Michael Donhauser im Gespräch

Natur feiern

Gespräch mit Cornelius Hell zur Verleihung des Ernst-Jandl-Preises 2005, erschienen in «Die Furche» vom 16.6.05


Herr Donhauser, Ihre Lyrik unterscheidet sich sehr von der Jandls. Was bedeutet Ihnen Ernst Jandl und einen Preis zu bekommen, der seinen Namen trägt?
Ernst Jandl war für mich zuerst einmal ein Sprachphänomen mündlicher Art – ich habe ihn mehrfach gehört, als Student schon in Wien. Wie ich erfahren habe, dass mir der Preis zuerkannt wurde, habe ich ihn wieder gelesen. Mein Lieblings-Jandl-Buch war und bleibt «Der gelbe Hund». Was mir an Jandl immer gefallen hat, ist, dass er nicht «rein» war – es ging ihm nicht um eine autonome Poesie. Er ist nur bedingt auf relevante Themen eingegangen. Er hat sein eigenes Universum kreiert, das dann doch immer stärker in die eigene Befindlichkeit rückt. Das hat sicher auch mit dem Alter und dem körperlichen Nachlassen zu tun. Das ist aber etwas, was wieder eine Differenz schafft zwischen uns, da es mir immer um Welt-Außenwahrnehmung geht.

Jandl war doch ein Formen-Zertrümmerer, der mit Traditionen dekonstruktiv umgegangen ist, während Sie eher Formen suchen oder an Traditionen anschließen. Ich denke, dass mein Umgang eher eine Umformung ist als eine Zerstörung, Zersplitterung der Sprache. Mein auf Anhieb erfolgreichster Gedichtband ist 1991 erschienen: «Dich noch und». Und es ist bezeichnend, dass das der band ist, wo ich am nächsten einem Sprachstottern – Zerstückeln kann man bei mir nicht sagen – gekommen bin. Allerdings ist das Element, das die Brüche dort schafft, das Wort «und» – es ist wie ein Trommelschlag dazwischen. Und gleichzeitig ist dieses Wort eben als Konjunktion ein verbindendes Wort. Also dieses Paradox, dass ein Wort, das verbindet, bricht, ist vielleicht bezeichnend für meine Art, eben nicht zu brechen mit der Sprache. Ich habe mir als Erklärung dafür gedacht, dass die deutsche Sprache als Schriftsprache für mich ja die erste Fremdsprache ist. Ich habe sie in der Volksschule gelernt. Es ist nicht die Sprache, mit der ich gezüchtigt, erzogen oder gedemütigt wurde. Die deutsche Sprache ist für mich von Anfang an eine Kunstsprache. Das trifft in geringerem Maß vielleicht für die Österreicher auch zu. In meinem Fall war es der alemannische Dialekt. Und dass man etwas, was man so erlernt hat, eben nicht leicht zerstört. Andrerseits sind das aber auch Temperamentfragen, sind das Erfahrungen. Ich kommen nicht aus der Generation von Jandl. Er hat sicher auch andere geschichtliche Erfahrungen gemacht.

Heute wird die sprachkritische Avantgarde oft für tot erklärt. Wie sehen Sie das? Dass man 20 Jahre zerstört hat und jetzt die nächste Phase kommt, wo wieder sozusagen heile Sprache geschrieben wird, daran kann ich nicht glauben. Es gibt zwar bei mir eine Art Gegenbewegung, aber die möchte ich nicht als Ausschluss dieser Tradition verstehen, sondern ich habe mich daraus auch stark genährt. Auch etwas überwinden heißt ja, es stark in sich aufgenommen zu haben.

Sie werden gelegentlich als Naturlyriker bezeichnet. Das ist zwar ein Begriff mit einer problematischen Tradition, aber nur als Schimpfwort sehen Sie ihn auch nicht. Nein. Wenn ich sage, dass ich Naturlyrik schreibe, habe ich sofort den Eindruck, dass ich mich in ein Missverständnis begebe. Man begegnet dann einem verhohlenen Desinteresse – oder einer missverständlichen Begeisterung. Ich habe kein sentimentales Naturverständnis. Aber einen Zug gibt es sehr wohl: einen feierlichen Zugang zur Natur. Tatsächlich gab es bei mir anfänglich einen starken Impuls einer Bajahung. Den konnte ich am ehesten verwirklichen, indem ich mich in die Nähe der Natur, also in den Garten, in den Gastgarten gesetzt habe, wo ich dann mit den Jahreszeiten auch gelebt habe. Ich bin sozusagen eine Art «Freiluftdichter». Ich habe nicht die Situation, dass ich mich im Zimmer einsperre und dann nicht weiter weiß oder imaginierte Natur schreibe. Dieses Berührt-Werden, dieses Moment der Störung auch, das ist für mich sehr wichtig.

Der Gang in die Natur war ja schon einmal ein großer Aufschwung für die deutschsprachige Lyrik – im Sturm und Drang. Das war damals in meinen Augen schon ein Versuch, dem Gott-Verlust zu begegnen – Gott wieder erfahrbar zu machen, vermittelt durch die Natur. Auf so eine Weise Natur zu erleben, ist für mich nur noch spurenhaft möglich. Es gibt dieses Aufbrechen, und tatsächlich hat ein Gedicht oft den Charakter eines Gebets. Es bittet etwas in eine Präsenz, und durch das Gebet ist es dann auch shcon präsent. Das ist eine Bewegung, wo Wunsch und Erfüllung in eins zusammenwachsen. Diesen Moment gibt es bei mir. Aber wenn das frömmelnd wird, mache ich sofort wieder die Türe zu und sage: Nein, das ist ein Missverständnis.

Feiern Sie die Natur auch deswegen, weil sie auf dem Rückzug gegenüber der Zivilisation ist, immer mehr verbaut und zerstört wird? Der Rückzug der Natur – ich weiß nicht. Ich glaube, die Erfahrbarkeit der Natur ist verloren gegangen, nicht die Natur. Es ist doch abstrus, dass jemandem, der weiß, wie ein Holunder aussieht, eine Kastanie, ein Nussbaum oder ein Sommerflieder, schon wissenschafliche Kenntnisse unterstellt werden. Das zeigt ja nicht, dass die Natur nicht da ist, sondern dass nicht einmal eine Nähe in Form eines Namen-Kennens da ist. Das hat mich am meisten erstaunt in der Begegnung mit meiner Lyrik: Wie schnell man da Wissenschaftlichkeit unterstellt bekommt. Oder Dolden – ich weiß nicht, ob das schon ein Fachwort ist; ich hab dieses Wort sehr gerne aufgenommen.

Die bekannte Brecht-Zeile «Die Natur sah ich ohne Geduld» ist wohl das Gegenprogramm zu Ihrem Verfahren. Für Sie ist Geduld, Zeit-Haben, Schauen und das auch zu vermitteln doch wichtig. Im Band «Vom Sehen» gibt es einen Aufsatz zu Stifter, wo ich mich explizit gegen diese Gegenüberstellung von Schnell und Langsam äußere und sage: Das Konzept ist das einer Allmählichkeit. In der Allmählichkeit ist auch inbegriffen, dass man sich einmal beeilt, und dass man Zeit hat. Das ist ein anderer Rhythmus. Wenn man die Langsamkeit propagiert, das bleibt mit zu abhängig vom Gegenteil. Und die Langsamkeit und das genaue Beobachten führt in meinen Augen zu einem Detailrealismus, der mir eigentlich fremd ist. Es bleibt immer eine Bewegung, auch im Langsamen, es ist nicht ein Verharren vor dem Ding. Es gibt ungeduldige Elemente in mir, und es gibt geduldige. Am geduldigsten bin ich sicher in der Arbeit mit der Sprache, aber weniger im Schauen.

Die Lyrik war früher Königsdisziplin, wie im slawischen oder im ungarischen Raum noch heute, aber bei uns ist sie zweifellos im Rückzug; sie findet in öffentlichen Debatten kaum statt. Hat das existentielle Konsequenzen für einen Lyriker? Das ist ein Verlust, der wahrscheinlich mit dem heutigen Mensch-Sein zu tun hat und nicht einfach eine Bösartigkeit von einzelnen, die Kunst unterdrücken oder was immer. In welcher Weise man dann darüber klagt, ist eine andere Sache. Das Klagen ist mir irgendwie vergangen. Ich lebe in dem Universum, das ich mir geschaffen habe – für mich mit einer Richtigkeit, die mir sonst wahrscheinlich schwer möglich wäre. Inwieweit das aufgenommen, rezipiert wird und auch ansteckend ist, das liegt außerhalb meines Denkens und Könnens.




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