Samuel Moser

Epopöe der Räume – Sehen lernen mit Michael Donhauser



Vom Jazzpianisten Thelonius Monk stammt das Diktum, das Wichtigste sei, was man nicht spiele. Einen ähnlichen Sinn für Raum besitzt der in Liechtenstein und Wien lebende 44-jährige Lyriker und Prosaist Michael Donhauser. Sein letzter Gedichtband hiess «Sarganserland». Der geographische Ort ist darin weniger wichtig als die Räume, die er für die Dinge (ein Stück Strasse, ein Wegbord beispielsweise) schafft. Räume, in denen die räumlichen die Geschichte der zeitlichen Dinge (Erinnerungsbilder einer Beziehung, einer Liebesgeschichte vielleicht) zu erzählen vermögen. Donhausers Gedichte erinnern an die ruckenden alten Filme - es fehlen immer ein paar Bilder. Manchmal müsste man sonst Angst haben: Wie kann einer aus Wörtern wie «sanft», «Wunde», «warm» ein gestochen scharfes Gedicht machen. Aber Donhauser setzt die Wörter aus, nimmt ihnen die sentimentale Aura. Seine Strophen sind fragil und stabil zugleich, wie Trockenmauern: Die Wörter reden miteinander, geben sich Raum, schaffen Passagen.
Um Räume geht es auch in der neuen Prosa Michael Donhausers: «Die Gärten». Gärten sind wie Gedichte geschaffene Räume, Kunsträume. «Wirtliche» Natur nennt sie Donhauser. Vom Menschen geschaffen, schaffen sie dem Menschen Raum. Es geht nicht um die hängenden Gärten der Semiramis oder den Garten Eden, auch nicht um denjenigen Epikurs und schon gar nicht um den Garten Candides in diesem schmalen und doch unendlich grossen Band. Auch der Untertitel «Paris» bedeutet nichts Besonderes. Vielleicht dient er nur der Datierung, dem privaten Archiv. Die Bedeutung bekommen die Baumgruppen, Rasenflächen, Schotterwege, Balustraden, Eisentore, Brunnenanlagen, Teiche und Statuen in Donhausers Prosastücken aus sich selber. Sie sind nicht Orte in der Welt. Die Welt ist in ihnen. Sie sind nur im ganz wörtlichen Sinne Schauplätze zu nennen: Plätze, die sich zeigen. Denn es ereignet sich nichts auf ihnen ausser das Ereignen selbst. Und das, worin es sich ereignet: das Sehen. Donhausers Gärten sind sakrale Räume, Tempel: ausgegrenzte Zentren. Manchmal unterläuft Donhauser deshalb das Feierliche, Emphatische. Nicht ungefährlich auch sein Lieblingswort, das diffuse «etwas», mit dem er (darin wieder ganz bewusst) zugleich die Immaterialität der Dinge und ihr Etwassein behauptet.
Donhausers Prosa ist aber da am stärksten, wo er als Autor «schwach» bleibt, wo er wahrnimmt «wie durch das Fenster eines Krankenzimmers», wo er die Gärten sich selber erzählen lässt. Dem Autor bleibt das Sehen als ein Sehen des Sehens. «Eine Glückseligkeit» ist ihm nicht das, was es sieht, sondern der Akt, in dem es sich vollzieht. Ein streunendes, absichtsloses Sehen. Es ordnet nicht, es folgt dem, was sich «zeigt». Es konstruiert nicht. Es hält auseinander. Das Sakrale in Donhausers Gärten kommt ohne Hierarchien aus. Alles ist gleich wichtig und gleichzeitig. Sie sind nicht zeitlos, aber sie sind der Zeit nicht unterworfen. Sie sind Zeitgeber, nicht Zeitmesser. Sie sind ständig in Bewegung: der Wind, die Wolken, die Schatten, die Blätter - alles bewegt sich. Aber keine Bewegung hat ein Ziel, keine erfüllt eine Erwartung. Der Gartengott ist bekanntlich seit alters der unanständige Priapus - auf so einen kann man nicht warten, der kommt immer überraschend.
Es handelt sich bei Donhauser auch nicht um Schilderungen von Gärten und Pärken. Er erzählt sie; seine Texte sind Epen. Er beruft sich auf das «Homerische, Aufzählende». Zum Epos gehören ja nicht primär die aussergewöhnlichen Heldentaten. Wichtiger ist die andere Zeitvorstellung, die in ihm vorherrscht. Seine Zeit ist nicht die vergehende, historische Zeit, sondern die, die nicht vergeht – die «Dauer», an die Peter Handke ein Gedicht geschrieben hat. In Michael Donhausers Prosa ist sie gegenwärtig. An dauerhaften Helden mangelt es denn auch nicht in seinen Gärten: Kinder, Petanque-Spieler, Parkwächter, Paare, die heilige Geneviève. Sie sind zwar keine Helden der Arbeit, und sie tragen keine Namen. Aber namenlose Statisten sind sie keineswegs. Sie werden kenntlich ohne Schicksal. Sie treten hervor und treten in Kontakt mit dem Erzähler - nicht anders als die fallenden Kastanien oder die verrauchende Zigarettenkippe auf dem Kiesweg. Nicht raumfüllend, sondern raumgebend auch sie.

(Neue Zürcher Zeitung, Nr. 54, Dienstag, 6. März 2001, Besprechung zu: Die Gärten)



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