hören, bei den Bantu-Sprachen beobachtet. Es ist, als bestätigte der Zuhörer nach jeder Einheit dem Sprecher mit einem kurzen Brummen seine Gegenwart und, dass er das Gesagte aufgenommen hat. Ähnlich verfährt der Zeichner, welcher sich aufschauend immer wieder vergewissert, dass er die Verbindung zum Gegenüber nicht verloren hat. Ähnlich bin ich vorgegangen oder vorwärtsgegangen, immer wieder in Richtung des Dings. Es ist mir um etwas jenseits des lyrischen Automatismus in Form eines sich selbst produzierenden Textes gegangen: um eine Richtung als Sinn. Das Lesen soll ein Nachvollzug dieser Arbeitsweise sein, und also ist der Punkt am Ende fast jeder Zeile eine Regieanweisung für die Inszenierung, welche die Lektüre ist. Der Punkt verlangt ein Stocken, Unterbrechen. Dieses Stocken trennt und verbindet, die Stimme sinkt, sickert, kokettiert nicht mit einem Unsagbaren, hört zurück. Es gibt die Bedeutung nicht, die über das Zeilenende hinauslappt oder im Schatten der Zeile nachschwingt als trächtige Stille. Zeile für Zeile bestätigt die Stimme das Gesagte, indem sie es abschliesst und gleichsam aufschaut, auch wenn sich ein Satz über mehrere Zeilen fortsetzt. Der Punkt ist also ein Teil der Notation, der Umsetzung von einem Sprachgestus in Schrift und Satzzeichen. Durch diesen Sprachgestus unterscheiden sich die Prosagedichte, die ich geschrieben habe, vom Vers der Lyrik wie auch von einer gegenüber dem Zeilenende annähernd indifferenten Prosa. Doch dieser Sprachgestus ist nicht durchgängig oder ungebrochen: die Prosagedichte sind mehrstimmig, sind als epische wohl erzählend, beschreibend, wiederholend, sind aber ebenso reflektierend, kommentierend, pathetisch als Anrufung, skizzenhaft. Es ist ein transzendierendes Grübeln. Die Vereinigung des so Verschiedenartigen ist, wechselnd in der Tönung, ihr Ton. Hat eine Stimme ihn verloren, habe ich sie in Klammern gesetzt, um sie so verhaltener sprechen zu lassen. Auch die Klammern sind also ein Teil der Notation, wobei die Kriterien der Klammersetzung nicht feststehen: sie wechseln wie der Ton von Gedicht zu Gedicht, mit der Neigung, die erzählende Stimme aus den Klammern zu entlassen. Denn alles Sprechen träumt den See.



(aus: Michael Donhauser: Aprikosen, in: ZdZ Heft 6)




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