Volker Strebel

Warum nicht ausdrücken wagen

Mit hervorragend übersetzten Notizen von Francis Ponge kommt ein bewährter Magier zu Wort



literaturkritik.de, August 2006

Gleich vorneweg sei auf die vorzügliche Aufbereitung dieser Ausgabe hingewiesen. Neben der Zweisprachigkeit der Texte ergänzt der Übersetzer Thomas Schestag seinen umfangreichen Kommentar mit einem nicht weniger üppigen Essay. Zusätzlich hervorzuheben ist indes ein hervorragendes Dossier im Faksimile, welches ein Drittel dieser Ausgabe einnimmt. In Farbe sind die Handschriften und Notizen auf Blättern, aber auch Niederschriften mit der Schreibmaschine festgehalten – ein ebenso begrüßenswertes wie ungewöhnliches Verfahren, welches nur durch engagierte Verlage geleistet werden kann.

Der Einblick in die Handschriften von Francis Ponge verdeutlicht seinen Stil des Nachdenkens und sich Heranarbeitens an seine Themen. Keine lineare Durchgängigkeit ist hier bestimmend; kein besserwisserisches Programm wird gespielt. Zögernd nähert sich Ponge seiner Idee und weiß, dass sich der Text schreibt – und nicht etwa er ihn! Nach ausgiebiger Betrachtung und langem Nachdenken beginnt er zu schreiben, «ohne zu wissen was». Eindrucksvoll hatte er einst in seinem Notizenbündel «Schreibpraktiken oder Die stetige Unfertigkeit» über das Wesen schreibender Beobachtung wie beobachtenden Schreibens Einblicke gewährt.

Können Blumen ein Thema bilden? Ohne Zweifel regen pflanzliche Organismen wie Tulpen, Klatschmohn oder der Eukalyptusbaum die vorliegenden Betrachtungen an: «Was mich am Eukalyptus heimsucht, sind die kleinen Halbmonde, silbrig und rissig, die etwas von beiden haben, von Fisch und Blatt, von Chinchilla-Feder und ÐMesserð (einer Muschelschale), von getrockneter Alge und den angeklebten Haar- oder Schmachtlocken der Josephine Baker». Francis Ponge ergibt sich widerstandslos der Sinnlichkeit seiner Wahrnehmung und gerät somit in eine ganz neue Wirklichkeit. Es entstehen unvermittelte Bilder, Fragmente und Zustände; es ist, als krieche Ponge in die Dinge hinein. In einer eigenartigen und vereinnahmenden Weise ergibt er sich in seinem schreibenden Meditieren ganz der Hinwendung der Pflanzen, oder besser, dem sie umgebenden Zauber, um sich einsaugen zu lassen von deren Eigenheiten. Kreisend nähert sich Ponge dieser Welt in einer Mischung von Einfühlung und Beschreibung: «Der Stamm des Eukalyptus steigt mit einer Regung zum Himmel auf, die einer schraubgewundenen Franse Rauch aus einem bei Windstille angezündeten Haufen feuchter Blätter gleicht».

Ponge ist sich bewusst, dass er die Dinge nicht auf einen Nenner zu bringen vermag. Umso subtiler gestalten sich seine Pfade, sich den betrachteten Phänomenen zu nähern. Das mimetische Abbild lässt Ponge hinter sich: «Gewiß, der Eukalyptus hielte nichts davon, daß man sich über seiner Beschreibung lange aufhält. Ein Ton des Überdrusses, der Ernüchterung ist ihm gemäß. Wächst irgendwie Ðins Blaueð, dennoch ÐGroße aufsteigende Kraftð». In ähnlicher Weise hatte sich Ponge neben Orten seiner südfranzösischen Heimat mit verschiedensten Erscheinungsformen beschäftigt, die allesamt zu eindrücklichen Texten geronnen sind: «Einführung in den Kieselstein», «Das Notizbuch vom Kiefernwald und La Mounine», «Kleine Suite de Vivarais» oder «Die Seife». Bedeutende Übersetzer und Schriftsteller wie Gerd Henniger, Felix Philipp Ingold und Peter Handke haben sich mit seinen Texten beschäftigt. Francis Ponge (1899-1988) war während des Zweiten Weltkriegs in der französischen Resistance tätig. Umso erstaunlicher ist, dass sich im vorliegenden Band «Änderungen der Ansichten über Blumen» die Notizen über den Zeitraum von vor 1925 bis 1954 erstrecken, seine Betrachtungen also die Jahre des Kriegs überdauerten. Freilich, den entscheidenden Spiralblock, dessen Teile auch im Faksimile dokumentiert werden, hatte Ponge erst im Jahr 1954 angelegt.

Es irritiert etwas, dass die äußerst akkurate und souveräne Kommentierung der Gedichte sowie ein zusätzlicher Essay des Übersetzers vor dem Hintergrund der übersetzten Texte überhand zu nehmen drohen. Andererseits wird jene elektrische Spannung belegt, wenn poetische Dichte auf einen gelehrten Charakter stößt. Thomas Schestag hat jahrelang neben seiner umfangreichen Übersetzertätigkeit im universitären Betrieb als Dozent für deutsche Literatur und Literaturtheorie gewirkt.

Francis Ponge vermag Leser zu bannen; in seinen subtilen Brechungen erweist er sich als ein Meister der psychologischen Sinnlichkeit.



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