Birgit Kempker

Stimmen hören



Stimmen hören ist vor der Stimme. Die Stimme ist grob. Sie ist geborgt. Von den Geistern. Sie ähnelt dem Körper, damit er sie erkennt. Nun, Sie wissen ja, dass Erkennen Liebe ist.
In eine Stimme kann ein Körper hineingeborgen sein. Das Fleisch schmeisst sich in die Seele. Menschen beginnen so. Dann schreien sie. Als die Menschen noch im Körper waren, hörten sie Stimmen und das war das Gegenteil von Stimmen hören und der Beginn.
Stimmen hören heisst: der Körper ist weg. Der Körper wird vermisst. Der Körper fehlt sehr laut. Der Körper heisst immer: der andere Körper. Dann heisst der Körper: ich. Heissen heisst: Stimme hören. Stimmen hören heisst: einen Körper haben und ein Körper ist weg. Stimmen hören ist eine zweischneidige Sache. Die Stimme verkörpert den Riss.
Stimmen hören ist eine Übergangssache, eine Entleibungssituation, ein Entliebungsversuch, also ein Desaster und eine Disziplin: Sternenordnung und in diesem Sinn in dieser Welt bestimmt, das heisst: verloren.
Stimmen hören heisst: der Faden ist gerissen. Der Pfad ist verlassen. Stimmen hören heisst: du hörst Stimmen, die niemand hört, du bist Niemand, du bist ausser dir, du bist auf einer Reise, doch du bist nicht weg, du bist im Zwischenreich.
Stimmen hören heisst: du bist ausgestreut. Du bist eine Art Firmament. Eine Art Asche. Stimmen hören heisst nie: du bist im Kokon. Stimmen hören ist das Signal für den Körper: komm wieder, komm!
Es kann sich ein Körper, obwohl er am Tisch sitzt, selbst verlassen. Stimmen hören heisst: Verlassenheit. Verlassenheit hören heisst: mit Rückholband. Mit Echo im Gebirge.
Die Stimme ist die Brücke zwischen Stoff und Unstoff. Das ist ein Bild. Ein Unsinn. Bilder sind grob. Unterscheidungen sind grob. Auch grob ist ein Bild und Stoff ist ein Bild und Unstoff. Don't cut your stuff, sagt Pound. Er sagt: zersäbel dir nicht den Rhythmus. Verlier den Atem nicht. Er spricht vom Gedicht. Das Metrum. Die Matrix. Das Fleisch. Schnitt und Vorstellung. Der Vater, der Sohn, der heilige Geist. Dann die Mutter. Einmal drei macht vier. Schlausein nützt nichts hier. Hier nützen keine Ellipsen. Dich birgt kein Oval.
Stimmen hören heisst: besprochen werden. Du wirst besprochen. Hörst du das? Sprechen ist Berühren. Berühren ist: einen Körper haben. Stimmen hören heisst: du bist nicht von Geistern verlassen.
Es gibt diese Art zurückzukehren: du verkörperst sie. Verkörper die Geister, das heisst Stimmen hören: spute dich. Verkörper im Verkörperns ganz en passent dich, und zieh damit andere Körper an, und rein in diese Passage, die andere Geister verkörpern und sich. Es ist nicht zu trennen. Noch ein Tunnel öffnet sich. Der Kehlkopf brennt. Don´t cut your stuff. Trenn nicht vom Körper den Kopf. Du baust dir mit deiner Stimme ein Haus. Oh wie grob. Ja du bist grob. Du bist wunderbar grob. Du liebst es grob unter Groben zu sein. Es heisst: ohne Liebe nützt die Stimme nicht.
Stimmen hören heisst: die Liebe nutzen und wenn sie nicht da ist, dann nässe sie. Die Liebe nässen heisst: heule mit dem Wolf. Vor dem Mund liegt der Mond.


(Aus: Übung im Ertrinken / Iwan steht auf)