Heinz Schafroth Die Grundlosigkeit der Dinge Anmerkung zu Michael Donhauser, Ernst-Jandl-Preis für Lyrik 2005 Da war, zu Beginn meines Vorhabens, sogleich ein Gedicht aus dem Zyklus «Sarganserland». Eine betörend, verstörend träumerische, wenn nicht schläfrige Sequenz von Kürzestversen, deren letzter und lapidarster nur noch aus dem Wort «Tod» bestand. Aber bevor ich aufbegehren konnte gegen die Diskriminierung des Donhauser’schen Todes durch dieses «nur» und während ich nachzudenken begann über das Geheimnis der in diesen Versen vergehenden Zeit, hatte sich schon, mit einem Male, ungerufen und unverstanden der Titel meiner geplanten – wie soll man sie nennen? Mini-Abhandlung in meinem Kopf festgesetzt. Und war nicht mehr zu vertreiben, gab sich geheimnistuerisch aus als einziger Schlüssel zu Donhausers poetischem Werk. Obwohl dieses sich unterdessen durch ein anderes, auch unauffällig andersgeartetes Gedicht vertreten wissen wollte. Anverloren einem Sagen Schotterränder wir verwahren Los und leise Horizonte Bahnhofsbänke unter Wolken Fahrradständer Wäschestangen rothell glänzen Pferdeflanken Es war nicht schwer einzusehen, warum meine Aufmerksamkeit übergelaufen war zu diesem neuen, womöglich noch versonneneren Gedicht. Der Grund war das Entzücken darüber, wie «los» (überhaupt nicht kompakt also) und «leise» sich Pathos und Schönheit (Erlesenheit) hier in die poetische Rede vorwagen, wie sie sich in der Folge auflösen in einem Wechselspiel von Nähe und Weite, Nüchternheit und Glanz, Gegenständlichkeit und Überhöhung. Noch nicht geklärt schien, warum der Titel nicht aus meinem Kopf zu vertreiben war. Ein Donhauser-Satzbeginn, aus dem letzten, dem Prosa-Zyklus des Bandes «Sarganserland», half weiter. «Die bläulichen Bäume, keine These, kein Thema (…)»: das ließ sich weiterdenken, auf meinen hartnäckigen Titel zu. Keine These, kein Thema – keine Begründung, keine kausalen Zusammenhänge der Dinge, bei Donhauser. Alle haben sie ihre eigene Biographie und Epiphanie, sie zeigen und verlieren sich wie in eigener Regie, nicht inszeniert oder arrangiert von einem jederzeit über den Dingen stehenden Autor. Aber damit war erst die eine Bedeutung der Grundlosigkeit erschlossen. Die andere, vielleicht konkretere bezeichnet den langen Weg in die Tiefe der Lautlosigkeit, der sich hinter den Dingen schier endlos erstreckt, ohne je auf festem Grund anzulangen, auch da nicht, wo die Wörter ihn zu bezeichnen scheinen. Die vier schweren Substantive z. B., Schotterränder, Bahnhofsbänke, Fahrradständer und Wäschestangen, könnten einander nahe genug stehen, um ein tragfähiges, engmaschiges Netz für die Assoziation Bahnhof, Bahnhofsgelände zu knüpfen. Aber es gibt keine Zeugen, die sie bestätigen würden. So dass der Eindruck der Tragfähigkeit schon im Schlussbild sich wieder verflüchtigt und erneut, buchstäblich einzig und allein, ein bald schläfriger, bald hellwacher Flaneur von Wort zu Wort, von Wahrnehmung zu Wahrnehmung in den Gedichten Donhausers unterwegs ist und sich nirgends endgültig festhalten und behaften lässt, ob Wahrnehmung und Wort nun «Pferdeflanken» oder «Tod» heißen. Nicht umsonst verweigert der Autor den Gedichten in «Sarganserland» neben allen sonstigen Satzzeichen auch noch den abschließenden Punkt. |