John Ashbery

Desto leichter wird alles wieder gut




Kaum geduldet, am Rande unserer technologischen Gesellschaft
Lebend, mußten wir immer an der Schwelle zum Untergang
Gerettet werden, wie Heldinnen in Orlando Furioso,
Bevor es an der Zeit war, wieder ganz von vorne zu beginnen.
Da gab es Donner in den Büschen, ein Rascheln von Schlangen
Und Angelika, in dem Gemälde von Ingres, betrachtete
Das farbenfrohe, doch kleine Monster bei ihrem Zeh, als fragte sie sich, ob
Die ganze Sache zu vergessen letztlich nicht die einzige Lösung sei.
Und dann kam immer die Zeit, da
Happy Hooligan in seinem rostgrünen Auto
Den Weg heruntergebrettert kam, nur um sicherzugehen,daß alles in Ordnung war,
Nur waren wir dann schon in einem anderen Kapitel und ziemlich unsicher,
Wie wir diesen allerletzten Fitzel Information aufnehmen sollten.
War es Information? Spielten wir dies nicht vielmehr
Zum Nutzen eines anderen durch, Gedanken in einem Kopf,
Der Platz hatte, genug für unsere kleinen Probleme (so kamen sie uns jedenfalls immer mehr vor),
Für unser tägliches Dilemma in Sachen Essen und Miete und Rechnungen, die offen waren?
All das auf eine kleine Variante zurückzuführen,
Endlich ins Freie zu treten, winzig auf dem gewaltigen Plateau -
Das war unser Ehrgeiz: klein zu sein und hell und frei.
Ach, schnell schwindet des Sommers Energie,
Ein Augenblick und sie ist vorbei. Und nicht länger ist es uns erlaubt,
Die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, so einfach sie auch sind.
Vielleicht leuchtete unser Stern heller, als noch Wasser in ihm war.
Jetzt geht es nicht mal mehr darum, sondern nur noch,
Sich an die Erde zu klammern, um nicht abgeworfen zu werden,
Mit einem gelegentlichen Traum, einer Vision: Eine Amsel
Fliegt an der oberen Fensterecke vorbei, du streichst dir das Haar aus der Stirn
Und kannst nicht wirklich sehen, oder eine Wunde wirft ihr Licht
Auf die lieblichen Gesichter der anderen, etwas wie:
Das wolltest du doch hören, warum also fiel dir ein,
Auf etwas anderes zu horchen? Alle reden wir immerzu,
Das ist wahr, aber unter dem Gerede liegt das,
Was uns bewegt, und der Wunsch, nicht bewegt zu werden, die lose
Bedeutung, unordentlich und schlicht wie ein Dreschboden.

Das also waren einige Unwägbarkeiten des Wegs,
Und obgleich wir natürlich wußten, daß der Weg nur aus Unwägbarkeiten bestand,
War es doch ein Schock, als dir, fast ein Vierteljahrhundert später,
Die Klarheit der Regeln zum ersten Mal bewußt wurde.
Sie waren die Spieler, und wir, die wir gerungen hatten im Spiel,
Waren bloße Zuschauer, seinen Wechselfällen freilich ausgesetzt
Und mit ihm aus dem tränenreichen Stadium ziehend, auf Schultern getragen, endlich.
Diese Botschaft kehrt Nacht für Nacht zurück, wiederholt
In den flackernden Glühbirnen des Himmels, aufgerichtet hinter uns, weggenommen von uns,
Aber stets von neuem die unsere bis zum Ende, das jenseits der Wahrheit ist,
Dem Sein unserer Sätze, im Klima, das sie begünstigte,
Nicht die unsere, sie zu besitzen, wie ein Buch, aber um mit ihr zu sein und manchmal
Ohne sie, einsam und verzweifelt.
Aber die Phantasie macht sie zur unseren, einer Art Zaudern,
Erhoben auf die Ebene eines ästhetischen Ideals. Das waren Augenblicke, Jahre,
Prall von Wirklichkeit, Gesichtern, nennbaren Ereignissen, Küssen, Heldentaten,
Doch wie der harmlose Anfang einer geometrischen Progression
Nicht allzu beruhigend, als ob eines Tages der Sinn beiseite gelegt werden könnte,
Wenn man ihm entwachsen war. Es ist besser, sagtest du, so gebückt
Zu bleiben während der ersten Lektionen, denn das Versprechen des Lernens
Ist nur Trug, und ich pflichtete dir bei und fügte hinzu, daß
Das Morgen den Sinn des bereits Erlernten verändern würde,
Der Lernvorgang sich somit in die Länge ziehe, so daß, von diesem Standpunkt aus gesehen, keiner von uns
Je den Schulabschluß erreiche,
Denn Zeit ist eine Emulsion, und zu denken, daß man nicht erwachsen wird,
Ist wahrscheinlich die gescheiteste Form der Reife, wenigstens für den Augenblick.
Und merkst du, wir hatten beide recht, obgleich irgendwie nichts
Zu nichts gekommen ist; unsere anbeterische
Anpassung an die Regeln und unser häusliches
Leben haben - nunja, in einer Weise «gute Bürger» aus uns gemacht,
Die sich die Zähne putzen und all das, und es lernen, die Almosen
Der schweren Stunden wohldosiert entgegenzunehmen,
Denn dies ist Handeln, dieses Nicht-sicher-sein, dieses sorglose
Vorbereiten, die Körner krumm in die Furche zu säen,
Vorkehrungen zum Vergessen zu treffen, und immer zurückzukehren
Zum Ankerplatz des Anfangs, an jenem Tag vor so langer Zeit.

Aus dem Amerikanischen von Joachim Sartorius


Soonest Mended


Barely tolerated, living on the margin
In our technological society, we were always having to be rescued
On the brink of destruction, like heroines in Orlando Furioso
Before it was time to start all over again.
There would be thunder in the bushes, a rustling of coils,
And Angelica, in the Ingres painting, was considering
The colorful but small monster near her toe, as though wondering whether forgetting
The whole thing might not, in the end, be the only solution.
And then there always came a time when
Happy Hooligan in his rusted green automobile
Came plowing down the course, just to make sure everything was O.K.,
Only by that time we were in another chapter and confused
About how to receive this latest piece of information.
Was it information? Weren't we rather acting this out
For someone else's benefit, thoughts in a mind
With room enough and to spare for our little problems (so they began to seem),
Our daily quandary about food and the rent and bills to be paid?
To reduce all this to a small variant,
To step free at last, minuscule on the gigantic plateau -
This was our ambition: to be small and clear and free.
Alas, the summer's energy wanes quickly,
A moment and it is gone. And no longer
May we make the necessary arrangements, simple as they are.
Our star was brighter perhaps when it had water in it.
Now there is no question even of that, but only
Of holding on to the hard earth so as not to get thrown off,
With an occasional dream, a vision: a robin flies across
The upper corner of the window, you brush your hair away
And cannot quite see, or a wound will flash
Against the sweet faces of the others, something like:
This is what you wanted to hear, so why
Did you think of listening to something else? We are all talkers
It is true, but underneath the talk lies
The moving and not wanting to be moved, the loose
Meaning, untidy and simple like a threshing floor.

These then were some hazards of the course,
Yet though we knew the course was hazards and nothing else
It was still a shock when, almost a quarter of a century later,
The clarity of the rules dawned on you for the first time.
They were the players, and we who had struggled at the game
Were merely spectators, though subject to its vicissitudes
And moving with it out of the tearful stadium, borne on shoulders, at last.
Night after night this message returns, repeated
In the flickering bulbs of the sky, raised past us, taken away from us,
Yet ours over and over until the end that is past truth,
The being of our sentences, in the climate that fostered them,
Not ours to own, like a book, but to be with, and sometimes
To be without, alone and desperate.
But the fantasy makes it ours, a kind of fence-sitting
Raised to the level of an esthetic ideal. These were moments, years,
Solid with reality, faces, namable events, kisses, heroic acts,
But like the friendly beginning of a geometrical progression
Not too reassuring, as though meaning could be cast aside some day
When it had been outgrown. Better, you said, to stay cowering
Like this in the early lessons, since the promise of learning
Is a delusion, and I agreed, adding that
Tomorrow would alter the sense of what had already been learned,
That the learning process is extended in this way, so that from this standpoint
None of us ever graduates from college,
For time is an emulsion, and probably thinking not to grow up
Is the brightest kind of maturity for us, right now at any rate.
And you see, both of us were right, though nothing
Has somehow come to nothing; the avatars
Of our conforming to the rules and living
Around the home have made - well, in a sense, «good citizens» of us,
Brushing the teeth and all that, and learning to accept
The charity of the hard moments as they are doled out,
For this is action, this not being sure, this careless
Preparing, sowing the seeds crooked in the furrow,
Making ready to forget, and always coming back
To the mooring of starting out, that day so long ago.


John Ashbery aus: Gedichte, in ZdZ 7/8